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Wandernde Insel

Ozeanographie. – Für die Bewohner der friesischen Inseln ist es seit Jahrhunderten Alltag: auf deren seezugewandten Seite dringt das Meer unaufhaltsam vor. Bestes Beispiel ist Sylt. Dort hat jetzt der Leiter der Wattenmeerstation im Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in List den ungewöhnlichen Vorschlag gemacht, dem Meer an der Westküste keinen größeren Widerstand mehr entgegenzusetzen, sondern dafür an der landzugewandten Ostküste Sand anzuspülen.

    Um 2,5 Millimeter steigt der Meeresspiegel pro Jahr an und entsprechend verstärkt sich der Druck auf die sandigen Strände der deutschen Nordseeinseln. Denn mit steigendem Wasserspiegel steigt auch der "Sandhunger" der See. Sie trägt immer mehr Land ab, damit auch am neugewonnenen Meeresboden eine optimale Energieverteilung gegeben ist. Traditionelle Versuche, dem Treiben mit wuchtigen Mauern oder Gestellen zu begegnen, sind regelmäßig nach mehr oder weniger kurzer Frist gescheitert. Doch auch die moderne Methode, Sand an den bedrohten Stränden anzuspülen und damit den Wellen nur ein weiches Ziel zu bieten, gewährt nur vorübergehenden Schutz.

    Der Leiter der AWI-Wattenmeerstation, Professor Karsten Reise, wartete daher jetzt mit einem unkonventionellen Vorschlag auf: der Sand solle statt auf der gefährdeten Westseite auf der geschützten Ostseite von Sylt angespült werden. Reise: "Auf der Westseite bleibt der Sand einen oder zwei Winter liegen, auf der Ostseite dagegen viele Jahrzehnte, so dass wir dort für das gleiche Geld viel mehr erreichen können." Im Grunde plädiert Reise damit für eine künstliche Nachahmung der natürlichen Verhältnisse auf Sylt. Bevor der Mensch ihn unterband, gab es einen natürlichen Erdtransport von West nach Ost. Das Meer lockerte das Erdreich im Westen, der Wind verwandelte es in Wanderdünen, die sich über die Insel nach Osten bewegten und dort neues Land bildeten. Landverlust- und Gewinn hielten sich so halbwegs die Waage. Erst mit dem Eingreifen des Menschen, der keine Wanderdünen in seinem Lebensraum duldete begann, so Reise, der Nettoschwund der Insel.

    Mit künstlichen Sandanspülungen könnte der Schwund möglicherweise aufgehalten werden. Abfinden müsste man sich dann allerdings mit dem weiteren Landverlust im Westen und einer langsamen Wanderung der Insel nach Osten. Doch diese Wanderung gehe, so Reise, mit einem bis 1,5 Meter im Jahr vergleichsweise langsam voran.

    [Quelle: Gerd Pasch]