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Warum ich doch zum P.E.N.-Kongress fahre

Alle Jahre wieder dasselbe Spiel: Fahr ich nun oder fahr ich nicht. Zum P.E.N.-Kongress.

Von Liane Dirks | 12.05.2004
    Schön ist es ja, die alten Bekannten mal wieder zu sehen: "Was, altes Haus, du schreibst immer noch?" oder "Die ist auch da? Hab ich nicht gerade den Nekrolog auf sie gelesen?" oder "Dein Text in der Bäckerzeitung neulich, der war spitze, so subversiv. Ich hab gleich Deine Schreibe erkannt!"

    Manchmal lassen sich sogar die erfolgreichen Youngsters blicken, die, die in Lifestylemagazinen schreiben, wo die In-Lokale sind, oder was sie auf einer lebensumwälzenden und vom Goethe-Institut finanzierten fünftägigen Reise nach Bangkok Tiefes beim Cocktail in der VIP-Lounge dachten. Die kommen aber nur, wenn sie eine von den begehrten öffentlichen Abendlesungen kriegen und danach hauen sie ganz schnell wieder ab.

    Man kann schon stolz sein, drin zu sein, in den Club kommt nicht jeder rein.
    Und gewisse Momente sind wirklich erhebend, die Totenehrung zum Beispiel. Die Charta des P.E.N. ist es übrigens auch.

    Die Mitglieder des Clubs verpflichten sich, nach Absatz 2, "für die Bekämpfung von Rassen- und Klassen- und Völkerhass und für die Hochachtung des Ideals einer in einer einigen Welt in Frieden lebenden Menschheit mit äußerster Kraft zu wirken". Der P.E.N. verwirft Zensurwillkür überhaupt und "erst recht in Friedenszeiten", was "freie Kritik gegenüber Regierungen, Verwaltungen und Einrichtungen gebieterisch verlangt". Gebieterisch verlangt.

    Wie kraftvoll, wie stark. Da muss man doch hin.

    Aber ach, dann kommt die Tagesordnung. Der Bericht des Schatzmeisters, die Entlastung des Vorstands, Thesen zur Rechtschreibreform, die Vorstellung des Buches "Geschichte des bundesdeutschen P.E.N. von 1951 bis 1990", die Mahnmaldebatte!

    Ich schlafe schon beim Durchlesen ein. Das Thema "Radio ohne Literatur" könnte interessant sein, das wird allerdings auf einem Podium von Radiomachern und nicht von Schriftstellern diskutiert.

    Nun mal alle Polemik beiseite. Was der P.E.N. für verfolgte Autorinnen und Autoren tut, das ist gut. Was einzelne dabei leisten, ist mehr, es ist hervorragend und natürlich steht das an erster Stelle. Was aber die Bedeutung des P.E.N. in unserem Land angeht…?

    In einer Zeit, in der die Feuilletons an Bedeutungslosigkeit immer mehr gewinnen, eine deutsche Zeitung von einer Parteifinanzierung abhängig wird, öffentliche Bloßstellung, Sexualisierung bis zum Äußersten, extreme Gewaltdarstellungen und blödeste Unflätigkeiten das Fernsehen beherrschen, um Quote zu machen, Verlage in Konzernen untergehen, gezielte Bestsellermache durch gigantische Werbestrategien zur Tagesordnung in seriösen Verlagen gehört, in der Bürgermeister und nicht Künstler bestimmen, was Kultur ist und welchen Rang sie hat, und Richter sagen, was Kunst und was persönlich ist, in der das höchste Lob für ein Buch ist, dass es "gut zu lesen" ist oder "wunderbar", oder man sich zum hundertsten Mal selbst erkennt und bloß nie etwas anderes, käme es diesem Club da nicht zu, die Kontroverse, die Streitkultur nun endlich mal "gebieterisch zu verlangen"?

    Und würde nicht gerade das dem P.E.N. den Einfluss verschaffen, den er braucht, um für andere etwas zu tun?

    Doch es steht ja schon auf der Homepage, der Club hält sich von der Tagespolitik fern. "Dennoch ist er in einem allgemeineren Sinn nicht unpolitisch, sofern nämlich seine verbindlichen Leitsätze auch politische Implikationen enthalten."

    Oh Graus! Das ist die Sprache der Verwaltung, sie führt mit viel Luft sauerstoffarm mitten durch ins Nichts!

    Aber was soll’s , ich fahr trotzdem hin, das ist wie mit Weihnachten, einmal im Jahr braucht man die Familie doch, außerdem will ich den Kollegen aus der Bäckerzeitung sehen. Der hat übrigens ein gestandenes Werk und Aktenordner voller Rezensionen, aber der verkauft sich nicht mehr gut genug, der ist zu schwierig. Und dann sind da ja auch noch die Nekrologen.