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Wahrzeichen des romanischen Mittelalters

In diesem Jahr feiert eine Abtei aus dem romanischen Mittelalter ihren 1101. Geburtstag: Cluny, ein weltberühmtes Kloster, das von seiner einstigen Pracht nicht viel bewahren konnte. In Paray-le-Monial ist eine kleinere, zur gleichen Zeit erbaute und besser erhaltene Kirche zu bestaunen.

Von Simone Hamm |
    Burgund: Weinberge. Sanfte Hügel. Burgen. Flüsse schlängeln sich durch Täler. Feste auf Schlössern. Im Kerzenlicht. Weinverköstigungen. Das ist Burgund. Überall auf der Welt denkt man sofort an sanfte Rotweine, wenn man Burgund hört. Oder an den berühmten Weißwein, den einzig wahren Chardonnay.

    Und doch gibt es mehr zu sehen als Weinberge. Mehr als Burgen und Schlösser. Denn einstmals stand hier ein weltberühmtes Kloster, eine Kirche, die das Wahrzeichen des romanischen Mittelalters war: Cluny. In diesem Jahr feiert die Abbey ihren 1101. Geburtstag.

    Cluny, das war eine Kirche von gewaltigen Ausmaßen, Zentrum einer Lehre, die von hier aus um die Welt ging. Drei Jahrhunderte lang die größte und - nach Rom - mächtigste Kirche der Welt.

    Doch wer heute nach Cluny kommt und danach sucht, wird enttäuscht sein. Viel ist nicht geblieben von der einstigen Pracht. Man braucht schon viel Fantasie, um sich das vorzustellen. Ganze zwei Querschiffe sind zu sehen und ein achteckiger Turm. Es hat einmal ein Dutzend Türme gegeben. Zwischen den kleinen Hügeln, inmitten der Weinberge waren sie weithin sichtbar. Was geblieben ist, ist die Geschichte vom Aufstieg und Fall einer neuen Lehre.

    "Nachdem G. D. A. hier zwischen 909 und 910 eine Abtei gegründet hatte, ließ er einen Mönch kommen, aus dem Jura. Er kam mit zwölf weiteren Mönchen. Diese kleine Gemeinschaft war direkt dem Papst unterstellt. Die Mönche wollten die Christenheit in ganz Europa vereinigen."

    Wie ganze zwölf Mönche so überaus mächtig sein konnten, erzählt Francois-Xavier Verger, Kurator von Cluny.

    "Nun, diese zwölf Mönche schufen ein Netzwerk. Im Prinzip sollte es überall so sein wie in der Abtei von Cluny."

    Und das bedeutete, dass die Kirche nicht länger unter dem Einfluss weltlicher Herrscher stehen sollte, sondern allein dem Papst verpflichtet sein sollte. Priester sollten nicht länger käuflich sein, das Zölibat sollte wieder geachtet werden.

    "Arbeite, bete und lerne zu schweigen."

    War das Motto. Die reine Lehre war ungemein erfolgreich. Im 12. Jahrhundert soll es 1400 kluniazenser Klöster gegeben haben mit 20.000 Mönchen. Und die Mutterkirche war nicht mehr groß genug. Im zehnten Jahrhundert baute man eine neue Klosterkirche, im Elften eine Dritte. Sie sollte alles übertreffen, was es bislang an Sakralbauten gegeben hatte, doppelt so groß wie die damalige St. Peterskirche in Rom. Eine Kirche mit fünf Schiffen, über 180 Meter lang, also mehr als 40 Meter länger als der Kölner Dom, der Innenraum fast 30 Meter hoch, Türme, angebaute Kapellen. So etwas hatte es noch nie gegeben. Doch mit den Kirchtürmen wuchs auch die Kritik. Arbeiten, beten, schweigen. Wozu dann all die Pracht? Ein neuer Orden wurde gegründet, die alte Lehre wieder zu verbreiten: die Zisterzienser.

    Cluny verlor an Ansehen. Nach der Französischen Revolution wurde die Kirche vom Staat als Steinbruch verkauft. Heute stehen nur noch zwei Querschiffe. Nur noch wenige, wunderschöne Kapitelle sind Zeugen einer herausragenden Kunstepoche. Die Figuren auf diesen Kapitellen lösen sich aus ihrem Hintergrund und wirken so überaus lebendig: die erschöpften Wettkämpfer, die lesenden Mönche, der vermummte Imker, der ganz in sein Spiel vertiefte Lautenspieler, die sich im Takt einer unhörbaren Musik wiegende Tänzerin, die die Zimbeln schlägt. Der bärtige Mann, der mit starrem Blick seine Laute zupft. Und manch ein Kapitell erzählt eine ganze Geschichte: die Schlange, die versucht, am Apfelbaum hoch zu kriechen, die sinnliche Eva, der ängstliche Adam, der sich unter die Blätter duckt.

    Ganze acht Prozent der Originalbauten sind noch erhalten. Deshalb hat das Fremdenverkehrsbüro ein ehrgeiziges Projekt gestartet. Für die Touristen aus aller Welt soll Cluny an seinem 1101. Geburtstag wiederauferstehen in all seinem Glanz, in all seiner Pracht. Große schwenkbare Flachbildschirme sind zwischen den Ruinen installiert worden Per 3D-Animation kann man darauf sehen, wie es einst gewesen ist. Da erstehen Pfeiler, Bögen, ganze Kirchen wieder auf.

    Wer eine realistischere Ahnung davon bekommen will, wie die romanischen Kirchen der Kluniazenser aussehen, wer Steine anfassen und spüren möchte, der sollte sich aufmachen nach Paray-le-Monial. Hier lebt die Kirche noch. Jahr für Jahr treffen sich Pilger aus aller Welt. Manchmal steht ein einziger Gläubiger da und singt hingebungsvoll.
    In Paray-le-Monial entstand - zeitgleich zu den Bauten in Cluny - eine kleinere Kirche, die Taschenausgabe Clunys. Mitten in der Stadt, an einem Flussufer, zwischen Blumen und Gräsern ist sie gebaut worden, die Kirche mit den beiden ungleichen Türmen, die sich im Wasser spiegeln: der Nordturm mit seinem großen Rundfenster, der Südturm mit den beiden kleineren Fenstern.

    "Am Ende des Jahrhunderts kamen Mönche nach Paray und bauten hier eine erste Kirche. Sie waren etwa zehn an der Zahl. Sie haben etwas gemacht, was sehr üblich war. Sie haben, als sie reicher geworden sind, eine zweite große Kirche bauen wollen. Sie haben es gemacht nach dem Prinzip der russischen Puppen. Die erste Kirche stand und die zweite Kirche wurde in der Ersten gebaut."

    1004 wurde die Kirche geweiht. Sie hat ein sehr breites Querschiff, deswegen wirkt das Langhaus kürzer, als es ist. Ganz so ist es einst in Cluny gewesen. Fast fühlt man sich wie in einem Schacht, wäre da nicht in der Kuppel das wunderbare Fresco des thronenden Jesus Christus und den Evangelisten. Ernst und erhaben. Dieses Fresco ist erst 1934 entdeckt worden, bei einer Generalreinigung der Kirche. Wahrscheinlich hatten es Gläubige während der Revolution übermalt, um es zu retten. Jahrhundertelang lebten Mönche und Bevölkerung in Frieden. Bis zur Zeit der Glaubenskriege:

    "Im Jahre 1562 ist das Dorf Paray-le-Monial, das war ein katholisches Dorf, von Protestanten angegriffen worden. Die Protestanten sind über diese Stadtmauer gekommen, haben verschiedene Sachen in dem Dorf kaputtgemacht und sie sind dann in die Kirche reingekommen, haben von der Kirche genommen, alles, was brennbar war, Holz usw. Und sie haben in der Vorhalle einen riesigen Brand gemacht. Und dieser Brand hat das Gewölbe zum Einsturz gebracht."

    Claude Boinau ist Lehrer in Parais und wie kaum ein Zweiter kennt er die Kirche und ihre Geschichte. Im 17. Jahrhundert hatte ein junges Mädchen, Marguerite-Marie in dieser Kirche eine Erscheinung, Jesus sprach zu ihr. Für mehr als ein Jahrhundert wurde Paray-le-Monial zur Pilgerstätte. Dann, nach der Französischen Revolution, verließen die Mönche Kloster und Kirche. Anders als viele andere Kirchen in Frankreich blieb sie unzerstört. Ein wenig vom alten Glanz Clunys ist noch zu sehen. Als man eine Fußbodenheizung bauen wollte, entdeckte man alte Grabstätten, verziert mit Reliefs. Jetzt frieren die Besucher der Messe im Winter, aber sie können kleine Esel betrachten, Palmzweige und sich so ein wenig Süden herbeiträumen.