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"Warten auf Godot" in Frankfurt
Smileys zeigen Stimmung auf der Bühne an

Der Theaterregisseur Robert Borgmann, Jahrgang 1980, macht immer wieder mit bildgewaltigen Inszenierungen von sich reden. Jetzt hat er sich in Frankfurt Samuel Becketts Klassiker "Warten auf Godot" vorgenommen. Doch so ein richtig neuer Wurf ist ihm nicht gelungen.

Von Shirin Sojitrawalla | 13.01.2019
    Robert Borgmann inszeniert "Warten auf Godot" am Schauspiel Frankfurt, Januar 2019
    Robert Borgmann inszeniert "Warten auf Godot" am Schauspiel Frankfurt (Schauspiel Frankfurt / Birgit Hupfeld)
    Dieses Stück kommt nie aus der Mode. Das Menschsein in einem absurden Theaterabend kondensiert: eigenwillig poetisch, niederschmetternd traurig und dramatisch komisch. Auf der Bühne des Frankfurter Schauspielhauses beugt sich der Regisseur Robert Borgmann über das Stück. Noch während die Zuschauer ihre Plätze einnehmen, wuselt Estragon schon auf der Bühne umher. "Nichts zu machen", spricht er immer wieder den ersten Satz aus dem Stück ins Mikrophon.
    Die Bühne gleicht einem weißen Kasten, an dessen Wänden Wörter aus Leuchtröhren ein Zitat Samuel Becketts aus seinem Roman "Molloy" nachbilden. Zudem prangt dort ein großes Smiley, mit wahlweise lachendem, gleichgültigem oder traurigem Mund, die Stimmungen des Abends, wenn man so will. Immer mal wieder leuchten einzelne Worte auf, am rechten Rand der ebenfalls vom Regisseur entworfenen Bühne wogen stilisierte Wellen, ein Eisblock schmilzt lautlos vor sich hin, links oben hängt eine Wolke.
    Am linken Rand baut sich zudem der Musiker Philipp Weber samt Gitarre und Elektronik auf. In seiner Nähe ragt der in der Regieanweisung des Stücks befohlene Baum, der hier nur noch ein nackter Baumstamm ist, in den Bühnenhimmel. Immer wieder versucht Estragon an ihm hochzuklettern und rutscht jämmerlich ab. Sisyphos, wie er leidet und lebt. Der Vorhang geht auf und zu und spielt verrückt.
    Die wohlbekannten Sätze einmal etwas anders
    Dann tritt Wladimir auf, und das Stück beginnt. Die beiden erscheinen wie zwei, die schon immer auf der Bühne warten, Untote, die ihre von Beckett ausgeliehenen Sätze exaltiert sprechen und ganz so, als seien diese für die große Bühne gemacht.
    WLADIMIR: Was sollen wir jetzt machen?
    ESTRAGON Warten.
    WLADIMIR Ja, aber beim Warten?
    ESTRAGON Sollen wir uns aufhängen?
    WLADIMIR Dann kriegen wir noch mal einen Steifen.
    ESTRAGON Einen Steifen?
    WLADIMIR Mit allen Folgen. Da, wo es hinspritzt, wachsen Alraunen. Darum schreien sie, wenn man sie ausreißt. Wusstest du das nicht?
    ESTRAGON Komm, wir hängen uns sofort auf.
    WLADIMIR An einem Ast?
    Sie nähern sich dem Baum und betrachten ihn.
    Ich hätte kein Vertrauen.
    ESTRAGON Wir können's doch mal versuchen.
    WLADIMIR Versuch's.
    ESTRAGON Nach dir.
    WLADIMIR Nein, du zuerst.
    ESTRAGON Warum?
    WLADIMIR Du bist leichter als ich.
    ESTRAGON Ja eben!
    WLADIMIR Das versteh ich nicht.
    ESTRAGON Überleg doch mal.
    WLADIMIR (überlegt. Schließlich) Ich versteh es nicht!
    Neue Form mit vielen Interpretationsmöglichkeiten
    Samuel Simon verkörpert Estragon als x-beinig umherstolperndes Mädchen, während Isaak Dentler Wladimir als kraftvollen, energisch hochfahrenden Wartenden gibt. Der weiße Raum, in dem sie hausen, könnte eine Zelle sein oder das Jenseits. Mal lassen die Kostüme von Bettina Werner sie wirken wie zu Stein erstarrt, mal wie die Besucher einer Ausstellungseröffnung, dann wieder wie tierische Irrenhäusler.
    Der Interpretationsmöglichkeiten sind da viele, und Robert Borgmann denkt nicht daran, sich festzulegen. Vielmehr begegnet er dem Stoff mit unbedingtem Kunstwillen, probiert, die existenzielle Wucht des Dramas in eine neue Form zu gießen. Dafür spielt der Abend mit krassen Lichtwechseln, die plötzlich von wonnigwarm auf krankenhauskalt schalten, mal gelblich ungesund strahlen und wenn Herr Pozzo mit seinem Knecht Lucky auftritt signalrot aufleuchten. Heiko Raulin spielt den cholerisch auftrumpfenden Pozzo, Max Mayer den stummen und sphinxhaften Lucky.
    Robert Borgmann inszeniert "Warten auf Godot" am Schauspiel Frankfurt, Januar 2019
    Robert Borgmann inszeniert "Warten auf Godot" am Schauspiel Frankfurt (Birgit Hupfeld)
    Ähnlich dramatisch wie das Licht auch der als weiße Leinwand inszenierte Bühnenkasten, der sich im Laufe des Abends in ein Kunstwerk verwandelt. Mal kleckert Wladimir Wochentage in Gelb darauf, mal schmiert Pozzo die Wand mit schwarzer Farbe voll.
    Das ist nicht neu für Robert Borgmann, der dafür bekannt ist, sich nicht mit kleinen Bühnenlösungen zufrieden zu geben. Vor einem Jahr inszenierte er in Frankfurt Kafkas "Das Schloss" als rätselhaft düstere Studie, eine ebenso langwierige wie auch immer mal wieder langweilige Angelegenheit. Überhaupt mutet dieser Regisseur seinen Zuschauern oft einiges zu. Seine Inszenierung von "Warten auf Godot" wirkt da mit seinen zwei Stunden und zwanzig Minuten vergleichsweise schlank.
    Versuche der Neubefragung scheitern
    Doch es ist ja nicht so, dass die Welt auf eine neue Inszenierung des Stückes gewartet hat. Wer es heute abermals in Angriff nehmen möchte, könnte schon auch eine Neubefragung wagen. Womöglich haben Robert Borgmann und sein Team es versucht - die Einfälle dazu, seien es Musik- oder Bildideen wirken aber eher recycelt. Den Song "Jumpin' Jack Flash" anzustimmen und dazu das Wort "stones" auf der Wand aufleuchten zu lassen? Die Bühnenwand als Grundlage für laienhaft vollführtes Actionpainting? Hm. Das wirkt ein bisschen abgeschmackt. Einerseits. Andererseits ist hier ein Regisseur am Werk, der bereit ist, ausgetrampelte Pfade zu verlassen. Um die Wirkmacht von Wörtern und Bildern weiß er genau. Aus Becketts Menschheitsdrama holt er diesmal zwar nichts Neues heraus, doch zumindest betont er die seherische Kraft und verzweifelte Bilanz des Stücks auf neue Weise.