An dieser Baumleiche sieht man ganz deutlich, dass der schon länger liegt, der dürfte an die 50 Jahre schon liegen, und hier sieht man, dass viele Bäumchen, v.a. Fichten aber auch Buchen, ihn besiedeln und mittlerweile schon übermannshoch sind wie in Reih und Glied, so wie der Baum eben liegt, praktisch aufwachsen.
Moose, Flechten und Klee sieht man auf diesem alten Baum wachsen und eben auch die jungen Bäume. Ein kleiner Sämling hat auf einem alten Baum nämlich viel bessere Startbedingungen, weiß Rainer Pöhlmann:
Er hat hier bessere Bedingungen, weil er die Nährstoffe, die der Baum gespeichert hat, die kann er jetzt aufnehmen. Die werden bei dem Verrottungsprozess freigesetzt. Zum andern, und das sieht man jetzt, kann man direkt fühlen, wenn man diesen Moder zusammendrückt, diese Baumleiche speichert sehr viel Wasser. Der muss nicht fürchten, einmal auszutrocknen. Und zum andern ist es, dass er nicht vom Gras überwachsen wird. So hoch wie der Baum ist, der alte liegende Baum, diesen Vorsprung hat er schon und muss nicht mit Gras oder Farn konkurrieren.
Im Nationalpark wachsen Gras und Farne in der kühlfeuchten Witterung oftmals mannshoch. So können kleine Bäume, die dort sprießen, schnell überwuchert und zu stark beschattet werden. Auch am Fuß der alten absterbenden Bäume ergeben sich Vorteile für die nächste Generation, so der Leiter des Nationalparks, Friedrich Karl Sinner:
Gerade hier im Hochlagenwald haben wir am Waldboden auf den meisten Flächen Gras, Farn, Moos, Polster und Heidelbeere. Die einzige Fläche, wo keine Konkurrenzvegetation für junge Fichten ist, ist der Stammfuß der alten Fichte. Bringt nun der Borkenkäfer die alte Fichte um, fallen alle Nadeln herunter mit allen Nährstoffen drin, Feinreisig, Rinde, auch mit Nährstoffen, die Bäume mit den Wurzeln über 100 bis 200 Jahre aus dem Boden geholt haben. Gleichzeitig fällt etwas herunter, was meistens übersehen wird: um den Baum umzubringen, fressen da drin 50 000 Borkenkäferlarven. Die fressen nicht nur, die verdauen auch und der Kot der Larven kommt in den Stammfußbereich, das ist nicht anderes wie pflanzliche Nahrung, durch den Darm des Tieres aufgeschlossen, sofort pflanzenverfügbar, wie wenn ein Landwirt Mist aus seinem Stall auf die Äcker bringt, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten.
Alle zwei Jahre findet an bestimmten Stellen in den Hochlagenwäldern des Nationalparks eine Inventur statt. Die Entwicklung der Verjüngung soll genau dokumentiert werden, um zu sehen, ob die Zukunft des Waldes dort gesichert ist. Ergebnis: Fast die Hälfte aller kleinen Bäume in den Hochlagen wächst auf vermoderndem Holz oder in dessen Umgebung. Durch diesen Erneuerungsprozess verändert sich auch die Struktur des Waldes, wie der Leiter des Nationalparks beobachtet hat:
Gemessen an der Fläche des Nationalparks, vom alten Park her, ist es etwa ein Drittel der Nationalparkfläche, wo der Borkenkäfer die alten Fichten zum Absterben gebracht hat. Auf all diesen Flächen entwickelt sich ein neuer Wald nach seinen eigenen Gesetzen, mit der Möglichkeit auf dem Weg der Auslese die vitalsten, die widerstandsfähigsten für diese klimatischen Bedingungen ihrer Lebenszeit auszuwählen. Es sind reichere Mischungen zu beobachten und es ist von der Struktur des Waldes klar zu beobachten, dass hier Gruppenstrukturen entstehen, d.h. die jungen Bäume stehen in Trupps beieinander und bilden andere Kleinkollektive, die der Witterung im Bayrischen Wald, den langen Wintern, hohen Schneehöhen, viel besser gewachsen sind wie ein angepflanzter Wald der einzelstehenden Bäume, der einen gleichförmigen Wald ergibt. Das, was hier entsteht, wird strukturreicher, wird artenreicher und nach unserer Auffassung auch stabiler.
Diese offenen Strukturen scheinen auch für das Auerwild besser geeignet zu sein, vor allem bei der Aufzucht der Jungen. Friedrich Karl Sinner hofft nun, dass auch das Birkwild die guten Voraussetzungen nutzt, um sich wieder anzusiedeln:
Es hat sich diese Entwicklung besonders bei der Vogelwelt gezeigt. Wir hatten vor den großen Absterbevorgängen im Hochlagenwald auf die Gesamtfläche gesehen verteilt etwa 48 Vogelarten, darunter die typischen Waldvogelarten. Wir haben in der Gesamtvernetzung der Biotope, die entstanden sind, jetzt 73 Vogelarten im Hochlagenwald. Es sind viele Waldrandbewohner, Bewohner des offenen Landes, dazugekommen. Wir stellen von den Blütenpflanzen momentan eine wesentlich größere Artenvielfalt fest als im alten Wald vor den Absterbevorgängen, ganz einfach, weil das Nährstoffangebot, das Wärmeangebot, das Lichtangebot deutlich größer ist. Wir sind dabei, die Insektenwelt zu untersuchen, weil wir europaweit eine einmalige Kombination haben: Blütenpflanzen und Totholz, was für bestimmte Insektenarten von lebenswichtiger Bedeutung ist.