Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Warnung an den Westen

Der Historiker Ernst Nolte versucht in seinem neuen Werk, den Islamismus in eine ideengeschichtliche Übereinstimmung mit dem Faschismus und dem Kommunismus zu bringen. Alle drei Ideologien, so seine These, seien militante Widerstandsbewegungen gegen die westliche Moderne. Nolte hatte in den 80er-Jahren mit dem sogenannten Historikerstreit für Schlagzeilen gesorgt.

Von Michael Stürmer | 08.06.2009
    Political Correctness ist nicht der Maßstab, nach dem Ernst Nolte sich richtet. Warum sollte er auch? Er fühlt sich, ordentlicher öffentlicher Professor, wie das früher hieß, der Wahrheit verpflichtet, und die muss geschrieben, gesagt, gedruckt werden. Der heute über 80 Jahre alte Professor Emeritus hat ein Lebenswerk hinter sich, das seinesgleichen sucht – an Tiefe und Thesenstärke ebenso wie an Kontroverse und Polemik.

    An Ehren fehlt es ihm nicht, an Feinden auch nicht. "Der Faschismus in seiner Epoche" war vor vier Jahrzehnten eine souverän vergleichende, typologische Auseinandersetzung mit einer der großen Kampfideologien des 20. Jahrhunderts; die Studien über Marxismus und Revolution die andere, vorher und hinterher. Beide haben Nolte internationalen Ruhm und Ruf eingetragen, in Frankreich und Italien, wo man den philosophischen Entwurf über die historische Kleinarbeit stellt, mehr als in der Bundesrepublik. Im sog. Historikerstreit, den 1986 Jürgen Habermas vom Zaune brach, stand Noltes These im politischen Mittelpunkt, dass der Nationalsozialismus den Sowjetkommunismus zur Voraussetzung habe und beide in Wahlverwandtschaft verbunden seien, Variationen über Gewalt und Ideologie im 20. Jahrhundert. Man dürfe nicht vergleichen, hieß das dürftige Verdikt, so als ob Lenin und Hitler auf verschiedenen Planeten gewirkt hätten. Es ging der Partei Habermas darum, den antitotalitären Konsens der Bundesrepublik zu brechen. 1990 hat die Weltgeschichte ihre eigene Antwort gegeben.

    Jetzt legt Nolte, wie um die Trilogie der großen Werke zu vollenden, eine Studie über Islamismus vor. Der Gedanke dahinter, kämpferisch vorgetragen: Eine neue totalitäre Kampfideologie bedroht den Westen, die Freiheit, die offene Gesellschaft, und sie steht an Energie und Bedrohlichkeit den Vorgängern, ob bolschewistisch oder nationalsozialistisch, nicht nach:

    Das Hauptkennzeichen des Schritts zum Thema des ‚Islamismus’ besteht darin, dass die Frage nach Faschismus und Bolschewismus in einen bisher nur am Rande berührten Bereich übertragen wird, nämlich in jenen, der in ihrer Entwicklung zurückgebliebenen Länder, der ‚Dritten Welt’".

    So die These in der Einleitung zu dem neuen Buch in schwerem Gelehrtenstil – gleichwohl deutlich. Nolte erkennt die historische Leistung des Islam in seinen frühen Epochen an, sieht aber auch die dann folgenden Spaltungen und Reaktionen. Sein Programm:

    Das mag ein guter Ausgangspunkt sein, um genauer auf das Selbstverständnis und die Zielsetzungen einer Kultur einzugehen, deren Wortführer ihre Gegenwart durchweg als zurückgeblieben betrachteten, aber aus einer glorreichen Vergangenheit Kraft und Zuversicht zu gewinnen versuchten und sogar für die konkrete Gegenwart nicht selten ein Gefühl der Überlegenheit artikulierten.

    Nolte hat bedeutende Bücher über den Kalten Krieg geschrieben, und auf sie kommt er immer wieder zurück. Doch nach dem 11. September 2001 ist deutlich, dass, was bis dahin wie unverbundene Ereignisse wirkte, inneren Zusammenhang hat: Die Rückkehr des Ayatollah Chomeini in den Iran und die nachfolgende sozial-religiöse Revolution, die Katastrophe der Russen in Afghanistan und der Triumph der Mudjaheddin, darunter ein gewisser Osama Bin Laden. Die Wiederkehr der Religion als gewalttätige Ideologie. West und Ost glaubten noch in den 1980er Jahren, der Kalte Krieg würde ewig dauern. Doch da hatte längst ein anderes Welttheater die Tore eröffnet: Der Weitere Mittlere Osten, wo heute alle Konflikte und Katastrophen der Welt ihren Kreuzungspunkt finden. Öl und Erdgas, Atomwaffen, religiöse Rebellionen , asymmetrische Kriege, harte Regime, soziale Unruhe.

    Man kann Nolte nicht vorwerfen, die großen philosophisch-historischen Fragen zu ignorieren. Im Gegenteil, die meisten Historiker würden vor so viel unvermittelter Gegenwartsnähe zurückschrecken. Aber es liegt darin auch doppelte Gefahr, zum einen die Konstruktion von Erbe und Kontinuität, wo die Wurzeln viel tiefer liegen, zum anderen die Selbstverliebtheit in die alten Themen, die konservativen Züge im Marxismus und die revolutionären im Nationalsozialismus oder, in Noltescher Diktion, Radikalfaschismus. So kommt es, dass Nolte 200 Seiten braucht in dem Opus von rund 400 Seiten, bis er zu den Anfängen des Islamismus kommt. Von da an wird es interessant.

    Doch kehrt Nolte auch danach immer wieder zu den alten Themen zurück: Theodor Herzls Zionismus und der Staat Israel als Erklärung des islamischen Zorns. Das ist wenig überzeugend, und oft nur Rechtfertigung arabischer Militärdiktaturen. Wie kommt es im übrigen, dass die meisten Muslime gar nicht Araber sind? Wenn Nolte vom Islam spricht, meint er zumeist die Araber. Eine schlüssige Erklärung für das Zurückbleiben der islamischen Kultur über viele Jahrhunderte, Beispiel: das Osmanische Reich, bleibt Nolte dagegen schuldig. Er sieht den Zionismus als entscheidende Prägung des Islamismus – obwohl da, wenn man sich an die Fakten aus Geographie und Geschichte hält, erhebliche Zurückhaltung geboten wäre. In seiner Deutung des Islam und seiner Militanz geht Nolte vor allem auf den Chefdenker der Muslim-Brüder ein, den Ägypter Sayyid Qutb, den 1966 der ägyptische Diktator als Aufrührer hinrichten ließ:

    Damit wurde er zu einem der vielen Todesopfer des Kampfes der Muslimbrüder gegen eine ‚unislamische’ Regierung – Todesopfer, die sowohl Voraussetzung wie Folge ihrer terroristischen Anschläge waren… Intellektuell aber überlebte Qutb seinen Feind Nasser … denn nun war er ein Märtyrer, der in der ganzen islamischen Welt gelesen und verehrt wurde".

    … und den, so muss man hinzufügen, nichts so sehr schockiert hatte wie der American Way of Life:

    Drei Merkmale waren für ihn deprimierend, ja entsetzenerregend: Der Materialismus, der Rassismus und die sexuelle Freizügigkeit.

    Daraus entstand ein revolutionäres Programm, das gegen die konservativen Regime der arabischen Welt ebenso wie gegen die amerikanische Hegemonie gerichtet war und ist:

    … die universalistische und anarchistische Lehre von dem ‚Reich Gottes’, das in der Gegenwart nur in der Gestalt des islamischen Friedensreiches existiert, welches in einem ständigen, … von Rückschlägen unterbrochenen, aber im Ganzen siegreich fortschreitenden Krieg – Djihad – gegen die nicht-islamische, die ungläubige Welt stattfindet.

    Das ist der Kern der Botschaft Noltes, mit der er nicht nur das eigene Oeuvre abrunden, sondern auch den Westen warnen will – wenngleich man zwischen den Zeilen durchaus Sympathie erkennen kann für den puristischen, konservativen Ausgangspunkt der islamischen Lehre.

    Das Ganze ist ein Spätwerk, in dem ein großer Historiker wieder und wieder zurückkehrt zu den eigenen Erkenntnissen, die doch – das muss Kernpunkt der Kritik sein – zeitgebunden und ortsgebunden waren, zeitgebunden an den Kalten Krieg, ortsgebunden an Europa.

    Die große Aufgabe für Analyse wie Strategie unter der Drohung des Djihad ist nicht, die Einheit der islamischen Welt zu konstruieren, die in sich so tief zerrissen ist wie es nur sein kann, sondern Unterschiede und Bündnis-Chancen zu erkennen und zu nutzen. Wenn man so will: Nicht George W. Bushs: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns", sondern Obamas ausgestreckte Hand.

    Die Kritik an Nolte kann sich nicht an dieser oder jener Einzelheit festmachen. Es geht ums Prinzip. Entweder hat Nolte recht, und das Abendland von Vancouver bis Wladiwostok sollte auf der Hut sein, oder er hat unrecht, und statt die islamischen Strömungen, Schulen und Lebensformen zu nehmen, wie sie sind, nämlich heterogen und gegensätzlich, redet Nolte dem Westen mit seiner demokratisch säkularen Kultur einen Weltkonflikt auf, den es in der Wirklichkeit gar nicht gibt, wo Bin Laden den saudischen Prinzen und ihrem sehr effektiven Geheimdienst den Krieg erklärt hat, wo Schia und Sunni einander bis aufs Messer bekämpfen, wo die alten Konflikte zwischen Persern und Arabern so aktiv sind wie am ersten Tage, und wo die islamische Welt mehr durch ihre Verschiedenheit als durch ihre Einheit geprägt ist. Entweder ist Nolte der Retter des Abendlandes oder der Verkünder einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, die lautet: der Islamismus ist eine gewalttätige Ideologie wie Bolschewismus und Nationalsozialismus, die auf Weltrevolution und Weltherrschaft setzt, und der Westen steht in einem Überlebenskampf.

    Ernst Nolte,
    Die Dritte Radikale Widerstandsbewegung: Der Islamismus,
    Landtverlag 2009, 414 Seiten, 32,90 Euro