Tief unten im klimageschützten Archivbunker der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz breitet sich eine intime Installation ganz eigener Art aus. Es sind Vitrinen, die wie aufgeklappte Holzkisten aussehen. Von oben blickt man auf verschiedenste Gegenstände. Postkarten, Notizhefte mit winziger Handschrift und mysteriösen Zeichnungen, Abbildungen von Spielzeug, Zahlenrätsel und anderes - das Privatarchiv Walter Benjamins, zumindest ein kleiner Teil davon. Sofort hat man den Eindruck einer sich räumlich ausbreitenden Organisationsform, die durch die stilisierte Kistenanordnung noch betont wird. Benjamin bereitete sein Denken als räumliche Struktur vor, in Form verschiedener Sammlungen, Schemata, Übertragungszeichen, Bilderatlanten. Deutlichster und berühmtester Ausdruck eines quasi begehbaren Denk- und Anschauungsraumes von Geschichte ist Benjamins "Passagen-Werk", jenes unvollendet gebliebene Konglomerat aus Untersuchungen und Beobachtungen, mit dem der Philosoph und Literaturwissenschaftler zugleich Paris als stadtgewordenes Gedächtnis des 19. Jahrhunderts in allen Facetten des Alltagslebens beleuchten wollte.
Sein eigenes Archiv, aus dem er seine Texte kombinierte, war wie ein Passagen-Werk organisiert. Reisepostkarten zählten für den vielgereisten Benjamin zu den wesentlichen Ortsbezügen, die ihm immer wieder Stichworte für innere Reise und Erinnerungen lieferten. Er breitete Sammlungen von symbolischen Verweisen um sich aus: Berühmt etwa sind die Abbildungen Sieneser Sibyllen, die in der Renaissance als Seherinnen und Prophetinnen geehrt wurden. Benjamin selbst, als Historiker, sah sich als "rückwärts gekehrten Propheten", dem die Zeit "im Medium des Vergangenen" erscheint. In seiner berühmten Miniaturschrift füllt er seine Notizbücher bis an den Rand und versieht sie mit immer neuen Querverweisen. Hinzu kommen Myriaden an Zettellagen die er dann in einer Art Copy-and-Paste-Verfahren auseinanderschneidet und zu Textbausteinen wieder zusammenfügt.
An den Wänden hängen Bilder befreundeter Fotografen: Sasha Stone und Germaine Krull. Letztere hat um 1928 die Auslagen der damals schon heruntergekommenen Pariser Passagen für Benjamin dokumentiert. Sasha Stone fotografierte die "raumgewordene Vergangenheit" in der Form bürgerlicher Wohnzimmer, in denen sich Kitsch und Nippes einer versunkenen Lebenswelt angesammelt hatten.
Man muss zwei Kilometer Luftlinie vom Pariser Platz zurücklegen, um zum zweiten Teil dieser Ausstellung zu gelangen. Im Museum Hamburger Bahnhof findet sich eine Reihe von Raum- und Lichtinstallationen, die die benjaminsche Idee des raumgewordenen Denkens für die Gegenwartskunst kongenial weiterspinnen. Es ist nicht nur der Versuch, Sprache in räumliche Bilder umzusetzen, wie bei den flirrenden Texttafeln von Eran Schaerf, deren geriffelte Oberfläche beim Vorübergehen immer neue Textschichten freilegt, praktisch wie ein bildgewordenes Notizbuch, das man durchblättert.
Marcel Broodthaers nimmt, bewußt oder unbewußt, ganz direkt auf die Passagen-Welt Benjamins Bezug, wenn er die La Fontainische Fabel "Le Corbeau et le Renard" (Der Rabe und der Fuchs) als Installation mit Texttafeln und allerlei Alltagsgegenständen auf Schautafeln oder einer Bodenvitrine verräumlicht. In einem abgedunkelten Raum sind dagegen mehrere einander überlagernde, zum Teil auch an den Wänden entlangwandernde Videoinstallationen von Alltagsgegenständen, Medienbildern, Filmsequenzen zu sehen. Hier hat der Medienkünstler Arnold Dreyblatt Archivdaten verbildlicht und lässt sie zu bewegten Bildatlanten werden, die immer neue figürliche Beziehungen unter den einzelnen Gegenständen herstellen.
Der jüngst verstorbene Graphik- und Medienkünstler Tomas Schmitt zeigt in einer kleinen Computeranimation geometrische Grundformen, die sich durch leichte Veränderungen in unterschiedlichste abstrakte Begriffs-Bilder verwandeln lassen.
Auf diese Weise entstehen höchst poetische, mehr oder weniger abstrakte Bilderwelten, die so ganz außerhalb der eingeübten Kunstdiskurse angesiedelt sind. Oft schon waren Archive und Sammlungen modische Accessoires der Dekonstruktivisten, etwa in der berühmten Ausstellung "Deep Storage" in den neunziger Jahren. Hier im Hamburger Bahnhof ist alles unaufgeregt und von angenehmer Intimität. Die Künstler haben nichts anderes getan, als Walter Benjamin auch: sie haben, in aller Stille, in Bildern über ihr eigenes Denken nachgedacht.
Schade, sehr schade nur, dass diese beiden schönen, zusammengehörenden Ausstellungen nicht an einem gemeinsamen Ort zu sehen sind.
Sein eigenes Archiv, aus dem er seine Texte kombinierte, war wie ein Passagen-Werk organisiert. Reisepostkarten zählten für den vielgereisten Benjamin zu den wesentlichen Ortsbezügen, die ihm immer wieder Stichworte für innere Reise und Erinnerungen lieferten. Er breitete Sammlungen von symbolischen Verweisen um sich aus: Berühmt etwa sind die Abbildungen Sieneser Sibyllen, die in der Renaissance als Seherinnen und Prophetinnen geehrt wurden. Benjamin selbst, als Historiker, sah sich als "rückwärts gekehrten Propheten", dem die Zeit "im Medium des Vergangenen" erscheint. In seiner berühmten Miniaturschrift füllt er seine Notizbücher bis an den Rand und versieht sie mit immer neuen Querverweisen. Hinzu kommen Myriaden an Zettellagen die er dann in einer Art Copy-and-Paste-Verfahren auseinanderschneidet und zu Textbausteinen wieder zusammenfügt.
An den Wänden hängen Bilder befreundeter Fotografen: Sasha Stone und Germaine Krull. Letztere hat um 1928 die Auslagen der damals schon heruntergekommenen Pariser Passagen für Benjamin dokumentiert. Sasha Stone fotografierte die "raumgewordene Vergangenheit" in der Form bürgerlicher Wohnzimmer, in denen sich Kitsch und Nippes einer versunkenen Lebenswelt angesammelt hatten.
Man muss zwei Kilometer Luftlinie vom Pariser Platz zurücklegen, um zum zweiten Teil dieser Ausstellung zu gelangen. Im Museum Hamburger Bahnhof findet sich eine Reihe von Raum- und Lichtinstallationen, die die benjaminsche Idee des raumgewordenen Denkens für die Gegenwartskunst kongenial weiterspinnen. Es ist nicht nur der Versuch, Sprache in räumliche Bilder umzusetzen, wie bei den flirrenden Texttafeln von Eran Schaerf, deren geriffelte Oberfläche beim Vorübergehen immer neue Textschichten freilegt, praktisch wie ein bildgewordenes Notizbuch, das man durchblättert.
Marcel Broodthaers nimmt, bewußt oder unbewußt, ganz direkt auf die Passagen-Welt Benjamins Bezug, wenn er die La Fontainische Fabel "Le Corbeau et le Renard" (Der Rabe und der Fuchs) als Installation mit Texttafeln und allerlei Alltagsgegenständen auf Schautafeln oder einer Bodenvitrine verräumlicht. In einem abgedunkelten Raum sind dagegen mehrere einander überlagernde, zum Teil auch an den Wänden entlangwandernde Videoinstallationen von Alltagsgegenständen, Medienbildern, Filmsequenzen zu sehen. Hier hat der Medienkünstler Arnold Dreyblatt Archivdaten verbildlicht und lässt sie zu bewegten Bildatlanten werden, die immer neue figürliche Beziehungen unter den einzelnen Gegenständen herstellen.
Der jüngst verstorbene Graphik- und Medienkünstler Tomas Schmitt zeigt in einer kleinen Computeranimation geometrische Grundformen, die sich durch leichte Veränderungen in unterschiedlichste abstrakte Begriffs-Bilder verwandeln lassen.
Auf diese Weise entstehen höchst poetische, mehr oder weniger abstrakte Bilderwelten, die so ganz außerhalb der eingeübten Kunstdiskurse angesiedelt sind. Oft schon waren Archive und Sammlungen modische Accessoires der Dekonstruktivisten, etwa in der berühmten Ausstellung "Deep Storage" in den neunziger Jahren. Hier im Hamburger Bahnhof ist alles unaufgeregt und von angenehmer Intimität. Die Künstler haben nichts anderes getan, als Walter Benjamin auch: sie haben, in aller Stille, in Bildern über ihr eigenes Denken nachgedacht.
Schade, sehr schade nur, dass diese beiden schönen, zusammengehörenden Ausstellungen nicht an einem gemeinsamen Ort zu sehen sind.