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Warnsignale aus der Vergangenheit

Geologie. - Das Tote Meer liegt 425 Meter unter dem Meeresniveau, in einer Region, die durch Wassermangel ebenso gekennzeichnet ist wie durch eine lange Menschheitsgeschichte. Beides hatten die Geowissenschaftler im Visier, die zwischen November 2010 und März 2011 an zwei Stellen im Toten Meer Bohrkerne gezogen haben. Eine ihrer Lehren: Die Naturgeschichte des Sees ist sehr wechselhaft, vor 25.000 Jahren war der Wasserstand 250 Meter höher als heute, vor 125.000 Jahren war das Wasser ganz verschwunden.

Von Dagmar Röhrlich |
    250.000 Jahre reicht der längere der beiden Bohrkerne zurück und damit genau hinein in das Wechselspiel der Eis- und Warmzeiten, das seit mehr als zwei Millionen Jahren das Klimageschehen auf der Erde prägt. Dank der grauen und weißen Lagen, die sich in den Bohrkernen abwechseln, lassen sich die Abläufe aufs Jahr genau auflösen: Im Winter spülen Niederschläge dunklen Schutt aus den umliegenden Bergen in den See. Im Sommer herrscht Dürre und am Boden setzen sich helle Lagen aus Kalk- und sogar Salzmineralien ab. Dieses Streifenmuster verrät, dass die Naturgeschichte des Toten Meeres sehr wechselhaft war:

    "Zu den Highlights unserer Ergebnisse gehört, dass wir rund 230 Meter unter dem Seeboden Beweise dafür gefunden haben, dass das Tote Meer vor etwa 125.000 Jahren komplett ausgetrocknet war."

    Und zwar ist dieser Beweis eine 40 Zentimeter mächtige Kiesellage im Bohrkern aus der tiefsten Stelle im Toten Meer, erläutert Zvi Ben-Avraham vom Minerva Dead Sea Research Center an der Tel Aviv University. Solche Lagen entstehen an Ufern - und wenn sie sich in der Mitte des Sees bildeten, muss der Wasserstand extrem niedrig gewesen sein. Bislang galt es jedoch als unwahrscheinlich, dass das Tote Meer vollkommen trocken fallen könnte: In Experimenten mit Seewasser dickte die Salzbrühe so sehr ein, dass die Verdunstung vorher stoppte. Der Bohrkern erzählt jetzt offenbar etwas anderes: dass das Tote Meer einst durch natürliche Klimaschwankungen vollkommen verschwand. Ben-Avraham:

    "Das Ganze ereignete sich am Ende einer Warmzeit. Während der Warmzeiten ist der Wasserstand im Toten Meer niedrig, während er in den Kaltzeiten steigt. Das liegt daran, dass es während dieser Vereisungsphasen im Einzugsgebiet mehr regnet und der Wasserspiegel deshalb steigt. In der Warmzeit vor 125.000 Jahren sehen wir, wie es zunehmend trockener wurde, denn unterhalb der Kiesellage befindet sich eine 45 Meter mächtige Salzschicht."

    Berechnungen zeigen, dass das gesamte Wasser, das heute im See ist, verdunstet sein müsste, damit eine so mächtige Salzschicht zurückbleibt. Auch derzeit sinkt der Wasserstand im Toten Meer dramatisch: In den vergangenen 15 Jahren um 15 Meter. Deshalb musste vor dem Start des Bohrprojektes im November 2010 eine neue Straße ans Ufer gebaut werden. Allerdings hat der aktuelle Schwund menschengemachte Ursachen. Ben-Avraham:

    "Der Jordan spült heute kaum noch Wasser ins Tote Meer, weil es zuvor in Israel und Jordanien entnommen wird. Dazu kommt, dass die Industrie im Süden des Sees zusätzlich Wasser herauspumpt. Wenn es uns gelingt, diese Probleme zu lösen, dann lehrt uns der Bohrkern, dass sich der See wieder erholen kann."

    Dabei gibt es jedoch eine Unbekannte: den Klimawandel. In Modellrechnungen sieht es so als, ob diese Region künftig immer trockener wird. Es scheint also möglich, dass der See erneut trockenfällt. Dass sich etwas anderes wiederholt, ist hingegen sicher: Verrutschte Zonen in den Sedimentschichten der Bohrkernen verraten, dass die Gegend immer wieder von schweren Erdbeben erschüttert worden ist:

    "Wir sehen viele Anzeichen für Erdbeben - und wir sehen, dass sie immer in Clustern auftreten. Es gibt ruhige Perioden und solche, in denen die Bebenaktivität hoch ist. Diese Beben können durchaus stark werden und haben im Lauf der Geschichte bereits große Zerstörungen angerichtet. Moderne GPS-Messungen zeigen, dass an der Störung, die durch das Tote Meer läuft, die beiden Schollen jährlich um fünf Millimeter gegeneinander versetzt werden. Es bauen sich also Spannungen auf. Das 20. Jahrhundert war mit Blick auf Erdbeben sehr ruhig. Das ist alarmierend, denn es sieht so aus, als ob gleich mehrere Beben aufeinander folgen, wenn es wieder los geht."

    Wie wahrscheinlich zu Zeiten von Sodom und Gomorrha. Der Bohrkern verrät, dass vor 4000 Jahren die Erde mehrfach hintereinander gebebt hat.