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Warum Damaskus für den Nahen Osten so wichtig ist

In der arabischen Welt herrscht bislang große Zurückhaltung, wenn es um das gewaltsame Vorgehen der syrischen Regierung gegen die Opposition geht. Denn ein Sturz des Assad-Regimes könnte weitreichende Folgen haben.

Von Birgit Kaspar |
    Der Kabir-Fluss bildet die natürliche Grenze zwischen Syrien und dem Libanon. Ein Hindernis für den täglichen kleinen Grenzverkehr ist er nicht, denn er kann fast überall durchquert werden. Für die Bewohner im nordlibanesischen Wadi Khaled gebe es keine Grenze, erklärt der Gemischtwarenhändler Hassan Attieyeh.

    "Wenn ich morgens nicht rüber gehe, gehe ich abends. Wir können nicht einen Moment ohne die Syrer leben, alles, was wir haben, kommt von dort. Diese Gasflasche, dieses Fass mit Diesel, dieser Brotlaib."

    Beide Staaten sind historisch eng miteinander verbunden. Die Grenze zu Syrien ist für die Libanesen das einzige Tor zur Welt auf dem Landweg. Ihre Durchlässigkeit erweist sich jetzt für hunderte Syrer als Segen. Seit Donnerstag suchen sie Zuflucht im Wadi Khaled, weil Assads Truppen das syrische Dorf Tall Kalakh belagern, berichten Augenzeugen. Die libanesische Armee hat die Grenzkontrollen verstärkt, lässt die Flüchtlinge aber einreisen. Der Libanon sei direkt von Entwicklungen in Syrien betroffen, betont der Leiter des Issam-Fares-Instituts für internationale Politik an der Amerikanischen Universität Beirut, Rami Khoury:

    "Im Libanon herrscht immer die Sorge, die Syrer wollten das Land als Nebenkriegsschauplatz benutzen. Sie haben es in der Vergangenheit mehrfach getan. Sie schaffen Probleme, um zu zeigen: Wenn Syrien nicht stabil ist, lebt niemand in Sicherheit. Die Libanesen müssen deshalb auf der Hut sein."

    Die besondere Beziehung zum Assad-Regime der im Libanon mächtigen schiitischen Hisbollah macht die Lage noch prekärer.

    Der Hisbollah-Fernsehsender Al Manar verbreitet ungerührt die syrische Regierungslinie: Das Assad-Regime bekämpfe einen vom Ausland gesteuerten bewaffneten Aufstand. Bislang zeigt sich die Hisbollah zuversichtlich, dass Bashar al-Assad die Oberhand behalten werde. Dabei hätten sie Grund zur Sorge, meint Joshua Landis, Syrien-Experte an der Universität von Oklahoma:

    Viele Leute seien erpicht auf den Sturz des syrischen Regimes, weil sie hofften, das führe zum Bruch mit dem Iran und werde Teheran sowie die Hisbollah schwächen, sagt Landis.

    Rami Khoury sieht darin eine Herausforderung für die Hisbollah, nicht aber ein Ende der Schiitenmiliz.

    Hisbollah suche mit Übereifer nach Alternativen, glaubt Khoury. Syrien sei ein bedeutender logistischer Partner. Aber Damaskus sei für sie politisch weniger wichtig als Teheran. Die Hisbollah-Leute seien große Strategen, so Khoury, die sicher nicht erst jetzt darüber nachdächten, wie es eventuell ohne Assad für sie weitergehen könne.

    Die arabische Welt schaut gebannt auf den Versuch der syrischen Regierung, die Demokratiebewegung mit Gewalt zu unterdrücken. Die Arabische Liga lässt sich nur zu einer lauen Aufforderung hinreißen: Man solle die Demokratiebewegungen unterstützen statt ihnen mit Kugeln zu begegnen. Diese Zurückhaltung liegt in der zentralen Rolle begründet, die Damaskus in allen Konflikten der Region spielt. Khoury:

    "Mit einigen sind sie befreundet, mit anderen verfeindet. Aber jeder einzelne Spieler in der Region, ob Hamas, Hisbollah, Iran, der Libanon, Jordanien, die Türkei, Irak, Saudi-Arabien, Israel, die USA, sie alle haben eine Verbindung zu Syrien."

    Und das Assad-Regime hat sich als stabiler wenn auch von vielen ungeliebter Partner erwiesen. Niemand könne jedoch vorhersagen, was danach komme, meint Khoury.

    Es sei deshalb besser, die alt-bekannte Struktur zu erhalten. Ein Kollaps Syriens sei gefährlicher als der Status quo, trotz all seiner Fehler. Dies sei die überwiegende Einstellung der regionalen Nachbarn, sagt Khoury.

    Das gilt sogar für Israel. Der Grund: Assad hat die Grenze auf dem von Israel besetzten, syrischen Golan seit Jahrzehnten ruhig gehalten.

    "Israelis wie Amerikaner preisen immer die Demokratie, gleichzeitig lieben sie arabische Diktaturen, denn mit denen kommen sie prima aus. Die Ungewissheit hingegen, die auf den Sturz Assads folgen würde, die trifft israelische Existenzängste mitten ins Herz. Denn da passiert etwas in der arabischen Nachbarschaft, das Israel nicht kontrolliert, auf das es keinen Einfluss hat."

    Zudem ist keineswegs sicher, dass ein neues, demokratisches Syrien Israel-freundlicher wäre als das Assad-Regime.


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