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Warum Ferrara?

Das Geld gibt es für das Holocaustprojekt. Schließlich gehört Ferrara zu den wohlhabendsten Städten der Region Emilia-Romagna. Touristen gehören hier ebenso zum Stadtbild wie alte Paläste und Kirchen. Ferrara ist eine der meistbesuchten Kommunen Norditaliens. Viel Geld fließt aus dem Tourismus in die Stadtkassen. Im Rathaus regieren Linksdemokraten und Bürger, die der eigenen Geschichte kritisch gegenüberstehen. Anders als die meisten Städte Italiens will man jetzt ganz gezielt an eine Seite der Ferrareser Vergangenheit erinnern, die zwar nicht gänzlich unbekannt ist, die man aber deutlicher als bisher herausstreichen, hervorheben will, erklärt Daniele Levi. Der Historiker aus Ferrara arbeitet im jüdischen Museum der Stadt, das zu den interessantesten seiner Art in ganz Italien gehört:

Thomas Migge berichtet |
    Ich habe schon wiederholt darauf hingewiesen, dass es dank dieses Museums und jetzt auch mit Hilfe der neuen Säle, endlich möglich ist, jenes ferne 15. und 16. Jahrhundert bei uns lebendig werden zu lassen. Eine Zeit, in der die Juden, einmalig in Westeuropa, gleichberechtigt mit den Christen zusammenlebten und integraler Bestandteil des alltäglichen Lebens waren.

    In Ferrara lebten bis zur deutschen Besetzung Italiens viele Juden. Die meisten von ihnen starben in Vernichtungslagern. Daran soll erinnert werden. Wenn die linke Stadtverwaltung jetzt ein Holocaustmuseum plant, dann es geht nicht darum, mit Berlin oder New York konkurrieren. Man will an die eigene jüdische Vergangenheit in Ferrara erinnern. Im Winter, wenn keine Besucher kommen, geht es in Ferrara geruhsam zu. Nur die vielen historischen Monumente zeugen noch davon, dass die Kleinstadt einmal bessere Zeiten erlebt hatte. Das aber war, wie man im jüdischen Museum erfährt, vor vielen Jahrhunderten - und dank einer jüdischen Gemeinde, die neben der von Salonikki zu den größten und einflussreichsten ganz Europas gehörte. Eine Gemeinde, an die heute in Ferrara nicht mehr viel erinnert. Daniele Levi:

    Es gab hier früher zwei Bibliotheken: eine des Rabbinerkollegs mit zirka 700.000 Bänden, und die andere der jüdischen Gemeinde mit 7.000 Bänden. Ein großer Schatz, über den wir allerdings nicht mehr verfügen. Aber wir haben noch genügend Material, um hier bei uns an die große Zeit der jüdischen Kultur zu erinnern. Auch wenn unsere bibliophilen Schätze leider verschwunden sind.

    Das jüdische Museum in Ferrara befindet sich in einem alten Palazzo in der zentralen Via Mazzini. Das Gebäude wurde Ende des 15. Jahrhunderts von dem wohlhabenden jüdischen Bürger Samuele Melli der Gemeinde überlassen. An welchem Ort das Holocaustmuseum errichtet werden soll, ist noch unklar. Klar ist nur, dass sich die Stadtväter dazu entschieden haben, neben dem jüdischen Museum, das von der Kultur der jüdischen Mitbürger berichtet, auch eine Einrichtung zu schaffen, die von der ständigen Unterdrückung der Juden durch die Kirche und von der Vernichtung durch die Nationalsozialisten erzählt. Dabei will man sich, so ein Sprecher des Kulturministeriums, das sich an dem mit 15 Millionen Euro teuren Projekt beteiligen will, nicht nur auf das Thema der Deportation und Tötung der Juden aus Ferrara beschränken. Das Museum, für dessen architektonischen Entwurf es noch keine Ausschreibung gegeben hat, soll vom grauenhaften Schicksal der Juden aus ganz Italien berichten. Ferrara wäre ein idealer Standort für ein italienisches Holocaustmuseum. Es gibt in Italien und in Europa nicht viele Städte, an denen Juden, bevor sie systematisch unterdrückt wurden, so integriert waren wie in Ferrara.

    Die jüdische Geschichte dieser Stadt begann erst so richtig im Jahr 1492. Damals regierte hier die tolerante Familie D'Este. Es war Ercole I., der die aus Spanien vertriebenen Juden aufforderte, sich doch in seinem Herzogtum niederzulassen. Er verlieh den Flüchtlingen, die von der spanischen Krone nicht mehr geduldet wurden, eine für seine Zeit beispiellose gesellschaftliche, juristische, religiöse und ökonomische Gleichberechtigung. Eine weise Entscheidung: Ferrara wurde dank des Know-Hows jüdischer Geschäftsleute aus Spanien eine der blühendsten Städte Italiens. Daniele Levi:

    Ercole ließ alle Bestimmungen der katholischen Kirche, die Einschränkungen des jüdischen Lebens vorsahen, streichen. Die hier bei uns ausgestellten Dokumente weisen nach, dass die Juden mit Christen Handel trieben und dass in den benachbarten Staaten niemand Probleme damit hatte, mit den Ferrareser Juden Geschäfte abzuschließen. Sie genossen die Protektion der D'Este und da konnte auch die Kirche nicht viel machen.

    Diese Blütezeit in den Beziehungen zwischen Juden und Christen endete abrupt 1598. In jenem Jahr fiel Ferrara an den Kirchenstaat. Die Juden wurden zwar nicht vertrieben oder, wie woanders geschehen, ermordet, doch die kirchliche Herrschaft schränkte ihren Handlungsspielraum erheblich ein. Die Folge dieser Politik: Die Ökonomie Ferraras sank auf das Niveau einer unbedeutenden Provinzstadt herab. Nur noch wenige Juden lebten vom Handel und wurden reich. Als die Deutschen die letzten Juden Ferraras verschleppten, erinnerte schon nichts mehr daran, dass dieses Stadt einmal ein Beispiel jüdisch-christlicher Integration für ganz Europa war.

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