Das notierte Victor Jerofejew über die Schweiz. Die über Besitz, Wohlstand und "Haben" organisierte politische Identität der Eidgenossen ist in den letzten Jahren mächtig ins Trudeln geraten. Immer neue Berichte machten deutlich, dass die Schweiz im Zweiten Weltkrieg an allen Fronten Geschäfte gemacht hat, vor keiner Kollaboration zurückgeschreckt ist und dass Schweizer Banken bis heute von dem Kapital profitieren, das jüdische Bürger vor dem Abtransport in die Gaskammern bei ihnen eingelegt hatten. Von diesen schmutzigen Geschäften handeln mittlerweile ganze Bibliotheken, und es war nur eine Frage der Zeit, bis soviel Aufklärung einem Revisionsversuch unterzogen würde. Walther Hofer heißt der Mann, der sich aufgemacht hat, die Dinge im nationalen Sinne zurechtzurücken. "Hitler, der Westen und die Schweiz" ist sein Entlastungsversuch überschrieben, und erstaunlicherweise ist dieses Werk im Verlag der renommierten Neuen Zürcher Zeitung erschienen.
Der Schweizer Historiker Walther Hofer hat sich immer wieder mit dem Zweiten Weltkrieg befasst. Mit seinem neuesten Buch hat der mittlerweile Achtzigjährige zu einer geistigen Landesverteidigung ausgeholt, die in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert ist. So hat er nicht ganz den eigenen Kräften vertraut, sondern sich einen amerikanischen Historiker als Co-Autor geholt. Genau genommen aber ist dieser Verbündete von jenseits des Atlantiks kein richtiger Co-Autor, sondern der Lieferant eines eigenständigen Manuskripts über die wirtschaftlichen Verflechtungen der Alliierten - aber eben auch der Schweiz - mit Deutschland, während Hofer die Außenpolitik dieser Länder aufs Korn nimmt. Man hat es also mit zwei Autoren zu tun, die getrennt marschiert sind, sich aber in ihrer Verteidigungsstrategie nahtlos ergänzen. Für beide ist darüber hinaus Angriff die beste Verteidigung.
Die Schweiz ist unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg unter Druck geraten - man kann auch sagen: sie war international geächtet, weil ihr vier Vorwürfe gemacht wurden: Erstens habe sie hinter dem Schleier der Neutralität mit Deutschland politisch kollaboriert, sie habe zweitens mit unmenschlicher Härte das Schicksal der Verfolgten ignoriert, also bei weitem zu wenig Flüchtlinge aufgenommen, sie habe drittens mit ihrem Finanzsystem nicht nur zur Verlängerung des Krieges beigetragen, sondern sich viertens schamlos bereichert. Nachdem es um diese Vorwürfe im Laufe der Jahrzehnte stiller geworden war, geriet die Schweiz 1997 durch den Eizenstat-Bericht über "Das Benehmen der neutralen Staaten Europas während des Zweiten Weltkriegs" erneut massiv unter Beschuss. Im Grunde hatte der Undersecretary of Commerce, Stuart Eizenstat, lediglich alte Vorwürfe zugespitzt, aber sie erhielten eine neue Brisanz dadurch, dass sie den Finanzplatz Schweiz torpedierten und darüber hinaus mit massiven Schadenersatzforderungen verknüpft waren.
Die Schweiz zeigte Wirkung und setzte die Bergier-Kommission ein, eine Gruppe von schweizerischen und internationalen Experten um den Historiker Jean-François Bergier. Sie untersucht den Verbleib der sogenannten "nachrichtenlosen" Vermögen von Nazi-Opfern, die vom Nazi-Regime und seinen Mittelsmännern in der Schweiz hinterlegten Vermögenswerte, sie fragt nach gestohlenen Kunstgütern, nimmt die Goldtransaktionen mit der Reichsbank unter die Lupe und - besonders schmerzhaft - widmet sich der schweizerischen Flüchtlingspolitik während jener Zeit. Hofer erwähnt Bergier an einer Stelle in einem anderen Zusammenhang, Reginbogin ignoriert ihn ganz. Es ist leicht zu erkennen, dass es sich bei dem Zwillingswerk um einen Anti-Bergier handelt.
Walther Hofer schildert breit die Appeasementpolitik der Westmächte, insbesondere die von Neville Chamberlain. Für den Kundigen ist dabei erstaunlich, dass Hofer praktisch nichts Neues darlegt, höchstens ein paar neue Zitate zusammengetragen hat. Sein Vorwurf: Hätten die Westmächte rechtzeitig ein durchaus riskantes, aber nicht hoffnungsloses Stoppzeichen errichtet, wäre es gar nicht zur Katastrophe des Zweiten Weltkrieges einschließlich der Judenvernichtung gekommen. Und, so Walther Hofer, weswegen hätte man von der kleinen Schweiz einen Mut erwarten sollen, den die ungleich mächtigeren Staaten nicht hatten?
Nun ist Hofer nicht so ungeschickt, so zu tun, als seien alle Handlungsweisen durch das Versagen des Westens und die eigene unverschuldete Schwäche gedeckt. Heftig greift er den Schweizer Gesandten Hans Frölicher in Berlin wegen dessen Sympathien mit dem Naziregime an.
Es ist denkbar, dass sich Frölicher bereits bei seinem Antrittsbesuch von Hitlers äußerst positiven Ausführungen über die Schweiz derart beeinflussen ließ, dass er nachher jegliche kritische Distanz dem deutschen Reichskanzler gegenüber verloren hat. ... In welchem Ausmaß Frölicher die politischen Ansichten seiner deutschen Gesprächspartner zum Nennwert nimmt oder sie sich gar zu eigen macht, kann durch die ganze Sudetenkrise hindurch verfolgt werden. Pressehetze gibt es in Prag, nicht in Deutschland; Provokationen kommen von tschechischer, nicht von deutscher Seite; eine Kriegspartei gibt es in Prag, nicht in Berlin.
Das ist aber ein ganz alter Hut. Frölicher war nach dem Zweiten Weltkrieg für die Schweizer ein Aussätziger, und die Akten des Auswärtigen Amtes, die in den 90er Jahren publiziert wurden, haben die Vorwürfe gegen Frölicher noch einmal verstärkt. Ein ganz ähnliches Argumentationsmuster findet sich auch bei Reginbogin. Mit vielen Analysen und Zahlen weist er in durchaus interessanten Untersuchungen nach, dass es auch noch während der ersten Kriegsjahre einen regen Handel zwischen den Westmächten und Hitlerdeutschland gegeben hat.
Wenn heute amerikanische Politiker, Journalisten oder sogenannte 'Historiker' europäische neutrale Länder bezichtigen, durch ihre Profitgier während des Zweiten Weltkriegs zu einer Kriegsverlängerung beigetragen zu haben, so muss es erlaubt sein, die Handlungen amerikanischer Wirtschaftsführer sowie deren Banken und Schlüsselindustrien dagegenzuhalten. Das Ausmaß von Geschäften zwischen amerikanischen Finanziers mit Hitler-Deutschland hat dazu beigetragen, das Rüstungspotential Deutschlands zu erhöhen und strategische Vorteile sowohl vor als auch noch während des Krieges zu gewinnen.
Verglichen mit den Volumina dieses Austauschs spielte die Schweiz, so Reginbogin, eine ungleich geringere Rolle, und das gilt auch für die Bankgeschäfte. Kriegsverlängernd habe der Schweizer Handel jedenfalls nicht gewirkt, behauptet Reginbogin immer wieder. Für einen Laien ist es allerdings schwer zu verstehen, warum man einen durchaus nennenswerten Handel treibt, ohne dass dies den Beteiligten nützt. Wenn aber ein solcher Handel Nutzen stiftet, dann wird sich dieser Nutzen auch in der militärischen Schlagkraft zeigen, zumal die Schweiz an Deutschland Kanonen und Rohstoffe für Waffen wie Wolfram geliefert hat.
Befremdlicher, um nicht zu sagen, ärgerlicher sind an beiden Beiträgen zur Landesverteidigung andere Punkte. Zum einen geht Walther Hofer so gut wie nicht auf die Flüchtlingspolitik der Schweiz ein. Die Berichte der Bergier-Kommission haben dagegen deutlich gemacht, dass die Schweiz hier schwer gesündigt hat. Und zu Reginbogin muss man sagen: Es mag ja sein, dass sich die Bankgeschäfte aus dem neutralen Sonderstatus der Schweiz erklären lassen, sich durchaus auch in einem vergleichbaren Rahmen mit anderen Geschäften anderer Länder bewegten und zudem als Mittel der Landesverteidigung dienten, weil sich die Schweiz militärisch ganz sicher nicht hätte behaupten können. Aber die miese Praxis in den Nachkriegsjahren, von den Kindern der Naziopfern höhnisch an den Bankschaltern die Totenscheine zu verlangen und sie, weil es für die Ermordeten bekanntlich keine Totenscheine gab, kalt abblitzen zu lassen, zeigt doch, dass da etwas mental nicht gestimmt hat.
Beide Autoren betreiben eine halbierte Geschichtsschreibung. In ihrem Eifer, die Schweiz ein für allemal und restlos zu rehabilitieren, machen sie die Schweiz schlechter, als sie ist. Denn sie ignorieren vollkommen, dass es in der Schweiz eine heftige Auseinandersetzung mit dem Verhalten im Zweiten Weltkrieg und danach gegeben hat. Bohrend haben Autoren wie Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch nach der Schweizer Identität gefragt, Jean Ziegler hat die Gewissenlosigkeit der Schweizer Bankiers während und nach dem Zweiten Weltkrieg in mehreren Büchern dargelegt, Autoren wie Niklaus Meienberg haben sich fulminant mit den Mentalitäten der Militärs, der Geschäftsleute und Kollaborateure und der Lebenslüge, die Schweiz habe ihre Freiheit ihrer Milizarmee zu verdanken, auseinandergesetzt. Es hängt auch damit zusammen, dass 1989 immerhin ein Drittel der Bevölkerung für die Initiative, "Schweiz ohne Armee", gestimmt hat.
Beide Autoren markieren zu dem Trend der kritischen Auseinandersetzung einen Gegentrend, den der Rechthaberei. Sie stehen damit nicht allein. Gerade ist von dem französischen Journalisten Jean-Pierre Richardot ein Buch erschienen, in dem ebenfalls der Versuch unternommen wird, das Bild der Schweiz im Zweiten Weltkrieg kräftig aufzuhellen. Gleichwohl bleibt ein Erstaunen darüber, dass das Buch von Hofer und Reginbogin im Verlag der Neuen Zürcher Zeitung erscheinen konnte. Dieses Blatt hat zwar kräftig gegen Eizenstat geschossen, aber immer wieder zu differenzierten Positionen gefunden, etwa bei der Kommentierung der Akten des Auswärtigen Amtes aus der Kriegszeit. Warum dieser Verlag jetzt eine derart plumpe Geschichtspolitik betreibt, ist schleierhaft.
Stephan Wehowsky über "Walther Hofer, Herbert R. Reginbogin: Hitler, der Westen und die Schweiz 1936 - 1945". Der Band ist im Verlag der Neuen Zürcher Zeitung erschienen. 692 Seiten für EUR 45.
Der Schweizer Historiker Walther Hofer hat sich immer wieder mit dem Zweiten Weltkrieg befasst. Mit seinem neuesten Buch hat der mittlerweile Achtzigjährige zu einer geistigen Landesverteidigung ausgeholt, die in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert ist. So hat er nicht ganz den eigenen Kräften vertraut, sondern sich einen amerikanischen Historiker als Co-Autor geholt. Genau genommen aber ist dieser Verbündete von jenseits des Atlantiks kein richtiger Co-Autor, sondern der Lieferant eines eigenständigen Manuskripts über die wirtschaftlichen Verflechtungen der Alliierten - aber eben auch der Schweiz - mit Deutschland, während Hofer die Außenpolitik dieser Länder aufs Korn nimmt. Man hat es also mit zwei Autoren zu tun, die getrennt marschiert sind, sich aber in ihrer Verteidigungsstrategie nahtlos ergänzen. Für beide ist darüber hinaus Angriff die beste Verteidigung.
Die Schweiz ist unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg unter Druck geraten - man kann auch sagen: sie war international geächtet, weil ihr vier Vorwürfe gemacht wurden: Erstens habe sie hinter dem Schleier der Neutralität mit Deutschland politisch kollaboriert, sie habe zweitens mit unmenschlicher Härte das Schicksal der Verfolgten ignoriert, also bei weitem zu wenig Flüchtlinge aufgenommen, sie habe drittens mit ihrem Finanzsystem nicht nur zur Verlängerung des Krieges beigetragen, sondern sich viertens schamlos bereichert. Nachdem es um diese Vorwürfe im Laufe der Jahrzehnte stiller geworden war, geriet die Schweiz 1997 durch den Eizenstat-Bericht über "Das Benehmen der neutralen Staaten Europas während des Zweiten Weltkriegs" erneut massiv unter Beschuss. Im Grunde hatte der Undersecretary of Commerce, Stuart Eizenstat, lediglich alte Vorwürfe zugespitzt, aber sie erhielten eine neue Brisanz dadurch, dass sie den Finanzplatz Schweiz torpedierten und darüber hinaus mit massiven Schadenersatzforderungen verknüpft waren.
Die Schweiz zeigte Wirkung und setzte die Bergier-Kommission ein, eine Gruppe von schweizerischen und internationalen Experten um den Historiker Jean-François Bergier. Sie untersucht den Verbleib der sogenannten "nachrichtenlosen" Vermögen von Nazi-Opfern, die vom Nazi-Regime und seinen Mittelsmännern in der Schweiz hinterlegten Vermögenswerte, sie fragt nach gestohlenen Kunstgütern, nimmt die Goldtransaktionen mit der Reichsbank unter die Lupe und - besonders schmerzhaft - widmet sich der schweizerischen Flüchtlingspolitik während jener Zeit. Hofer erwähnt Bergier an einer Stelle in einem anderen Zusammenhang, Reginbogin ignoriert ihn ganz. Es ist leicht zu erkennen, dass es sich bei dem Zwillingswerk um einen Anti-Bergier handelt.
Walther Hofer schildert breit die Appeasementpolitik der Westmächte, insbesondere die von Neville Chamberlain. Für den Kundigen ist dabei erstaunlich, dass Hofer praktisch nichts Neues darlegt, höchstens ein paar neue Zitate zusammengetragen hat. Sein Vorwurf: Hätten die Westmächte rechtzeitig ein durchaus riskantes, aber nicht hoffnungsloses Stoppzeichen errichtet, wäre es gar nicht zur Katastrophe des Zweiten Weltkrieges einschließlich der Judenvernichtung gekommen. Und, so Walther Hofer, weswegen hätte man von der kleinen Schweiz einen Mut erwarten sollen, den die ungleich mächtigeren Staaten nicht hatten?
Nun ist Hofer nicht so ungeschickt, so zu tun, als seien alle Handlungsweisen durch das Versagen des Westens und die eigene unverschuldete Schwäche gedeckt. Heftig greift er den Schweizer Gesandten Hans Frölicher in Berlin wegen dessen Sympathien mit dem Naziregime an.
Es ist denkbar, dass sich Frölicher bereits bei seinem Antrittsbesuch von Hitlers äußerst positiven Ausführungen über die Schweiz derart beeinflussen ließ, dass er nachher jegliche kritische Distanz dem deutschen Reichskanzler gegenüber verloren hat. ... In welchem Ausmaß Frölicher die politischen Ansichten seiner deutschen Gesprächspartner zum Nennwert nimmt oder sie sich gar zu eigen macht, kann durch die ganze Sudetenkrise hindurch verfolgt werden. Pressehetze gibt es in Prag, nicht in Deutschland; Provokationen kommen von tschechischer, nicht von deutscher Seite; eine Kriegspartei gibt es in Prag, nicht in Berlin.
Das ist aber ein ganz alter Hut. Frölicher war nach dem Zweiten Weltkrieg für die Schweizer ein Aussätziger, und die Akten des Auswärtigen Amtes, die in den 90er Jahren publiziert wurden, haben die Vorwürfe gegen Frölicher noch einmal verstärkt. Ein ganz ähnliches Argumentationsmuster findet sich auch bei Reginbogin. Mit vielen Analysen und Zahlen weist er in durchaus interessanten Untersuchungen nach, dass es auch noch während der ersten Kriegsjahre einen regen Handel zwischen den Westmächten und Hitlerdeutschland gegeben hat.
Wenn heute amerikanische Politiker, Journalisten oder sogenannte 'Historiker' europäische neutrale Länder bezichtigen, durch ihre Profitgier während des Zweiten Weltkriegs zu einer Kriegsverlängerung beigetragen zu haben, so muss es erlaubt sein, die Handlungen amerikanischer Wirtschaftsführer sowie deren Banken und Schlüsselindustrien dagegenzuhalten. Das Ausmaß von Geschäften zwischen amerikanischen Finanziers mit Hitler-Deutschland hat dazu beigetragen, das Rüstungspotential Deutschlands zu erhöhen und strategische Vorteile sowohl vor als auch noch während des Krieges zu gewinnen.
Verglichen mit den Volumina dieses Austauschs spielte die Schweiz, so Reginbogin, eine ungleich geringere Rolle, und das gilt auch für die Bankgeschäfte. Kriegsverlängernd habe der Schweizer Handel jedenfalls nicht gewirkt, behauptet Reginbogin immer wieder. Für einen Laien ist es allerdings schwer zu verstehen, warum man einen durchaus nennenswerten Handel treibt, ohne dass dies den Beteiligten nützt. Wenn aber ein solcher Handel Nutzen stiftet, dann wird sich dieser Nutzen auch in der militärischen Schlagkraft zeigen, zumal die Schweiz an Deutschland Kanonen und Rohstoffe für Waffen wie Wolfram geliefert hat.
Befremdlicher, um nicht zu sagen, ärgerlicher sind an beiden Beiträgen zur Landesverteidigung andere Punkte. Zum einen geht Walther Hofer so gut wie nicht auf die Flüchtlingspolitik der Schweiz ein. Die Berichte der Bergier-Kommission haben dagegen deutlich gemacht, dass die Schweiz hier schwer gesündigt hat. Und zu Reginbogin muss man sagen: Es mag ja sein, dass sich die Bankgeschäfte aus dem neutralen Sonderstatus der Schweiz erklären lassen, sich durchaus auch in einem vergleichbaren Rahmen mit anderen Geschäften anderer Länder bewegten und zudem als Mittel der Landesverteidigung dienten, weil sich die Schweiz militärisch ganz sicher nicht hätte behaupten können. Aber die miese Praxis in den Nachkriegsjahren, von den Kindern der Naziopfern höhnisch an den Bankschaltern die Totenscheine zu verlangen und sie, weil es für die Ermordeten bekanntlich keine Totenscheine gab, kalt abblitzen zu lassen, zeigt doch, dass da etwas mental nicht gestimmt hat.
Beide Autoren betreiben eine halbierte Geschichtsschreibung. In ihrem Eifer, die Schweiz ein für allemal und restlos zu rehabilitieren, machen sie die Schweiz schlechter, als sie ist. Denn sie ignorieren vollkommen, dass es in der Schweiz eine heftige Auseinandersetzung mit dem Verhalten im Zweiten Weltkrieg und danach gegeben hat. Bohrend haben Autoren wie Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch nach der Schweizer Identität gefragt, Jean Ziegler hat die Gewissenlosigkeit der Schweizer Bankiers während und nach dem Zweiten Weltkrieg in mehreren Büchern dargelegt, Autoren wie Niklaus Meienberg haben sich fulminant mit den Mentalitäten der Militärs, der Geschäftsleute und Kollaborateure und der Lebenslüge, die Schweiz habe ihre Freiheit ihrer Milizarmee zu verdanken, auseinandergesetzt. Es hängt auch damit zusammen, dass 1989 immerhin ein Drittel der Bevölkerung für die Initiative, "Schweiz ohne Armee", gestimmt hat.
Beide Autoren markieren zu dem Trend der kritischen Auseinandersetzung einen Gegentrend, den der Rechthaberei. Sie stehen damit nicht allein. Gerade ist von dem französischen Journalisten Jean-Pierre Richardot ein Buch erschienen, in dem ebenfalls der Versuch unternommen wird, das Bild der Schweiz im Zweiten Weltkrieg kräftig aufzuhellen. Gleichwohl bleibt ein Erstaunen darüber, dass das Buch von Hofer und Reginbogin im Verlag der Neuen Zürcher Zeitung erscheinen konnte. Dieses Blatt hat zwar kräftig gegen Eizenstat geschossen, aber immer wieder zu differenzierten Positionen gefunden, etwa bei der Kommentierung der Akten des Auswärtigen Amtes aus der Kriegszeit. Warum dieser Verlag jetzt eine derart plumpe Geschichtspolitik betreibt, ist schleierhaft.
Stephan Wehowsky über "Walther Hofer, Herbert R. Reginbogin: Hitler, der Westen und die Schweiz 1936 - 1945". Der Band ist im Verlag der Neuen Zürcher Zeitung erschienen. 692 Seiten für EUR 45.