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Wandelndes Laub am Meeresgrund

Biologie. - Wer in Martha's Vinyard, der traditionellen Sommerresidenz des Kennedy-Clans an der US-Ostküste, bei einem gemütlichen Spaziergang am Strand versonnen ins Wasser schaut, wird dabei auch einiges an Laub bemerken. Bei näherer Untersuchung wird der Beobachter allerdings feststellen, dass sich einige dieser Blätter merkwürdig anfühlen und sogar bewegen. Dabei handelt es sich um perfekt getarnte Meeresschnecken, die überdies eine weitere Eigenart besitzen - wie Blätter ernähren sie sich von Licht.

    Eigentlich sollte es verwundern, wenn sich eine langjährige Pflanzenphysiologin auf einmal verstärkt mit Tieren auseinandersetzt. Genau dies passierte Mary Rumphor von der Universität von Maine. Ausgelöst hat den Sinneswandel die kleine Meeresschnecke namens Alyssa chlorotica: "Was diese Schnecke so einmalig macht, ist ihre Eigenschaft, sich Chloroplasten aus Algen zu verschaffen und diese Lichtwandler der Pflanzen in eigene Zellen einzubauen", erklärt Biologin. Damit stelle Alyssa ein Tier dar, das Photosynthese betreibe und wie eine Pflanze funktioniere, in dem es Sonnenlicht und Kohlendioxid als Lebensgrundlage nutzt. Damit sei auch die Haltung der Tiere im Aquarium denkbar einfach - eine Lampe genüge.

    Dabei ist es gar nicht so selten, dass auch Tiere mit Hilfe von Chlorophyll die Energie des Sonnenlichtes nutzen. So leben beispielsweise Korallen in Symbiose mit einzelligen Algen, ebenso der Süßwasserpolyp Hydra. Trotzdem sei Alyssa chlorotica etwas Besonderes, so Rumphor, denn sie nehme das Chlorophyll direkt in sich auf: "Während Hydra und andere Meerestiere ganze, intakte Algen in sich aufnehmen, die selbst alle nötigen Komponenten für die Photosynthese mitbringen, nimmt die Schnecke nur die Chloroplasten auf, die aber normalerweise nicht autonom funktionieren können." Dabei genüge es, wenn die Schnecke als Jungtier wenige Male von einer bestimmten Algenart fresse. Die so gewonnenen Chloroplasten wanderten bei der Verdauung der Algen durch die Darmwand und würden dann in die Hautzellen der Schnecke eingebaut, wo sie für das gesamte Leben der Schnecke - immerhin rund neun Monate - funktionieren.

    Eigentlich dürfte das nicht einen einzigen Tag lang klappen, betont die Forscherin. "Trotzdem leben und arbeiten die Chloroplasten überlange Zeit in den Zellen, obwohl sie weder von Zellkern, noch von der Zellflüssigkeit mit lebenswichtigen Proteinen versorgt werden", schildert Mary Rumphor. Allerdings konnte die Forscherin in den Schneckenzellen auch nach neun Monaten noch Proteine nachweisen, die ansonsten nur in Algen gebildet werden. "Wenn die genetischen Informationen dazu irgendwann in der Vergangenheit von den Algen auf die Schnecke übergingen, dann wäre dies ein außergewöhnlicher Gentransfer zwischen zwei sehr unterschiedlichen Organismen", so Rumphor. Doch möglicherweise gibt es noch eine andere Erklärung für das Phänomen. So beobachtete Rumphor bei älteren Schnecken ein Virus, von dem sie vermutet, dass es die Algengene in das Tierreich verschleppt haben könnte.

    [Quelle: Ismeni Walter]