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Warum die zweite Kanne Kaffee nichts mehr bringt

Müde? Unkonzentriert? Dagegen hilft man sich gerne mit einer Tasse Kaffee. Wie das darin enthaltene Koffein seine aufhellende Wirkung im Gehirn genau erzielt, haben Mediziner im Forschungszentrum Jülich jetzt erstmals in vivo sichtbar gemacht.

Von Volker Mrasek | 07.11.2012
    Wirklich tapfer waren sie, die über 20 Teilnehmer der Studie im Forschungszentrum Jülich. Alle mussten eine gefühlte Ewigkeit lang in die enge Röhre eines medizinischen Großgerätes, Positronen-Emissionstomograf genannt, kurz PET.

    "Wir brauchen fast zweieinhalb Stunden, um diese Untersuchungen durchzuführen. Das ist für den Probanden durchaus schwierig, weil er während der ganzen Zeit den Kopf vollkommen ruhig halten muss."

    Einfach wegzudämmern war nicht gestattet. Und auch gar nicht möglich:

    "Dadurch, dass sie eben das Koffein bekommen haben und dadurch besonders wach sind."

    Wacker trugen die jungen Männer so zum Gelingen einer besonderen Studie bei. Ihr Leiter, der Neurologe Andreas Bauer aus dem Institut für Neurowissenschaften und Medizin im Jülicher Forschungszentrum:

    "Es ist die erste Studie, die es uns jetzt erlaubt hat, beim lebenden Menschen danach zu schauen, wo Koffein und in welcher Konzentration es im Gehirn wirkt."

    Dafür nutzte die Jülicher Arbeitsgruppe jetzt das institutseigene PET-Gerät.

    Mithilfe radioaktiv markierter Moleküle kann der Apparat chemische Vorgänge im lebendigen Gehirn sichtbar machen - zum Beispiel, wie sich Koffein darin verteilt und an welchen Bindungsstellen im Nervengewebe es andockt. Man spricht auch von Rezeptoren. Koffein hat eine hohe Affinität zu einem Rezeptor für Adenosin. Dieses Signalmolekül im Gehirn lässt uns normalerweise ermüden. Das strukturell sehr ähnliche Koffein verdrängt Adenosin aber aus seinen Bindungsstellen. Dadurch, so die Vorstellung der Forscher, macht uns Kaffee wach.

    Wie sich herausstellte, hält diese biochemische Wirkung von Koffein im Gehirn offenbar fünf bis sechs Stunden lang an!

    "Das hat uns auch verblüfft. Tatsächlich ist es so, dass die biologische Halbwertzeit von Koffein erheblich kürzer ist. Und insofern eigentlich davon ausgegangen werden muss, dass das Koffein zu diesem Zeitpunkt, nach fünf bis sechs Stunden, bereits wieder verschwunden ist."

    Neurologe Bauer glaubt deshalb auch nicht, dass das Koffein über Stunden wie ein Schlüssel im Schloss des Rezeptors stecken bleibt:

    "Wir gehen schon davon aus, dass das Koffein mit dem Rezeptor interagiert, wie wir das üblicherweise in diesem Schlüssel-Schloss-Prinzip kennen. Das heißt also, es gibt einen sehr raschen Wechsel von einzelnen, kleinen - in dem Fall - Koffeinmolekülen mit diesem großen Protein, mit diesem großen Eiweiß, das als Rezeptor fungiert. Aber offenkundig ist es so, dass dieser kurze Impuls einer hohen Koffeinkonzentration am Rezeptor eine Veränderung seiner Struktur auslöst, die dann auch bestehen bleibt, wenn das Koffein selbst nicht mehr da ist."

    Durch diese Formänderung passt der eigentliche Originalschlüssel nicht mehr in sein Schloss: das Adenosin, der gehirneigene Müdemacher.

    "Was dann eben auch sehr gut erklärt, warum diese Wirkung des Koffeins, also zum Beispiel diese gegen Müdigkeit gerichtete Wirkung, so lange bestehen bleibt, obwohl der Stoff selbst dann schon gar nicht mehr im Blut ist."

    Wie Andreas Bauer aus den Untersuchungen ableitet, genügen schon zwei bis vier Tassen Kaffee, um die Hälfte aller Adenosinrezeptoren im Gehirn durch Koffein zu blockieren - eine enorme Quote! Und wenn das dann auch noch für Stunden der Fall ist, wie es scheint, bringt es eigentlich nichts, noch mehr Kaffee zu trinken.

    "Ein Stück weit entspricht diese Erkenntnis aber auch der Alltagserfahrung, die vielleicht der eine oder andere schon mal gemacht hat. Wenn man es bewusst darauf anlegt, Koffein einzusetzen, um zum Beispiel wach zu bleiben, weil man eine Nacht durcharbeiten möchte, dann ist es so, dass tatsächlich die erste Kanne Kaffee diesen positiven Effekt macht. Die zweite oder dritte Kanne, die man dann vielleicht auch noch trinkt, steigert aber nicht mehr die Wachheit und auch nicht die Konzentrationsfähigkeit."

    Begonnen hat inzwischen eine Folgestudie in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Dabei soll exakt ermittelt werden, wie stark und lange Koffein bei welcher Konzentration wirkt. Andreas Bauer kann sich vorstellen, dass es bald genau dosierte Koffeinpillen gibt. Piloten auf Langstreckenflügen oder Schichtarbeiter könnten sie einnehmen, um nicht einzunicken,

    "ohne die ungünstigen Nebenwirkungen einer Selbstdosierung mit Litern von Kaffee."