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Waipoua Forest Neuseeland
Winzlinge gegen Waldriesen

Silberfarn, seltene Vögel und turmhohe, tausendjährige Kauri-Bäume: Der Waipoua Forest ist für die indigenen Maori ein Heiligtum. Doch das Paradies ist bedroht: Ein Pilz setzt den Riesenbäumen zu.

Von Michael Marek | 02.06.2019
Stimmungsvolles Bild aus dem Urwald in Neuseeland
Der Waipoua Forest ist einer der ältesten Wälder der Welt. Der berühmteste der Kauri-Bäume trägt den Namen "Gott des Waldes" (Deutschlandradio / Michael Marek)
"Ich komme aus einer Gegend, die von schäumendem Wasser umgeben ist. Der Ort heißt Hokianga. Ich gehöre zum Stamm der Ngā-puhi."
Koro Carman ist Māori und redet in der Sprache seines Volkes. Die neuseeländischen Ureinwohner gelten als freundlich und hilfsbereit, stolz und selbstbewusst, so wie Koro Carman, der mit den Überlieferungen der Māori vertraut ist:
"Vor uns liegt Hokianga; der 40 Kilometer lange Meeresarm mündet in die Tasmansee. Am Eingang der Bucht gibt es rechts eine riesige Düne, die wir Niwa nennen. Gegenüber auf der anderen Seite liegt ein großer Felsen."
Omapere auf der Nordinsel Neuseelands: Hier liegt die Hokianga Bucht mit der gewaltigen Sanddüne des 200-Seelendörfchens. Dahinter schlängelt sich das zweispurige schwarze Asphaltband der State Highway 12 durch die hügelige Einöde.
Grünes Paradies
Ruhiges Land mit ein paar Möwen darüber von der nahen rau-berüchtigten Tasmansee. Nach knapp 20 Kilometern taucht einen der ältesten Wälder der Erde auf und zugleich einer der außergewöhnlichsten Orte Down Under: Waipoua Forest.
"WAI bedeutet Wasser. PO ist die Nacht und UA der Regen. Waipoua bedeutet also Regen im Wald bei Nacht."
Ein ungewöhnlicher Vogel: der Kiwi, das Nationalsymbol Neuseelands. Der vom Aussterben bedrohte nachtaktive Vogel kommt nur in Neuseeland vor. Experten gehen davon aus, dass das Überleben der Kiwis nur mit Hilfe künstlicher Auzuchtstationen gesichert werden kann.
Der Kiwi, ein ungewöhnlicher Vogel, wird in Neuseeland besonders geschützt (dpa/picture alliance/Tourism_New_Zealand)
Das grüne Paradies ist die Heimat seltener Vögel, vor allem aber turmhoher Waldriesen, den Kauri-Bäumen. Und von allen Kauri-Wäldern Neuseelands ist keiner berühmter als Waipoua Forest – für die Māori ein Heiligtum, erklärt Koro Carman. Der Biologe, Touristenführer und bekennende Rugbyfan kennt die Gegend wie kaum ein anderer:
"Dies ist ein uralter Ort, der von riesigen Wächtern umgeben ist: Kauri-Bäumen! Manche von ihnen haben auch einen Namen: "Te Matua Ngahere", Vater des Waldes, hat den größten Stammumfang eines Kauri-Baums weltweit. "Tane Mahuta", Gott des Waldes, ist der größte und älteste Kauri-Baum der Welt. Ich sage in der Welt, weil es Kauri-Bäume auch in Australien gibt, auf Fidschi, Papua-Neuguinea, den Philippinen, in Malaysia und Argentinien. Die Bäume verbinden uns mit unseren Vorfahren."
Ein magischer Ort: Es ist feucht und kühl; das Grün, Braun und Rot der Bäume verwebt den Wald zu einem schimmernden Dickicht. Die immergrünen Kauri-Bäume, botanisch "Agathis australis" genannt, gehören zur Familie der Araukariengewächse. Auf einem schmalen Pfad geht es durch den Kauriwald, hier flüstert jeder – so, als ob die Geheimnisse des Ortes nicht gestört werden sollten - dann zeigt Kora Carman auf vermoderte Baumstümpfe und andere kleine Wunder am Wegesrand – wie einen glitzernden Silberfarn, ein Erdloch, in dem sich tagsüber Neuseelands Nationalvogel, der Kiwi, versteckt und winzige Kauri-Sprösslinge:
"Ein Māori-Sprichwort besagt: Obwohl klein an Wuchs, bist du von großem Wert. Alles hat einen Anfang, auch in dir steckt ein Riese!"
Über 400 Pflanzenarten
Tagsüber besuchen Touristen Neuseelands berühmtesten Kauri-Wald, abends ist es eine intensive, einsamere Begegnung. Dann lässt das Zwielicht die Riesen nur schemenhaft erkennen – "Tane Mahuta": Der "Gott des Waldes" ragt kerzengerade 51 Meter hoch in den Himmel und ist über 2.000 Jahre alt. Nicht weit entfernt: Te Matua Ngahere, der "Vater des Waldes", mindestens 16 Menschen sind nötig, um ihn zu umarmen. Wie alle Kauri-Bäume haben sie im Laufe der Jahrhunderte die unteren Zweige abgeworfen, ihre Stämme sind absolut astfrei – ausgenommen die Baumkrone. Daher bietet ihr Unterholz Lebensraum für kleinere Bäume, Büsche, Farne und Mose:
Über 400 verschiedene Pflanzenarten finden im Kauri-Wald einen Lebensraum, manche sind giftig, erklärt Koro Carman, der auch für "Footprints Waipoua" arbeitet: Die Touren der Öko-Organisation sind einzigartig: Einheimische Māori begleiten die Besucher und erklären zum Beispiel, wie ihre polynesischen Vorfahren in vorkolonialer Zeit ihre Kanus aus Kauri-Stämmen bauten. Bis heute gehört Waipoua Forest dem Stamm der Te Roroa.
Während es auf dem Wanderweg vorbei geht an sattgrünen Farnen und uralten Kauri-Bäumen, erfährt man Wissenswertes über die einheimische Flora und Fauna – über Mythen und Sagen der Māori:
"Wir Māori glauben an Götter, zum Beispiel an den Gott des Meeres und des Windes. Vor uns steht Tane Mahuta, der Gott des Waldes, und ich habe ihn für euch begrüßt. Mit 9.000 Hektar ist Waipoua der größte Kauri-Wald Neuseelands."
Carman beginnt zu singen. Der Mittvierziger begrüßt den Gott des Waldes. Es ist ein melancholischer, spiritueller Gesang. Carman bittet um Vergebung, die Ruhe des Waldes gestört zu haben. LED Spots mit Schummerlicht gehen an, der Māori steht direkt vor diesem Wunder des Waldes, der aus einer Zeit lange vor der Geburt Jesu stammt.
Spirituelle Verbindung
Es ist ein Gefühl der Zeitlosigkeit. Was Menschen vor 500 Jahren sahen, sieht heute noch genauso aus - ein Ort, an dem so vieles scheinbar spurlos vorbeigegangen ist: die industrielle Revolution, Kultur- und Religionskämpfe, heiße und kalte Kriege, das Internet, Reichtum und Armut, Elend und Überfluss, all der Wandel, den die Menschheit über den Planeten Erde gebracht hat.
"Ich grüße die Seele des Baumes. Wir werden erst dann lebendig sein, wenn unsere Herzen sich dieser Schätze bewusst sind. Ich hoffe, dass ihr dasselbe fühlt, wenn ich sage: "Te Matua Ngahere" ist einer dieser Schätze. Dieser Baum stand hier bereits vor 2.000 Jahren, bevor die ersten Entdecker kamen, und 1.000 Jahre vor der Geburt von Jesus Christus."
Plötzlich stehen neben zwei Wanderer aus der Schweiz neben Koro Carman. Sie haben von dem Wald gehört. Hier draußen, in der Natur, fühlen sie sich am Wohlsten, sagen sie flüsternd:
"Weil wir beide alte Wälder mögen. Beeindruckend. Das Alter, die Unberührtheit dieses Waldes, mystisch, heilig. 2.000 Jahre alte Bäume. Was die schon miterlebt haben, was wir nicht wissen. Der ganze Wald ist "ancient forest", wie die hier sagen, und ich habe noch nie im Leben einen so alten Baum gesehen!"
Für die Māori stellen die Kauribäume eine spirituelle Verbindung zur Welt ihrer Vorfahren her. Der Überlieferung nach ist die Welt so entstanden: Ranginui, der Himmelsvater, und Papatūā-nuku, die Erdmutter, verharrten einst in einer innigen Umarmung. Ihre Kinder mussten die Enge der Verschmelzung erdulden. Das stärkste Kind, Tane Mahuta, befreite sich aus dieser Dunkelheit der Liebe, indem er sich gegen die Schultern seiner Mutter stemmte und sich ans Licht schob. Auf diese Weise trennte er seine Eltern und ließ Licht zwischen die Liebenden. Dieses Licht gelangte zur Erde und brachte alles Leben hervor. Auch der Tod steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Bäumen: Wenn ein Baum fällt, stirbt ein Mensch, heißt es der Überlieferung nach. Kauri-Spezialist Koro Carman kennt noch ein anderes Gleichnis:
"Ich möchte euch die Geschichte von einem jungen Māori-Krieger erzählen, der eines Tages in den Wald geht, um einen Baum zu fällen. Nachdem er ihn abgeholzt hat, kehrt er müde und hungrig nach Hause zurück. Am nächsten Tag jedoch steht der Baum kerzengerade wieder an seinem alten Platz. Also fällt unser junger Māori den Baum erneut. Wieder kehrt er am Ende des Tages müde und hungrig zu seiner Familie zurück. Am nächsten Tag findet der Krieger den Baum wieder stehend an seinen angestammten Patz. Aus Wut fällt er den Baum ein drittes Mal. Aber diesmal versteckt sich unser Māori hinter einem Busch und wartet. In der Nacht sieht er, wie kleine Insekten und Vögel den gefällten Baum wieder aufrichten. Der junge Krieger springt also aus seinem Versteck hervor und fragt die kleinen Tiere: ‚Was machst ihr da? Ich brauche diesen Baum, um für meine Familie ein Kanu zu bauen! ‘ Und die Tiere antworten: ‚Junger Krieger, du hast dafür nicht um Erlaubnis gefragt bei Tane Mahuta, den Gott des Waldes! ‘ Also bittet unser Māori-Krieger um Erlaubnis und fällt den Baum erneut. Aber diesmal helfen ihm die kleinen Insekten und Vögel. Was die Moral von der Geschichte ist? Respekt vor den kleinen Dingen zu haben, denn ohne sie gibt es nichts Großes!"
Bakterien im Untergrund
Der Wanderweg durch den Waipoua Forest verläuft zumeist auf Holzbohlen. Solche "boardwalks" sind existentiell wichtig für das Fortbestehen des Kauri-Waldes. Denn die Bäume sind durch einen winzigen Pilz bedroht, über den bis heute nur wenig bekannt ist. Die Krankheit wird als "Kauri dieback disease" bezeichnet. Fest steht: Die Pilzsporen arbeitet im Geheimen, im Untergrund: Manchmal dauert es Jahre, bis man erkennen kann, dass ein Baum erkrankt ist. Doch dann ist es längst zu spät. Die Krankheit macht aus den gewaltigen Bäumen kahle, verhungerte Gerippe, deren direkt unter der Oberfläche liegende Wurzeln verfaulen.
Die Beine von drei Menschen mit Wanderschuhen im Wald
Wissenschaftler fanden heraus, dass die gefährlichen Bakterien unter anderem durch Wanderschuhe übertragen werden (images / PhotoAlto)
Vor zehn Jahren wurde die "Kauri dieback"-Krankheit erstmals entdeckt. Leider gibt es bis heute kein Heilmittel. Wir wissen nur, dass diese Krankheit sich durch Sporen wie ein Pilz in den Wurzeln der Kauri-Bäume verbreitet. Die Wurzeln verfaulen, und am Ende verhungert der Baum.
Es sind mikroskopisch kleine Sporen, von denen die Kauri-Wurzeln infiziert werden. Sie sind der empfindlichste Teil der Baumriesen, und über sie wird der gefürchtete Pilz aufgenommen – mit dem Ergebnis, dass der Baum mit verunreinigter Nahrung versorgt wird. Sobald die Wurzeln verfault sind, erhält der Baum gar keine Nahrung mehr. Das führt zur Gelbfärbung des nadelförmigen Laubs, Blattverlust, Ausdünnung der Krone und Absterben der Äste. Zuletzt entstehen Narben am Ansatz des Stammes, durch die Kauri Harz ausläuft. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass die Sporen durch Wanderschuhe übertragen werden, Fahrräder, Pferdehufe und Tiere. Deshalb hat die Forstbehörde zum Schutz der Kauri-Bäume auch im Waipoua Forest Reinigungsstationen mit Bürsten und Desinfektionsmittel aufgestellt, die jeder benutzen muss, der in den Wald will:
"Seht ihr die Bürsten hier? Damit müssen wir unsere Schuhe und Sohlen reinigen. Danach benutzt ihr diesen Hochdruckreiniger, der wie eine Wasserpistole aussieht und ein Desinfektionsmittel enthält. Alles sehr einfach und effektiv! Saubere Schuhe - glücklicher Ort!"
Gleichwohl: Koro Carmans Appelle stoßen auf taube Ohren. Schätzungen der Forstbehörden gehen davon aus, dass nur jeder zweite Waldbesucher die Reinigungsstationen tatsächlich benutzt. Wohl auch deshalb hat sich der Zustand der Kauri-Bäume dramatisch verschlechtert. Mindestens ein Fünftel dieser Koniferen, die einzige Spezies der Araukarien in Neuseeland, ist von dem Pilz befallen. Innerhalb von fünf Jahren ist die Infektionsrate von acht auf neunzehn Prozent gestiegen – vor allem dort, wo Menschen auf Wanderwegen durch die Kauri-Wälder marschieren. Rund um Auckland sind es sogar 60 Prozent. Kürzlich ist dort der erste Park für Besucher geschlossen und zum Sperrgebiet erklärt worden, um die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern - eine Maßnahme, die mit der Kommune und dem Māori-Stammesrat abgestimmt wurde. Allerdings ist das Vorgehen auf heftige Kritik des Tourismusverbandes gestoßen: Die Touristiker fürchten, ihre Hauptattraktion zu verlieren.
30 Wanderwege gesperrt
Derweil droht den Kauri-Bäumen die Ausrottung, denn ein Heilmittel gegen die Krankheit, egal ob es sich um junge oder alte Kauri Bäume handelt, ist bis heute nicht gefunden worden. Auch deshalb hat die Naturschutzbehörde bereits 30 Wanderwege durch Kauri-Wälder für die Öffentlichkeit gesperrt, sagt Koro Carman:
"Die Sperrung der Wanderwege soll die Menschen daran hindern, die Wälder zu betreten. Und wisst ihr warum ich das befürworte? Ich möchte, dass die Tochter meiner Tochter unsere Kauri-Bäume eines Tages noch erleben kann. Wir wissen, dass der Wald gefährdet ist. Deshalb müssen wir zwei Dinge tun. Erstens: Den Kauris Zeit geben, sich zu erholen. Und zweitens: Wir müssen schnellstens herausfinden, wie wir den Bäumen helfen können. Bis dahin wünsche ich den Kauris: schöne Ferien!"
Vielleicht haben die Māori hier im Waipoua Forest etwas bewahrt, was andere verloren haben, sagt Kora Carman zum Abschied: zu wissen, woher man kommt, um sich zu vergewissern, wohin man geht – und dabei zeigt Carman auf den ältesten Kauri-Baum der Welt:
"Zum Schluss noch der Rat eines Baumes: Steh aufrecht und stolz! Zeige dich! Beginne ein neues Leben, aber denke an deine Wurzeln! Trink viel Wasser! Sei glücklich mit deiner natürlichen Schönheit. Genieß die Aussicht und hören nie auf zu wachsen! Ratschläge eines Baumes. Es geht also darum, zu teilen, Spaß zu haben und vor allem: Kultur und Natur in Einklang zu bringen!"