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Walker-Evans-Retrospektive
Vater der Street Photography

Walker Evans lichtete ab, was er ganz alltäglich vor die Linse bekam - und wurde damit zu einer Ikone der Street Photography. Eine Retrospektive im Berliner Martin-Gropius-Bau präsentiert jetzt rund 200 Werke aus den Jahren 1928 bis 1974.

Von Carsten Probst | 26.07.2014
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    Die Ausstellung bringt gewichtige Indizien dafür, dass Evans keineswegs nur Kunst produzieren wollte, sondern auch Alltag dokumentieren. (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Die eigentümliche Schönheit der Fotografien von Walker Evans beruht auf ihrer Einfachheit. Sie sind den alltäglichen Blicken vertraut, ähneln nicht selten den kleinen Momenten eines Innehaltens, wenn man etwas erblickt, das kurzzeitig aus dem gewöhnlichen Vorüberrauschen der Umwelt heraussticht und als Nachbild weiterlebt.
    Das können scheinbar unbedeutende Details sein, bei denen man selbst nicht weiß, warum sie einem auffallen: Die scheinbar schlichte Fassade eines modernen Bürohauses, die in ihrem Wechsel von hellen und dunklen Streifen aussieht, als führe sie wie eine Treppe in den Himmel. Gewöhnliche Mitreisende in der U-Bahn, die sich unbeobachtet wähnen und deren Gesichter daher ganz unverstellt den Ausdruck von Erschöpfung, Verträumtheit oder Anspannung zeigen.
    Walker Evans fotografiert sie mit versteckter Kamera, weniger aus paparazzihaftem Voyeurismus, sondern, wie er selbst sagte, aus der Sucht, alles mit der Kamera einzufangen, mitzunehmen, zu sammeln, was ihn umgab.
    Es gibt widersprüchliche Aussagen darüber, ob er sich mehr als Reportagefotograf, als Journalist sah oder als Künstler. Diese mit etwa 200 Bildern vergleichsweise bescheidene Retrospektive, die auf ihrer Tour durch mehrere Länder nun in Berlin Station macht, sucht nach der Goldenen Mitte.
    Mehr Journalist oder eher Künstler?
    Gegen Ende wird Walker Evans auf einer Texttafel mit einem Rückblick auf sein Werk zitiert mit dem Satz: Er habe sein fotojournalistisches Interessengebiet nach den 1930er-Jahren lediglich "etwas erweitert" und sei seinen früheren Themen keineswegs entwachsen. Das wäre wiederum ein klarer Widerspruch zu all jenen Darstellungen, wonach Evans seine fotojournalistische Arbeit gehasst und sich immer als Künstler gesehen habe.
    Diese Ausstellung bringt gewichtige Indizien dafür, dass Evans trotz seiner Würdigung noch zu Lebzeiten durch Kunstmuseen wie das New Yorker MoMA keineswegs nur Kunst produzieren wollte. Die dokumentarischen Aufträge, die er vor allem in seinen frühen Jahren erhielt, lösen beim ihm viel zu offensichtlich gerade deshalb eine so große Faszination aus, weil die Bilder, die er dabei macht, sich in einem damals völlig kunstfernen Bereich abspielten.
    Der Betrachter geht gleichsam mit Evans' Auge auf Entdeckungsreise zum bislang noch nicht Gesehenen, das den Blick bannt, ohne dass man es sofort als dies oder das, als Kunst oder Alltagsfotografie einordnen könnte. Evans selbst tat sich mit dieser Einordnung schwer und war sich lebenslang durchaus im Zweifel über diesen Teil seiner Bildproduktion.
    "Let Us Now Praise Famous Men", eine Dokumentation verarmter Farmersfamilien in den Südstaaten während der Großen Depression in den 30er-Jahren, die Evans zusammen mit dem Schriftsteller James Agee schuf, gilt heute zwar als Meisterwerk und ist zugleich Evans bekannteste Serie. Aber vieles spricht doch dafür, das Evans nur seinem ganz eigenen fotografischen Gefühl folgte, als er das ärmliche Leben der weißen Farmer bis hin zu allen Details ihrer heruntergekommenen Behausungen und trostlosen Alltagsverrichtungen aufnahm. Er wusste gewissermaßen nicht was er tat, viele Zeitgenossen wussten es ebenfalls nicht. Erst in den 1960er-Jahren wurde dieses Werk in seiner überbordenden Ausdruckskraft auch von einer größeren Öffentlich erkannt.
    Insofern leuchtet es völlig ein, wenn Walker Evans am Ende seines Lebens von sich sagte, dass er eigentlich immer nur seinen Grundinteressen gefolgt sei. Ein Schwerpunkt dieser Ausstellung belegt das, seine Arbeit zwischen den 40er- und 60er-Jahren für das Magazin "Fortune", für das Evans zahlreiche Serien von Orten und Menschen aufgenommen hat. Die Gegenüberstellung von Bildern, die im Magazin erschienen und derer, die Evans nur für sich aufnahm, ist signifikant.
    Die Abweichungen sind nicht groß, die im Magazin gedruckten Bilder aber erscheinen letztlich geläufiger in ihrer Bildsprache, schulmäßig aufgebaut, leichter lesbar. Dieselben Motive: Fabrikhallen, Alltagsgegenstände, Menschen vor ihrer Umwelt erscheinen in den anderen Fotografien, die Evans nur für sich machte, hingegen rätselhaft, tatsächlich wie herausgefallen aus einem flüchtigen Augenblick und doch genau so für immer festgehalten. Mit diesem Zauber inspirierte Evans eine ganze nachfolgende Fotografengeneration – und noch heute die Besucher seiner Ausstellungen.