Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Waldameisen als Erdbeben-Frühwarnsystem

Dass Haustiere eine Art sechsten Sinn für Erdbeben haben, gilt eher als unwahrscheinlich. Bei Waldameisen könnte das anders sein: Ein Geologe von der Universität Duisburg-Essen beobachtet bereits seit über einem Jahr Ameisennester mit Kameras, um herauszufinden, ob sie Menschen vor einem Erdbeben warnen könnten.

Von Jochen Steiner | 26.01.2011
    Waldameisen sind nur wenige Millimeter groß, aber vielleicht dennoch in der Lage, Menschen vor einem Erdbeben zu warnen. Ein Forscherteam um den Geologen Ulrich Schreiber von der Universität Duisburg-Essen hat herausgefunden, dass Waldameisen ihre haufenförmigen Nester häufig auf sogenannten aktiven Störungslinien errichten. Dort kann es immer wieder zu Erdbeben kommen. Außerdem steigen an aktiven Störungen Gase wie Kohlendioxid nach oben. Diese Gefahren scheinen den Waldameisen nichts auszumachen - im Gegenteil: Sie profitieren gleich mehrfach:

    "Im Winter hat das den Vorteil, dass diese Gase Wärme mitbringen, sodass der Standort dann quasi in einem Bereich liegt, der vielleicht nicht einfriert. Und das ist ja besonders wichtig für die Königin, die nicht sehr niedrige Temperaturen vertragen kann."

    Außerdem transportiere der Gasstrom an aktiven Störungen Feuchtigkeit zum Ameisennest, was in trockenen Sommern vorteilhaft sein könnte.

    Über ein Jahr lang beobachtete Ulrich Schreiber mit seinem Team mehrere Waldameisen-Nester in der Eifel mit Videokameras. Die Forscher werteten die Bilder aus und konnten anschließend den 24-Stunden-Rhythmus der Waldameisen beschreiben.

    "Es gibt charakteristische Aktivitäten, das heißt, es ist normalerweise nachts eine Ruhephase. Am frühen Morgen kommen die Ameisen aus dem Nest, gehen sozusagen ihrem Tagesgeschäft nach, mit zwei Aktivitätsmaxima und zum Abend wird die Aktivität wieder geringer, sodass sie dann in den Ruhezustand übergehen."

    Für die Erdbebenforscher ist es wichtig zu wissen, wie sich die Waldameisen tagein, tagaus verhalten. Nur so können sie Abweichungen vom alltäglichen Gewusel erkennen, ausgelöst etwa durch starken Regen, hungrige Wildschweine oder eben durch Erdbeben. Als im September 2009 in der Eifel wieder einmal die Erde leicht bebte, verhielten sich die Ameisen am Vorabend des Bebens anders als sonst.

    "Das Auffällige war, dass wir im Nachhinein eben an dieser Auswertung sehen konnten, dass die Ameisen sowohl in der Nacht eine Aktivität hatten als auch am Tag und beide waren unterschiedlich zu dem, was wir vorher gesehen haben."

    Andere Ursachen als das Erdbeben für das veränderte Verhalten der Ameisen konnten die Forscher ausschließen. Ulrich Schreiber vermutet, dass die Waldameisen vor einem Beben so viele Tiere aus dem Nest schicken, wie zum Überleben des Volkes nötig sind - sollten nämlich bei einem Beben die Spalten in der Erde größer werden, könnte eine tödliche Dosis Kohlendioxid ins Nest strömen. Doch, wie können die kleinen Insekten ein Erdbeben überhaupt im Voraus wahrnehmen?

    "Wir haben festgestellt, dass sie also auf Wärme sehr stark reagieren, CO2 detektieren können. Sie können bestimmen, wie hoch der Gehalt an CO2 in ihrem Nest ist. Das brauchen sie, um die optimale Belüftung für die Brut zum Beispiel zu gewährleisten. Und sie haben möglicherweise einen magnetischen Sinn. Mit anderen Worten, wenn ich jetzt vor einem Erdbeben eine Veränderung habe durch Stromfluss, wo sich auch elektromagnetische Felder aufbauen, dann ist das etwas, was die Ameisen möglicherweise registrieren können."

    In einem nächsten Schritt wollen die Essener Geologen zusammen mit Physikern die Bildauswertung der Ameisennester automatisieren. Wenn dies dann gut funktioniert, könnten die Waldameisen neben weiteren technischen Messgeräten wichtige Signale liefern, um ein Erdbeben voraussagen zu können. Die Vorwarnzeit betrüge dann einige Stunden - vorausgesetzt, mehrere Standorte von Nestern werden in die Voraussage einbezogen.

    "Also ich stelle mir das natürlich jetzt erst mal vor wie eine Leitzentrale, in der die Daten zusammenfließen. Das heißt man hat für jedes Nest einen Monitor, eine Kamera, die das überwacht und man vertraut dann der automatischen Bildauswertung. Dort gibt es dann gewisse Grenzbereiche. Diese Grenzbereiche geben einen Alarmton ab, wenn die Verhaltensweisen der Ameisen anormal sind. Das ist etwas, was man durchaus vergleichen kann mit normalen Leitzentralen für Katastrophen, Vorwarnsysteme, Tsunami-Vorwarnsysteme und so weiter."

    Erdbeben ließen sich überhaupt nicht voraussagen, so die Meinung vieler Wissenschaftler. Ulrich Schreiber hat jedoch Hoffnung:

    "Wir sind der Meinung, dass dieses hochsensible System Ameisennest durch die Auswahl der Standorte uns schon gewisse Vorteile gibt und dass eben die Sensitivität oder die Sensibilität der Ameisen eine ganz andere Größenordnung einnimmt als die Messgeräte. Das heißt wir sind dadurch doppelt in der Lage, vielleicht Ergebnisse zu erzielen, einmal durch die Fähigkeiten der Ameisen und gleichzeitig durch die Wahl der Standorte. Und das ist etwas, was uns Hoffnung gibt bei der Sache."

    Die Erdbebenforscher planen, Waldameisen-Nester auch in der Türkei oder in Italien zu untersuchen - in Ländern also, in denen auch stärkere Beben immer wieder große Schäden anrichten.