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Wallenberg-Jahr in Ungarn

Der schwedische Diplomaten Raoul Wallenberg rettete von 1944 bis 1945 viele Tausende Juden vor dem Holocaust. Er wurde vor hundert Jahren geboren und um ihn zu ehren, wurde dieses Jahr in Ungarn offiziell das Wallenberg-Jahr eingeläutet.

Von Anna Frenyo | 13.04.2012
    Das ehemalige sogenannte "internationale jüdische Getto" liegt am Donauufer in der Nähe der Margaretenbrücke in Budapest. Hier befinden sich jene Häuser, die während der Deportation der Budapester Juden gegen Ende des Zweiten Weltkriegs unter dem Schutz von ausländischen Botschaften standen. Eine Gedenktafel erinnert an Raoul Wallenberg, jenen schwedischen Diplomaten, der im Sommer 1944 nach Budapest gekommen war und nach zähen Verhandlungen mit der SS schließlich Zehntausende Juden vor den Transporten in die Vernichtungslager retten konnte. In einem dieser Häuser wohnt noch heute der pensionierte Arzt Gyula Földes, der damals elf Jahre alt war.

    "Im Sommer '44, als Wallenberg seine Tätigkeit hier begann, wollte auch mein Vater für unsere Familie einen Schutzpass von der schwedischen Botschaft beantragen. Da sich die schwedische Botschaft in unserem Haus befand, war das auch kein Problem."

    Aber oft half sogar der Schutzpass nicht vor dem Zugriff durch die Deutschen und ihre ungarischen Helfer.
    "Nachts, am 7. Januar 1945, stürmten die Nazisoldaten unser Haus - das geschah wohl auf die Initiative des Hausmeisters. Sie drängten uns alle nach draußen und ließen uns entlang der Andrássy Straße bis zum Parteihaus der faschistischen 'Pfeilkreuzler'in der Városháza Straße marschieren. Die Alten erschossen sie unterwegs. Mein Vater und Onkel verschwanden auch, wahrscheinlich wurden sie mit Schüssen in die Donau getrieben."

    Dies geschah genau zehn Tage vor der Befreiung der Budapester Gettos. Dem elfjährigen Gyula Földes erlaubte man schließlich zusammen mit seiner Mutter und anderen Kindern aus dem Parteihaus wieder ins Getto zu gehen. Dort warteten sie in einem Keller, bis schließlich am 18. Januar 1945 die sowjetischen Soldaten einmarschierten. Gyula Földes ist überzeugt, dass er es Raoul Wallenberg zu verdanken hat, dass ihn die Nazis in diesen letzten zehn Tagen am Leben bleiben ließen.

    "Am Tag unserer Befreiung lag ein totes Pferd auf der Straße. Viele nutzten ihre Taschenmesser um daraus etwas Fleisch abzuschneiden. Meine Mutter schickte mich hin, ein Kind könnte leichter herankommen. Das war der erste und letzte Tag an dem ich Pferdefleisch aß."

    In diesen Tagen verschwand Raoul Wallenberg. Er wurde in die Sowjetunion verschleppt und starb dort unter bis heute noch ungeklärten Umständen. Mehr als ein halbes Jahrhundert danach beschäftigen sich jetzt, anlässlich des Wallenberg-Jahres, auch viele ungarische Jugendliche mit ihm. Die Schüler des jüdischen Lauder-Javne-Gymnasiums in Budapest machen bei einem speziellen Wallenberg-Wettbewerb mit und haben dafür einen Film über ihn gedreht. Die 16 jährige Daniela übernahm dabei eine Straßenumfrage:

    "Wir fragten Passanten, was sie über Wallenberg wissen. Vielen sagte der Name gar nichts, einige wussten, dass er ein schwedischer Diplomat war. Wir müssen alle an Wallenberg erinnern. Und an den Holocaust. Dass so etwas nie wieder passieren darf!"

    Der 16-jährige Oliver sieht Wallenberg auch heute noch als Vorbild und Hoffnungsträger:

    "Er war einer der wenigen, der Menschen gerettet und damit sein Leben riskiert hat. Leider konnte er aus meiner Familie niemanden retten, meine Vorfahren starben im Holocaust."

    Wie die rechtsradikale Partei Jobbik die Tätigkeit von Raoul Wallenberg bewertet, bleibt ungewiss, denn deren Abgeordneten möchten sich zu diesem Thema nicht äußern, heißt es auf Anfrage.

    Der ungarische Außenminister János Martonyi hat anlässlich des Wallenberg-Jahres erklärt, Ungarn sei - Zitat - "in einer Zeit des Schreckens gewogen und für zu leicht befunden worden." - Es habe seine Staatsbürger nicht retten können, und - wenn auch unter ausländischer Besatzung -zu ihrer Ermordung beigetragen.
    Für den überlebenden Gyula Földes geht es jetzt, im Wallenberg-Jahr, allerdings nicht nur um den einst spurlos verschwundenen Raoul Wallenberg, sondern genauso um seinen eigenen Vater.

    "Auch seine Leiche ist nirgendwo zu finden. Die Donau hat meinen Vater genommen. - Ich habe kein Friedhofsgrab, zu dem ich gehen könnte. Doch wenigstens bei solch einer Gedenkveranstaltung habe ich dann das Gefühl, als besuchte ich jetzt sein Grab."