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Warm, dicht, extrem

Astrophysik.- Wie es im Inneren von Jupiter, Saturn und Neptun aussieht, können Planetenforscher nur vermuten. Immerhin sind Physiker mittlerweile in der Lage, das Innere von Gasplaneten halbwegs realistisch zu simulieren. Dabei schaffen sie eine besonders exotische Form der Materie.

Von Frank Grotelüschen | 12.04.2011
    "Ich denke, die beste Definition ist einfach zu sagen, was es nicht ist: Es ist kein Festkörper, keine normale Flüssigkeit, kein Plasma wie in der Sonne. Sondern hat Eigenschaften von allen."

    Jan Vorberger tut sich ein wenig schwer, das Objekt seiner Forscherbegierde in Worte zu fassen. Der deutsche Physiker arbeitet in England an der Universität Warwick und befasst sich mit einer Materieform, die es auf der Erde eigentlich gar nicht gibt: Warme dichte Materie, so heißt sie, kann nur unter extremen Bedingungen existieren.

    "Temperaturen ungefähr von 5000 Kelvin bis 100.000 Kelvin. Und von den Drücken her würde ich sagen: ein Megabar."

    Ein Megabar, das ist millionenfacher Atmosphärendruck. Bedingungen, wie man sie allenfalls im Weltall findet, im Inneren bestimmter Planeten.

    "Nicht Planeten wie die Erde oder wie Mars, sondern Gasriesen: Jupiter, Saturn, Neptun. Und mittlerweile weiß man von über 520 Planeten außerhalb unseres Sonnensystems. Und von denen denkt man, dass die meisten solche riesenhaften Gasplaneten sind."

    Im Inneren dieser Gasriesen dürften Druck und Temperatur so groß sein, dass sich warme dichte Materie bilden kann. Das Problem:

    "Zu vielen Planeten kann man nicht wirklich hinfliegen. Man kann nur von außen beobachten und nicht innen drin messen. Und das ist dann die Möglichkeit, auf der Erde solche Zustände herzustellen und indirekt auf den Aufbau von solchen Planeten zu schließen."

    Seit einiger Zeit nämlich lässt sich die warme dichte Materie auch auf der Erde erzeugen – in den Labors der Physiker. Doch einfach ist das nicht, erzählt Vorbergers Kollege Dirk Gericke.

    "Man fängt mit einer Materie an, meistens ein Festkörper. Den muss man sehr stark aufheizen und komprimieren. Das Hauptwerkzeug sind heutzutage Laser. Man heizt und komprimiert durch den Laser."

    Die Physiker schießen kurze, extrem starke Laserblitze auf den Festkörper, etwa ein Stückchen Metall. Diese Blitze schaffen es tatsächlich, den Kristall innerhalb kürzester Zeit so stark aufzuheizen, dass warme dichte Materie entstehen kann. Allerdings mit einer Einschränkung:

    "Im Labor existiert das nur für Bruchteile von Sekunden. Es gibt keine Möglichkeiten, das für längere Zeit stabil zu halten. Das fliegt einem wirklich einfach um die Ohren."

    Immerhin: Die Sekundenbruchteile reichen, um den exotischen Materiezustand mit speziellen Analysemethoden untersuchen zu können. Und so wissen die Experten mittlerweile einiges über die warme dichte Materie: Dass die Kristallstruktur durch die hohen Temperaturen zerstört ist und sich die Materie deshalb ähnlich wie eine Flüssigkeit verhält, gleichzeitig aber die Dichte von einem massiven Festkörper besitzt. Dass Elektronen extrem schnell durch das Gewusel flitzen wie sonst nur in einem heißen Plasma. Und welches Volumen die warme dichte Materie bei einer bestimmten Temperatur einnimmt. Letzteres ist für die Planetenforschung relevant – etwa wenn man verstehen will, warum ein Gasriese so groß ist wie er ist.

    "Ein Beispiel ist, dass es bis jetzt eine ziemlich große Diskrepanz gab zwischen Modellen, wie sich Saturn entwickelt und Beobachtungen. Und in den letzten ein bis zwei Jahren hat sich entwickelt, dass die Theorie dichter an Beobachtungen dran ist."

    Die Erkenntnisse der Physiker haben also geholfen, ein besseres, ein realistischeres Computermodell des Saturn auf die Beine zu stellen. Doch die Erkundung der warmen dichten Materie verspricht noch eine weitere Anwendung – und zwar für die Energieversorgung der fernen Zukunft. Forscher arbeiten daran, mit superstarken Lasern Wasserstoff so zu beschießen, dass er zu Helium verschmilzt, wobei dann jede Menge Energie frei würde, sagt Dirk Gericke.

    "Bei der Laserfusion ist es so, dass man mit einem kalten Wasserstoffpellet anfängt. Das ist gefrorener Wasserstoff, und den muss man tausendfach komprimieren und dabei noch zu extremen Temperaturen hochheizen."

    Und während des Heizens wird das Wasserstoff-Kügelchen vorübergehend zu warmer dichter Materie – ein Zustand zwischen dem gefrorenem Wasserstoff und dem brennenden Plasma. Und je genauer die Physiker diesen Zwischenzustand verstehen, umso größer sind die Chancen, das Wasserstoffkügelchen erfolgreich zu zünden. Genau das wird derzeit in den USA versucht, mit "NIF", dem stärksten Laser der Welt. Noch in diesem Jahr, so die Hoffnung, könnte die Zündung klappen. Und dann wäre auch klar, ob die Physiker die warme dichte Materie tatsächlich detailliert genug verstanden haben.