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Warum wir dicker werden

Trotz jahrzehntelanger Aufklärung über richtige Ernährung nehmen ernährungsbedingte Erkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislaufprobleme zu. Die frage nach dem warum stellte sich der "AID" Ernährungs- und Informationsdienst der Bundesregierung in Bonn. Klar wurde zumindest: Was bei der Atom-Kraft funktioniert, klappt nicht bei der Ernährung.

Von Ursula Mense |
    "Ich denke, in Teilen ist die Ernährungskommunikation gescheitert. Wir haben ein schwergewichtiges Problem in Sachen Übergewicht, und allein, dass die Berechnungen zeigen, dass die Generation unserer Kinder früher sterben wird, als ihre Eltern, ist wirklich erschreckend."

    Neue Wege mit neuen Chancen will Dr. Margret Büning-Fesel deshalb gehen und versuchte gemeinsam mit den Teilnehmern des AID-Forums zunächst einmal auszuloten, warum die sogenannte Ernährungskommunikation gescheitert ist. Mögliche Gründe dafür formulierte Dr. Uwe Spiekermann vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Göttingen sehr provokant in vier Thesen.

    "Ernährungskommunikation scheitert, weil sie von Ernährung ausgeht, während für normale Menschen Essen relevant ist. Zweitens, weil die Kommunikatoren aus einer sozialen Schicht mit einem akademischen Hintergrund kommen und aus diesen Werten heraus über die vermeintlich falsch Essenden Werturteile abgeben. Drittens, weil die Logik dahinter die Logik des Alltags, die komplexer ist, ausgrenzt und viertens daran, dass die Ernährungsexperten letztlich nicht daran interessiert sein können, dass sich der jetzige Status grundlegend ändert."

    Denn eine grundsätzliche Verhaltensänderung würde ihnen, den Experten, ja das Wasser abgraben und ihnen ihre Daseinsberechtigung nehmen.

    Das war durchaus ernst gemeint und beinhaltete nichts anderes als die Aussage: eure Aufklärungswut ist nur Selbstzweck und: Ihr seid durchaus die Falschen, um zu erreichen, was ihr seid Jahrzehnten erreichen wollt.

    Denn – so der Historiker weiter – Ernährungskommunikation sei vielfach von einem "naiven Verbesserungsidealimus" getragen, der am Alltag der Menschen vorbei gehe.

    Erstaunlicherweise blieb der Sturm der Entrüstung aus. Im Gegenteil bekundeten die versammelten Ökotrophologen, Ernährungstherapeuten und Diätassistentinnen eher Einsicht.

    Praktische Lösungen im Hinblick auf Verhaltensänderungen konnte Spiekermann folgerichtig nicht anbieten. Für ihn muss der Mensch selbstbestimmt bleiben. Ernährungskommunikation solle und müsse thematisieren, was dick macht und welche Folgen damit verbunden sind; aber nicht, ob man es sein oder werden darf.

    Die AID Geschäftsführerin konstatierte durchaus eine gewisse Ratlosigkeit der Ernährungsexperten. Der Schlüssel zur Lösung des Problems fehle noch. Büning-Fesel nannte Ansätze, wie man der sogenannten Top Down Strategie begegnen kann, also der weithin üblichen Praxis, dass ein Experte dem unwissenden Bürger erzählt, was er oder sie machen soll. Sie verwies auf den schon von der WHO praktizierten sogenannten integrativen Ansatz.

    "Dass ich aus einer Gruppe einige herausnehme, denen ich durch eine Schulung Informationen vermittele, die die Jugendlichen weitergeben. Also, dass sich die Schere zwischen dem Experten und dem was ich erzählen will nicht so groß mache, sondern dass es einer aus der Gruppe ist, der ein bisschen mehr weiß als die anderen."

    Kernfrage des Forums blieb also, wie langfristig Verhaltensänderungen bei Verbrauchern erreicht werden können. Einen interessanten Ansatz bot dazu Stephanie Lücke von der Universität Erfurt. Die Kommunikationswissenschaftlerin stellte das Ergebnis eines Forschungsprojekts dar, das die Wirkung von Ernährungsaufklärung in den Massenmedien zum Thema hatte. Dabei zeigte sich, dass vor allem schwierige Zielgruppen ohne Interesse an Ernährungsaufklärung über Unterhaltungssendungen auf subtile Weise beeinflussbar sind.

    Das ist im Prinzip nicht neu. Für die Ernährungskommunikation aber möglicherweise ein neuer Ansatz, wenn in beliebten Serien und Soaps eine gesunde Ernährungsweise positiv beworben werden könnte. Beispielsweise dadurch, dass nur die miesen Typen rauchen oder das Mädchen mit der coolen Figur viel Gemüse isst.

    Für eine gesamtgesellschaftliche Bewegung, wie sie von einigen Teilnehmern des Forums angeregt wurde, fehle ein Feindbild, sagte Büning-Fesel weiter. Was bei der Anti-Atomkraft Bewegung funktioniert habe oder auch bei der Ökobewegung, die sich durchaus in Gegnerschaft zur konventionellen Landwirtschaft verstehe, funktioniere nicht beim individuellen Thema Ernährung.