Aber auch den kriegen die Bewohner der kleinen Stadt Tromsoe nicht mit.
Wer mehrere Hundert Kilometer nördlich vom Polarkreis lebt, bekommt zwischen November und Januar keine Sonne zu sehen. Und in den dunkelsten Tagen herrscht rund um die Uhr Nacht.
Eine Schreckensvorstellung für die meisten Mitteleuropäer. Nicht so für Boerre With, der im Naturkundemuseum "Polaria" die seltenen Bartrobben trainiert und sich um die Pflege der arktischen Fische und Vögel kümmert. Boerre ist ein Mann des Nordens, er hat Jahre lang auf einem Leuchtturm nahe bei Spitzbergen gelebt.
"In dieser Jahreszeit gibt es bei klarem, wolkenlosen Wetter ein ganz besonderes blaues Licht.
Ich nenne es 'die blaue Stunde', eine perfekte Zeit, um rauszugehen und zu fotografieren.
Man kann sich in dieses Licht verlieben – wenn es beginnt, dämmrig zu werden, sieht man ein ganz kleines bisschen Rot von der Sonne hinter dem Horizont. Die Sonne kommt jetzt noch nicht über den Horizont, erst am 21. Januar können wir sie in Tromsoe sehen.
Dieser Übergang vom Tageslicht zur Dunkelheit, das ist die perfekte Zeit."
Es ist neun Uhr in der Frühe. Über der Stadt wölbt sich der Himmel in dunklem Nachtblau.
Ein gleißender Mond hängt über den Bergen, wirft Lichtbahnen über das schwarze Fjordwasser.
In den Geschäftsstraßen herrscht quirliges Leben, hinter den Fenstern sitzen Leute in ihren Büros, eine Schulklasse klettert einen Bus. Zur Mittagszeit steigt eine azurfarbene Dämmerung über Tromsoe auf. Das Rot der historischen Holzhäuser ist von eigenartiger Strahlkraft. Drei Stunden später hat die Nacht das Zepter wieder in der Hand.
"In manchen Teilen des Landes kann es stockdunkel werden. Das ist wunderbar, denn es weckt die Vorstellungskraft – vielleicht gibt es ja wirklich Trolle da draußen und so etwas wie die 'Holde', die in Nordnorwegen zu Hause ist. Hübsche Mädchen mit einem Schweif. Vielleicht kommen sie, um dich zu holen. Wenn der Himmel klar ist, siehst du den ganzen Tag den Mond und die Sterne. Es ist dunkel und dir wird klar: 'Sie sind ja immer da. Sie gehen nicht fort. Es ist nur so, dass du sie nicht sehen kannst, wenn es nicht dunkel ist.'"
Easterine Iralu ist Schriftstellerin, stammt aus Nordostindien und lebt seit fünf Jahren in Tromsoe im Exil. Sie musste aus ihrer Heimat fliehen, weil sie einer verfolgten Ethnie angehört.
Manchmal sitzt sie hinter den riesigen Panoramafenstern der ultramodernen Bibliothek und schaut in die transparente Dunkelheit. Die feinen Nuancen des Spiels zwischen Hell und Dunkel inspirieren sie zu ihren literarischen Texten.
"Man betrachtet das Leben auf eine andere Art, nicht, dass man das Licht vermisst und in Dunkelheit lebt. Wenn das Licht zurückkommt, gibt es viele verschiedene Schattierungen am Himmel, die du an einem Ort weiter südlich nicht bemerken würdest. Morgens schaue ich immer in den Himmel, denke mir neue Namen dafür aus. Einmal war der Himmel wie cremefarbener Satin, als hätte jemand einen roten, transparenten Schleier darüber gezogen. Das habe ich in Facebook geschrieben ..."
Am 18. Januar ist es - zumindest laut Kalender- endlich so weit, jedenfalls für die Bewohner einiger vorgelagerter Inseln von Tromsoe. Die Sonne wird es für ein paar Minuten über die Berggipfel schaffen. Die Leute im Stadtzentrum müssen allerdings noch zwei Tage warten, weil die Hauptinsel von Gebirgszügen umgeben ist. Kari ist 63 Jahre alt und Lehrerin an einer kleinen Schule auf einer der Inseln von Tromsoe.
Eine robuste, herzliche Frau, die fast ihr ganzes Leben nördlich des Polarkreises verbracht hat.
"Wenn ich zur Arbeit gehe, ist es dunkel, wenn ich zurückgehe, ist es dunkel. Eine halbe Stunde von elf bis halb zwölf, dann wird es immer noch dunkler. Wenn am dunkelsten ist, dann ist es ganz dunkel um ein Uhr vormittags. Einige haben besondere Lampen, die mehr Licht gibt, viele Leute werden deprimiert, schläft wenig im Winter, wenn es dunkel ist. Meine Meinung: Du musst die Dunkelheit benutzen."
Am Tag der Sonnenrückkehr zieht Kari jedes Jahr mit ihrer Schulklasse auf einen Hügel, um das Licht zu begrüßen. Heute wäre es so weit gewesen. Daraus wird allerdings nichts: statt weniger Minuten Sonnenstrahlen über den verschatteten Bergen tobt dichtes Schneegestöber, aufgewirbelt durch einen scharfen Wind. Man würde keinen Hund vor die Tür jagen wollen.
Kari bleibt mit den Kindern in der Schule. Gefeiert wird trotzdem, so wie es sich traditionell gehört. Mit jeder Menge "Sonne Bolle", Berliner Ballen, die die Mädchen und Jungen in riesigen Mengen vertilgen.
"Dann haben wir Sulin. Zwei mit Vanille. ... Und dann Nicolai, drei Vanille und Marmelade."
"Ich heiße Hakon. Heute ist hier in Tromsoe der Sonnen-Tag. Wir essen Sonnen-Bollen (lacht) und haben Spaß und versuchen, die Sonne zu sehen. Aber heute ist der Himmel ganz grau. Ich finde das richtig schön, ich fahre nämlich Snowboard. Das ist witzig, das in der Dunkelheit zu machen."
"Nein, wir sind dann nicht traurig. (...) Wir können rausgehen und Verstecken spielen.Verstecken spielen, wenn es dunkel ist. Das ist gruselig!"
"Echt, ich mag es, wenn es dunkel ist. Du stehst morgens auf und bist gar nicht müde. Du gehst vom Dunklen ins Dunkle. Draußen ist es dunkel und drinnen ist es dunkel."
Der Tag der Sonnenrückkehr ist - wetterbedingt - ausgefallen. Aber die Zeit der Dunkelheit bringt Geheimnisse und Wundersames hervor. Mitten in der Schwärze der Nacht – nur dann, wenn weder Schneewolken noch Nebel die Welt erdrücken – erscheinen die tanzenden Ahnen der Ureinwohner des Polarkreises. Lichtgestalten, die unerwartet auftreten, lautlos über dem Nachthimmel flackern und ohne Abschied verschwinden. Niemand weiß, wann der Vorhang sich hebt. Und wann das Schauspiel wieder zu Ende ist.
"Es gibt Legenden um das Polarlicht. Das hat man sogar mir noch als Kind erzählt:
'Wenn du mit einem weißen Tuch winkst, werden sich die Lichter bewegen und dich dann vielleicht holen.'
Vor allem meine Großmutter hatte viel Respekt vor den Nordlichtern. 'Mach das niemals!
Es wird kommen und dich dann holen!'
Sogar Menschen, die ihr ganzes Leben in Nordnorwegen verbracht haben, sind immer wieder beeindruckt vom Polarlicht. Es ist unglaublich, vor allem, wenn man außerhalb der Stadt mit ihrer Lichtverschmutzung ist. Wenn es stockdunkel wird, kann man es sehen. Es ist, als hätte die Natur am Himmel ein Feuerwerk entzündet."
"Ab und zu sieht er aus wie in Ali Baba diese ... Gespenst in der Flasche, kommt heraus, hat einen Schwanz und dann -hui! - über der ganze Himmel und ist rosa, gelb, rot, blaugrün.
Und es bewegt sich! Als Wellen über der Himmel. Für mich ist das Schönste, was man am Himmel sehen kann. Ganz besonders! Es ist von alte Zeiten so, hat man einen Tuch, man soll nie mit ein weißes Tuch auf diesem Nordlicht – aurora borealis – winken, sonst kommt er … und nimmt dich!"
21. Januar. Der Tag der Sonnenrückkehr ist auch für die Leute in der City von Tromsoe gekommen. Am späten Vormittag zieht eine undurchdringliche Nebelwand über den Fjord. Keine Berge, kein Hafen, kein Horizont. Die Welt verschwindet in einem watteartigen Nichts.
Von Sonne keine Spur. Trotzdem vibriert die Stadt. Menschen aus aller Welt bevölkern die Cafés, Restaurants, ziehen durch die Straßen.
Das internationale Filmfestival Tromsoe ist ein Magnet für Kinofans aus ganz Europa, für Regisseure, Filmkritiker – und für das ganz normale Publikum aus den entlegenen Siedlungen Nordnorwegens. "Frozen Land – Moving Pictures" lautet das Motto dieses Jahr. "Gefrorenes Land – bewegte Bilder".
Das Pressebüro des Festivals platzt aus allen Nähten.
"Als wir vor 20 Jahren das Festival gründeten, war das sicherlich nicht zufällig genau hier. Wir wählten den Januar dafür aus, um etwas Licht in diesen wirklich heftigen Monat reinzubringen. Es macht aus der ganzen Stadt ein riesiges Fest. Jeder ist richtig glücklich. Der Januar wird ein Monat der Feier, statt zu einem dunklen und harten Monat. Man merkt das an der Atmosphäre in der Stadt, die Leute sind ganz aufgeregt. Ich liebe den Januar. Aber ich bin sowieso in die dunkle Zeit verliebt. Ich mag es, wenn die Sonne verschwindet. Ich liebe die Dunkelheit und den Schnee."
Julia arbeitet in der Presseabteilung des Filmfestivals. Heute, laut Kalender Tag der Sonnenrückkehr, findet die Weltpremiere eines faszinierenden kulturellen Ereignisses statt. Umsonst und draußen, bei Minusgraden, läuft der Stummfilm 'Nanook der Eskimo', eine Dokumentation aus den zwanziger Jahren. Ein junger schwedischer Komponist hat für diese Vorführung eine neue Filmmusik geschrieben , die er mit seiner Band live zum Film einspielen wird.
"Mattie Bye ist in Norwegen und Schweden berühmt für seine Stummfilm-Konzerte. Er kam auf unsere Festivaldirektorin zu und schlug vor, eine Musik für 'Nanook der Eskimo' zu komponieren, und zwar Open Air. Wir bauten also eine Leinwand aus Schnee, dazu ein riesiges Iglu auf dem Hauptplatz. Dann eine Schnee-Arena, wo die Leute sitzen können, eine Schnee-Skulptur. Mattie Bye wollte es unbedingt draußen aufführen, er spürte, dass seine Musik gegenüber dem Film einen Beitrag leisten kann. Und diese Location hier trägt ganz sicher dazu bei, dass es ein besonders Erlebnis wird."
18 Uhr. Längst ist es wieder stockdunkel. Hunderte Menschen sind auf dem zentralen Platz von Tromsoe zusammen gekommen, um das Livekonzert zu einem 90 Jahre alten Dokumentarfilm zu erleben. Sie sitzen bei minus fünf Grad auf den Schneebänken der Arena, stehen dicht gedrängt vor der glitzernden Schneeleinwand, vermummt in Daunenjacken, Mützen, kniehohen Stiefeln und schauen den archaischen Filmbildern über das Leben eines Inuit aus den 20er-Jahren zu.
Ein paar Dutzend Schritte hinter der Schneeleinwand öffnet sich der Hafen von Tromsoe. Ein haushoher, lichterglänzender Dampfer der Hurtigrouten hat gerade abgelegt und fährt über den schwarzen Fjord in die Nacht hinaus.
Der neblige Tag, an dem die Sonne zurückkehren sollte, hat sich in eine glasklare Nacht verwandelt. Ein wolkenloser Himmel, von transparentem Blauschwarz, mit Sternen übersät. Wenige Stunden später flackern grüne Bänder über der Stadt. Der Tanz des Polarlichts hat begonnen.
Wer mehrere Hundert Kilometer nördlich vom Polarkreis lebt, bekommt zwischen November und Januar keine Sonne zu sehen. Und in den dunkelsten Tagen herrscht rund um die Uhr Nacht.
Eine Schreckensvorstellung für die meisten Mitteleuropäer. Nicht so für Boerre With, der im Naturkundemuseum "Polaria" die seltenen Bartrobben trainiert und sich um die Pflege der arktischen Fische und Vögel kümmert. Boerre ist ein Mann des Nordens, er hat Jahre lang auf einem Leuchtturm nahe bei Spitzbergen gelebt.
"In dieser Jahreszeit gibt es bei klarem, wolkenlosen Wetter ein ganz besonderes blaues Licht.
Ich nenne es 'die blaue Stunde', eine perfekte Zeit, um rauszugehen und zu fotografieren.
Man kann sich in dieses Licht verlieben – wenn es beginnt, dämmrig zu werden, sieht man ein ganz kleines bisschen Rot von der Sonne hinter dem Horizont. Die Sonne kommt jetzt noch nicht über den Horizont, erst am 21. Januar können wir sie in Tromsoe sehen.
Dieser Übergang vom Tageslicht zur Dunkelheit, das ist die perfekte Zeit."
Es ist neun Uhr in der Frühe. Über der Stadt wölbt sich der Himmel in dunklem Nachtblau.
Ein gleißender Mond hängt über den Bergen, wirft Lichtbahnen über das schwarze Fjordwasser.
In den Geschäftsstraßen herrscht quirliges Leben, hinter den Fenstern sitzen Leute in ihren Büros, eine Schulklasse klettert einen Bus. Zur Mittagszeit steigt eine azurfarbene Dämmerung über Tromsoe auf. Das Rot der historischen Holzhäuser ist von eigenartiger Strahlkraft. Drei Stunden später hat die Nacht das Zepter wieder in der Hand.
"In manchen Teilen des Landes kann es stockdunkel werden. Das ist wunderbar, denn es weckt die Vorstellungskraft – vielleicht gibt es ja wirklich Trolle da draußen und so etwas wie die 'Holde', die in Nordnorwegen zu Hause ist. Hübsche Mädchen mit einem Schweif. Vielleicht kommen sie, um dich zu holen. Wenn der Himmel klar ist, siehst du den ganzen Tag den Mond und die Sterne. Es ist dunkel und dir wird klar: 'Sie sind ja immer da. Sie gehen nicht fort. Es ist nur so, dass du sie nicht sehen kannst, wenn es nicht dunkel ist.'"
Easterine Iralu ist Schriftstellerin, stammt aus Nordostindien und lebt seit fünf Jahren in Tromsoe im Exil. Sie musste aus ihrer Heimat fliehen, weil sie einer verfolgten Ethnie angehört.
Manchmal sitzt sie hinter den riesigen Panoramafenstern der ultramodernen Bibliothek und schaut in die transparente Dunkelheit. Die feinen Nuancen des Spiels zwischen Hell und Dunkel inspirieren sie zu ihren literarischen Texten.
"Man betrachtet das Leben auf eine andere Art, nicht, dass man das Licht vermisst und in Dunkelheit lebt. Wenn das Licht zurückkommt, gibt es viele verschiedene Schattierungen am Himmel, die du an einem Ort weiter südlich nicht bemerken würdest. Morgens schaue ich immer in den Himmel, denke mir neue Namen dafür aus. Einmal war der Himmel wie cremefarbener Satin, als hätte jemand einen roten, transparenten Schleier darüber gezogen. Das habe ich in Facebook geschrieben ..."
Am 18. Januar ist es - zumindest laut Kalender- endlich so weit, jedenfalls für die Bewohner einiger vorgelagerter Inseln von Tromsoe. Die Sonne wird es für ein paar Minuten über die Berggipfel schaffen. Die Leute im Stadtzentrum müssen allerdings noch zwei Tage warten, weil die Hauptinsel von Gebirgszügen umgeben ist. Kari ist 63 Jahre alt und Lehrerin an einer kleinen Schule auf einer der Inseln von Tromsoe.
Eine robuste, herzliche Frau, die fast ihr ganzes Leben nördlich des Polarkreises verbracht hat.
"Wenn ich zur Arbeit gehe, ist es dunkel, wenn ich zurückgehe, ist es dunkel. Eine halbe Stunde von elf bis halb zwölf, dann wird es immer noch dunkler. Wenn am dunkelsten ist, dann ist es ganz dunkel um ein Uhr vormittags. Einige haben besondere Lampen, die mehr Licht gibt, viele Leute werden deprimiert, schläft wenig im Winter, wenn es dunkel ist. Meine Meinung: Du musst die Dunkelheit benutzen."
Am Tag der Sonnenrückkehr zieht Kari jedes Jahr mit ihrer Schulklasse auf einen Hügel, um das Licht zu begrüßen. Heute wäre es so weit gewesen. Daraus wird allerdings nichts: statt weniger Minuten Sonnenstrahlen über den verschatteten Bergen tobt dichtes Schneegestöber, aufgewirbelt durch einen scharfen Wind. Man würde keinen Hund vor die Tür jagen wollen.
Kari bleibt mit den Kindern in der Schule. Gefeiert wird trotzdem, so wie es sich traditionell gehört. Mit jeder Menge "Sonne Bolle", Berliner Ballen, die die Mädchen und Jungen in riesigen Mengen vertilgen.
"Dann haben wir Sulin. Zwei mit Vanille. ... Und dann Nicolai, drei Vanille und Marmelade."
"Ich heiße Hakon. Heute ist hier in Tromsoe der Sonnen-Tag. Wir essen Sonnen-Bollen (lacht) und haben Spaß und versuchen, die Sonne zu sehen. Aber heute ist der Himmel ganz grau. Ich finde das richtig schön, ich fahre nämlich Snowboard. Das ist witzig, das in der Dunkelheit zu machen."
"Nein, wir sind dann nicht traurig. (...) Wir können rausgehen und Verstecken spielen.Verstecken spielen, wenn es dunkel ist. Das ist gruselig!"
"Echt, ich mag es, wenn es dunkel ist. Du stehst morgens auf und bist gar nicht müde. Du gehst vom Dunklen ins Dunkle. Draußen ist es dunkel und drinnen ist es dunkel."
Der Tag der Sonnenrückkehr ist - wetterbedingt - ausgefallen. Aber die Zeit der Dunkelheit bringt Geheimnisse und Wundersames hervor. Mitten in der Schwärze der Nacht – nur dann, wenn weder Schneewolken noch Nebel die Welt erdrücken – erscheinen die tanzenden Ahnen der Ureinwohner des Polarkreises. Lichtgestalten, die unerwartet auftreten, lautlos über dem Nachthimmel flackern und ohne Abschied verschwinden. Niemand weiß, wann der Vorhang sich hebt. Und wann das Schauspiel wieder zu Ende ist.
"Es gibt Legenden um das Polarlicht. Das hat man sogar mir noch als Kind erzählt:
'Wenn du mit einem weißen Tuch winkst, werden sich die Lichter bewegen und dich dann vielleicht holen.'
Vor allem meine Großmutter hatte viel Respekt vor den Nordlichtern. 'Mach das niemals!
Es wird kommen und dich dann holen!'
Sogar Menschen, die ihr ganzes Leben in Nordnorwegen verbracht haben, sind immer wieder beeindruckt vom Polarlicht. Es ist unglaublich, vor allem, wenn man außerhalb der Stadt mit ihrer Lichtverschmutzung ist. Wenn es stockdunkel wird, kann man es sehen. Es ist, als hätte die Natur am Himmel ein Feuerwerk entzündet."
"Ab und zu sieht er aus wie in Ali Baba diese ... Gespenst in der Flasche, kommt heraus, hat einen Schwanz und dann -hui! - über der ganze Himmel und ist rosa, gelb, rot, blaugrün.
Und es bewegt sich! Als Wellen über der Himmel. Für mich ist das Schönste, was man am Himmel sehen kann. Ganz besonders! Es ist von alte Zeiten so, hat man einen Tuch, man soll nie mit ein weißes Tuch auf diesem Nordlicht – aurora borealis – winken, sonst kommt er … und nimmt dich!"
21. Januar. Der Tag der Sonnenrückkehr ist auch für die Leute in der City von Tromsoe gekommen. Am späten Vormittag zieht eine undurchdringliche Nebelwand über den Fjord. Keine Berge, kein Hafen, kein Horizont. Die Welt verschwindet in einem watteartigen Nichts.
Von Sonne keine Spur. Trotzdem vibriert die Stadt. Menschen aus aller Welt bevölkern die Cafés, Restaurants, ziehen durch die Straßen.
Das internationale Filmfestival Tromsoe ist ein Magnet für Kinofans aus ganz Europa, für Regisseure, Filmkritiker – und für das ganz normale Publikum aus den entlegenen Siedlungen Nordnorwegens. "Frozen Land – Moving Pictures" lautet das Motto dieses Jahr. "Gefrorenes Land – bewegte Bilder".
Das Pressebüro des Festivals platzt aus allen Nähten.
"Als wir vor 20 Jahren das Festival gründeten, war das sicherlich nicht zufällig genau hier. Wir wählten den Januar dafür aus, um etwas Licht in diesen wirklich heftigen Monat reinzubringen. Es macht aus der ganzen Stadt ein riesiges Fest. Jeder ist richtig glücklich. Der Januar wird ein Monat der Feier, statt zu einem dunklen und harten Monat. Man merkt das an der Atmosphäre in der Stadt, die Leute sind ganz aufgeregt. Ich liebe den Januar. Aber ich bin sowieso in die dunkle Zeit verliebt. Ich mag es, wenn die Sonne verschwindet. Ich liebe die Dunkelheit und den Schnee."
Julia arbeitet in der Presseabteilung des Filmfestivals. Heute, laut Kalender Tag der Sonnenrückkehr, findet die Weltpremiere eines faszinierenden kulturellen Ereignisses statt. Umsonst und draußen, bei Minusgraden, läuft der Stummfilm 'Nanook der Eskimo', eine Dokumentation aus den zwanziger Jahren. Ein junger schwedischer Komponist hat für diese Vorführung eine neue Filmmusik geschrieben , die er mit seiner Band live zum Film einspielen wird.
"Mattie Bye ist in Norwegen und Schweden berühmt für seine Stummfilm-Konzerte. Er kam auf unsere Festivaldirektorin zu und schlug vor, eine Musik für 'Nanook der Eskimo' zu komponieren, und zwar Open Air. Wir bauten also eine Leinwand aus Schnee, dazu ein riesiges Iglu auf dem Hauptplatz. Dann eine Schnee-Arena, wo die Leute sitzen können, eine Schnee-Skulptur. Mattie Bye wollte es unbedingt draußen aufführen, er spürte, dass seine Musik gegenüber dem Film einen Beitrag leisten kann. Und diese Location hier trägt ganz sicher dazu bei, dass es ein besonders Erlebnis wird."
18 Uhr. Längst ist es wieder stockdunkel. Hunderte Menschen sind auf dem zentralen Platz von Tromsoe zusammen gekommen, um das Livekonzert zu einem 90 Jahre alten Dokumentarfilm zu erleben. Sie sitzen bei minus fünf Grad auf den Schneebänken der Arena, stehen dicht gedrängt vor der glitzernden Schneeleinwand, vermummt in Daunenjacken, Mützen, kniehohen Stiefeln und schauen den archaischen Filmbildern über das Leben eines Inuit aus den 20er-Jahren zu.
Ein paar Dutzend Schritte hinter der Schneeleinwand öffnet sich der Hafen von Tromsoe. Ein haushoher, lichterglänzender Dampfer der Hurtigrouten hat gerade abgelegt und fährt über den schwarzen Fjord in die Nacht hinaus.
Der neblige Tag, an dem die Sonne zurückkehren sollte, hat sich in eine glasklare Nacht verwandelt. Ein wolkenloser Himmel, von transparentem Blauschwarz, mit Sternen übersät. Wenige Stunden später flackern grüne Bänder über der Stadt. Der Tanz des Polarlichts hat begonnen.