
Über den Wolken. In einem Airbus A 320. Die ATRA ist ein Versuchsflugzeug des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, das sich über einem Sperrgebiet von Mecklenburg-Vorpommern befindet. Gesteuert wird auf Sicht, denn gerade kreuzt ein anderer Forschungsflieger in nur fünf Kilometern Entfernung den Kurs – eine mit 16 Metern Flügelspannweite nur halb so große Falcon mit klar erkennbaren Kondensstreifen. Jetzt wird es spannend, kommentiert Dr. Fethi Abdelmoula den Videomitschnitt des Experiments.
"Ja, wir wollen jetzt hier genau in diesen Kondensstreifen direkt reinfliegen."
Den Kondensstreifen – die Wirbelschleppe der Falcon – sehen die Airbus-Piloten auch als rötliche Linie auf dem Monitor. Die Anzeige verrät ihnen, dass es in wenigen Sekunden turbulent werden dürfte.
"Drei, zwei, eins – jetzt"
Und tatsächlich: die Maschine ruckelt! Das Prognoseprogramm hat sich also nicht geirrt. Und genau das war das Ziel der Versuchsflüge. Zu überprüfen, ob die berechnete Ausbreitung der Wirbelschleppe auch mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Zehn Jahre lang arbeiteten mehrere DLR-Institute an dem Prognose-Programm, denn die Physik der Wirbelschleppen ist ziemlich kompliziert.
Abdelmoula: "Durch die eigene Drehung sinkt die Wirbelschleppe nach unten mit 80 Fuß pro Minute. Manchmal mehr, manchmal weniger, es können auch 300 oder 400 Fuß werden. Dann kommt noch die Windgeschwindigkeit dazu. Wenn wir Seitenwind haben, dann driftet die Wirbelschleppe zur Seite."
Bei den Flugversuchen herrschte hoch oben viel Wind: 135 Stundenkilometer. Das heißt, auch die Wirbelschleppen verdriften sehr schnell. Binnen einer Minute um rund zwei Kilometer. Die Software verarbeitet die via Funk übermittelten Flugdaten aller beteiligten Flugzeuge, berücksichtigt den Wind wie auch die Eigendynamik der Wirbelschleppe. Auf dem Display erkennt der Pilot, wo die Turbulenzen verlaufen, und kann so rechtzeitig ausweichen. Das Echtzeit-basiertes System - sagt DLR-Wissenschaftler Tobias Bauer - wäre ein Sicherheitsgewinn in einem Luftraum, der sich mehr und mehr verdichtet.
"Man kann sich auch vorstellen, dass das für entsprechend ausgerüstete Flugzeuge letztlich auch ökonomische Vorteile bringen kann. Der Sicherheitsgewinn ist ganz klar. Aber man hat heute relativ große Abstände gerade zwischen landenden Flugzeugen, um solche Wirbelschleppen-Anflüge zu vermeiden. Und wenn das Flugzeug mit einem solchen System ausgerüstet ist, und diese Wirbelschleppen quasi aus eigener Kraft an Bord aufspüren kann, kann man sich natürlich schon vorstellen, dass man ohne Sicherheitsverluste auch etwas dichter dran kommen kann, und dann halt die Landeabstände verringern kann. Und da für den Flughafen jede Landung bares Geld ist, kann man sich natürlich auch vorstellen, dass sich das auch auf die Airline, die so etwas an Bord hat, auch positiv auswirkt, was die Gebühren angeht."
Bislang gelten starre Regeln: So müssen kleinere Maschinen einen "erweiterten Sicherheitsabstand" von bis zu 15 Kilometern einhalten, unabhängig davon, ob die Wirbelschleppe des Fliegers vor ihnen längst schon verflogen ist. Das Prognoseprogramm bietet Sicherheit auch bei höherer Flugdichte, sagen die Wissenschaftler in Braunschweig. Nun sollen die Airlines von den Vorzügen des Systems überzeugt werden. Die nächste Gelegenheit dazu bietet sich auf der Luftfahrtmesse ILA, die am 20. Mai in Berlin beginnt.