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Wartesaal der enttäuschten Hoffnungen

Der Schauspieler, der auf den Durchbruch hofft, die alleinerziehende Mutter, die sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, Schul- und Studienabbrecher, sie alle sammeln sich im Wartesaal der enttäuschten Hoffnungen: im Callcenter. Der Kinofilm "Selbstgespräche" schildert die Lebenswege und Zukunftsträume der Callcenter-Mitarbeiter: eine kurzweilige Sommerkomödie voller irritierender Nuancen und buchstäblich falscher Zungenschläge.

Von Josef Schnelle |
    "Wenn Sie sich jetzt schon für die zukünftige Entwicklung vorbereiten wollen, also Surfen, Telefonieren, Fernsehen und allen zukünftigen Komfort erwarten, dann wäre das DSL-Power-Paket genau das Richtige für Sie. Es ist letztendlich nur ein kleiner Aufpreis, aber dafür sind Sie dann auf dem letzten Stand. Mein bestes Pferd im Stall. Also gut Herr Berger, dann gratuliere ich Ihnen zu Ihrem DSL-Powerpaket."

    "Mach so weiter, dann brichst du den Quartalsrekord, jede Wette."

    Es gibt eine Welt am anderen Ende des Telefons. Dann zum Beispiel, wenn irgendjemand mit einschmeichelnder Stimme irgendwas verkaufen will. Wie geht es eigentlich zu im Callcenter? Jede Menge Menschen an Telefon-Headsets und alle reden durcheinander? Das große Kommunizieren? Und manchmal bricht einer in Jubel aus, weil er einen Verkaufsrekord gebrochen hat?

    In solch einem Zentrum der "Selbstgespräche" mit langen Werbelitaneien, Jammern und Betteln, mit Schmeichelei und Trickbetrug siedelt André Erkau seinen ersten langen Spielfilm an. Der Regisseur ist selbst einmal in einem Callcenter angestellt gewesen. Deshalb hat er sich diese menschliche Komödie der Dauertelefonierer ausgedacht:

    "Mal abgesehen davon, dass der Job nicht der allerdollste ist, den man sich vorstellen kann, war es im Nachhinein wirklich eine sehr interessante Erfahrung. Ich kam mit Leuten in Kontakt, die ich sonst nie getroffen hätte. So ein Callcenter ist ja ein Sammelbecken für Menschen, die mit dem Studium fertig sind, für Schulabgänger, für Schulabbrecher, für Leute, die sich im Leben noch orientieren wollen. Jeder Fünfte ist ein angehender Schauspieler. Alle sind sie am Telefonieren und mehr oder minder Unglücklich mit ihrer Situation. Und gerade Unglück ist ja der Stoff, aus dem Komödien gemacht werden."

    "Selbstgespräche" ist eine Komödie der Sprachlosigkeit, in der dauernd geredet wird. Das Callcenter und vor allem dessen Leiter Harms stehen unter Druck. Es muss rentabler werden, sonst wird es in vier Wochen geschlossen, sagt die Chefin.

    ""Wir waren gut - aber die anderen waren eben besser. Schöne Scheiße was?”"

    Im Grunde will keiner wirklich da sein, wo er gelandet ist. Sascha will nur überwintern, bis es endlich mit der Fernsehkarriere klappt, und nimmt weder seine Arbeit noch seine Freundin ernst. Erst als er erfährt, dass sie schwanger ist, traut er sich mit den Menschen, die er "am Draht" hat ehrlich und offen zu reden.

    Verkaufskanone Adrian ist ein scheuer Mensch und versteckt sich im Callcenter, weil er feige und schüchtern ist. Nur die Kundin Gabriele würde er gerne einmal treffen. Die attraktive Marie ist wütend und verletzt. Sie will sich als alleinerziehende Mutter durchbeißen, merkt aber nicht, dass sie sich selbst und ihrem Kind durch diese Überlebensstrategie schadet. Harms schließlich, der charmante und selbstbewusste Chef der kleinen Firmenfiliale, fühlt sich nur noch dort geborgen, weil er wenigstens die Regeln dieser kleinen Welt beherrscht. Alles andere in seinem Leben geht nämlich gerade den Bach runter. Und so sind seine Versuche, die anderen anzutreiben und neu zu motivieren, eher zum Misserfolg verurteilt.

    Dieser Jahrmarkt der Eitelkeiten auf engstem Raum schliddert unaufhaltsam in eine Katastrophe, bei der sich nur derjenige zu retten vermag, der lernt, nicht mehr nur "Selbstgespräche" zu führen, sondern endlich einmal den anderen zuhört. Da nützen auch keine gewagten Theorien.

    ""Das Lächeln am Telefon ist unser Trumpf - unser größtes Verkaufsargument. Unser Lächeln muss man hören können. 'Smile and the World smiles with you.'”"

    Über weite Strecken erinnert das ironisch-melancholische Befindlichkeitsmelodram, das in diesem Frühjahr beim Max Ophüls Festival als bestes Debüt ausgezeichnet wurde, doch allzu sehr an Fernsehserienerfolge wie "Stromberg” und "The Office” und doch wimmelt der Film voller prächtig in Szene gesetzter Antihelden des Alltags, die schnell lernen müssen, ihr Leben tatsächlich zu meistern, damit sie endlich den Wartesaal der enttäuschten Hoffnungen verlassen können.

    Eine kurzweilige Sommerkomödie voller irritierender Nuancen und buchstäblich falscher Zungenschläge, die den in vielen Filmen am Rande vorkommenden Callcenter-Szenen vielleicht endlich den Garaus machen könnten. Jetzt weiß man alles, was man über Callcenter wissen kann und vielleicht nie wissen wollte.