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Warten auf gepackten Koffern

Überlebende der Konzentrationslager und Todesmärsche, Partisanen oder Rückkehrer aus der ehemaligen Sowjetunion: Allein um München warteten 250.000 Juden nach dem Ende des Naziregimes auf ihre Emigration - meist nach Palästina oder Amerika. Das Jüdische Museum in München macht die Ungewissheit von damals zum Thema einer aktuellen Ausstellung.

Jutta Fleckenstein im Gespräch mit Mascha Drost |
    Mascha Drost: Bitterer kann die Ironie der Geschichte nicht sein – aber niemals zuvor lebten so viele Juden in Bayern, wie unmittelbar nach dem Holocaust. Über 250.000 Juden waren als Flüchtlinge, als displaced persons, ausgerechnet in Lagern, in Flüchtlingslagern rund um München untergekommen, als Zwischenstation vor der Emigration meist nach Palästina oder Amerika. Das Jüdische Museum München hat gerade eine neue Ausstellungsreihe ins Leben gerufen, Juden 45 bis 90, und eröffnet wird diese Reihe mit einer Ausstellung über eben diese Flüchtlingslager nach Ende des Krieges. - Vor der Sendung hatte ich Gelegenheit, mit Jutta Fleckenstein zu sprechen, einer der Kuratorinnen, und die erste Frage galt dem Leben, dem Alltag der Flüchtlinge.

    Jutta Fleckenstein: Es war so, dass viele, die eben in den Konzentrationslagern befreit worden waren, oder die Todesmärsche gen Westen überlebt hatten, oder auch die später ankommenden Partisanen oder Rückkehrer aus der ehemaligen Sowjetunion, dass die eben in der amerikanischen Zone in die P-Camps, also in Flüchtlingscamps untergebracht worden sind. Aber einige lehnten das auch von vornherein ab und versuchten, eben diese Zeit in der Stadt, also im Stadtgebiet München, in einem Zimmer zu überbrücken, und da war eben die Situation sehr ärmlich. Am Anfang hat man versucht, das Nötigste über die Hilfsorganisationen zu bekommen, also etwas zum Anziehen, Lebensmittel. Man hat sich registrieren lassen, eben immer, um sich vorzubereiten auf die Auswanderung.

    Drost: Was wissen Sie über den Kontakt mit der deutschen Bevölkerung? Wie sind sie mit den jüdischen Überlebenden umgegangen? Gab es überhaupt Kontakte?

    Fleckenstein: Ich denke, das war eine sehr unruhige Zeit. Jeder hat mit sich zu tun gehabt und die displaced persons haben sich stärker auf die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen und auf die amerikanischen Soldaten und so konzentriert, sodass es anfangs zumindest ganz wenige Kontakte zur deutschen Bevölkerung gab.

    Drost: Auf welche Weise bringt Ihre Ausstellung denn den Alltag dieser displaced persons den Besuchern nahe?

    Fleckenstein: Die Ausstellung zeigt eben auf zwei Ausstellungsebenen die Inhalte. Die eine Ausstellungsebene ist ein Labyrinth. Der Besucher bewegt sich vom Ankommen in München über neun Stationen durch die Ausstellung bis zur Auswanderung und bekommt Informationen zu den Hilfsorganisationen, zur sich verändernden politischen Situation, dann auch, wie man versucht, den Neubeginn selbst zu gestalten: Man druckt zum Beispiel Schulbücher, man organisiert sich politisch in einem Zentralrat, um eben eine Stimme gegenüber den Amerikanern, aber auch gegenüber den Hilfsorganisationen zu haben. Und der Besucher bewegt sich durch dieses Labyrinth, also es entstehen keine Zimmer, es entstehen keine Räume, es sind Wege, die der Besucher geht, und er kann immer nur bis zur nächsten Ecke blicken, und das ist sehr typisch für die Situation der displaced persons selbst, die eben auch nicht wussten, was ihnen bevorsteht, wie schnell sie hier wegkommen würden, wo sie genau hingelangen würden und wie es ihnen weiter ergehen würde.

    Drost: Und hinter diesen Ecken, was bekommt man da zu sehen, als Zuschauer, als Besucher?

    Fleckenstein: Wir haben erstmals zu dieser Zeit direkt nach 1945 Objekte recherchiert, und was ja nicht überraschend ist: Die meisten haben wir nicht in Deutschland gefunden, sondern in Amerika oder in Israel in Museen, eben die Orte, wo die displaced persons dann in den 50er-Jahren allerspätestens hin ausgewandert sind und dann dort eben auch ihre Objekte in die Sammlung gegeben haben.

    Drost: Was sind das für Objekte?

    Fleckenstein: Es sind zum Teil Objekte, die erst durch ihre Geschichte ganz besonders werden. In der Ausstellung steht zum Beispiel ein Metallkoffer aus dem Besitz der Familie Bär in Montreal, in Kanada, der heute in der Sammlung des Jüdischen Museums in Berlin ist, und die Familienüberlieferung besagt eben, dass der kleine Sohn, Max Bär, diesen Koffer, eben die P-Camp-Pocking, als Kinderbadewanne verwendet hat.

    Drost: Ist die Geschichte dieser displaced persons, ist das ein Teil der Geschichte, der Ihrer Meinung nach genügend aufgearbeitet wurde?

    Fleckenstein: Ich denke, da ist sowohl die historische Recherche, wie auch die museale Bearbeitung noch ganz am Anfang. Man hat jetzt mit dieser großen Ausstellung eine erste Inventarisierung gemacht, mit Objekten und Informationen, und ich denke, das wird in den nächsten Jahren mit Sicherheit ein interessantes Thema bleiben.

    Drost: …, meint Jutta Fleckenstein, Kuratorin am Jüdischen Museum München.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.