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Was bei uns schreitet, schwebt hier im Tanz

Reinhard Raffalt, wohl der bedeutendste deutsche Italienkenner nach Ludwig Curtius, schildert, wie er aus seinem Fenster an der Piazza Venezia in Rom blickt, einen einsamen Polizisten zu Fuß entdeckt und genau weiß, woran dieser denkt – daran, dass gleich die Bar öffnet und damit der erste köstliche Espresso wartet. Bei seiner Streife dann um die erhabensten Orte der Antike gelten die Gedanken dieses civis Romanus der Fußballbegegnung AS Roma gegen Lazio, der Pasta und Mariellas, Paolas oder Angelinas, wie sie eben heißen mag. Nicht in den Sinn kommen ihm Julius Caesar, Rienzi oder Leo X., genau sie aber stehen vor den Augen des Autors Raffalt. Schlaglichtartig schildert er damit das Phänomen des Mythos Süden: Zwei Welten in einer, nicht Wahn und Realität, sondern parallele Existenzen, eine so wirklich wie die andere, die meist kunstvoll ineinander greifen, bisweilen knirscht es aber vernehmlich. Wir besuchen Stätten aus beiderlei Perspektiven – die erste Station muss natürlich Goethe heißen.

Von Wolfgang Koczian |
    Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,...
    Dahin! dahin
    Möcht ’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.

    Wer kennt Goethes Zeilen nicht – Sonne und Wärme, milde Luft und Blütenpracht, Augenlust an der Horizontale der Pinien und Vertikale der Zypressen, die Sehnsucht des Menschen aus Nebelland. Goethes bukolisches Arkadien, schwelgerisch in Faust II ausgebreitet, lag am Gardasee, auch wenn ihn die Signoria der Serenissima in Malcesine erst einmal als Spion festsetzte. Über den Brenner oder durch den Gotthard, es gleicht dem Weg in`s Paradies. Wenn über der Etsch die Sonne strahlt, wird ein Mythos wahr:

    Va, pensiero sull’ali dorate

    Die Gallerien der Arena zu Verona speichern noch die Hitze des Nachmittages, während der goldgewirkte Nachthimmel Teil der Kulisse aus Geschichte, Imagination und Musik wird. Leise beginnt der Chor, was ein Klagelied sein sollte und in strahlendem, triumphierenden Belcanto endet. Gestandenen Männern laufen die Tränen der Ergriffenheit über die Wangen. Wenn es je eine europäische Hymne gab, dann diese. Gefühl zu inszenieren, ist Teil von fare bella figura. Ach – und diese wunderbaren Tode in der Oper! Was für Italien gilt, lässt sich ähnlich auf Spanien übertragen:

    Nein, es trägt Orangenblüten,
    trägt Oliven, Andalusien,
    deinen beiden Meeren zu.

    Italien ist der Süden Deutschlands/Österreichs. Frankreichs Süden heißt Spanien. Hinter den Pyrenäen wird es geheimnisvoll, exotisch, Rhythmen, die zugleich bezaubern und fremdartig sind – der ›Bolero‹, die ›Rapsodie espagnole‹, wo nach den geheimnisvollen Nebeln der Nacht im Prelude das rauschende Fest der Malaguena aufsteigt. Angeblich war Ravel nie in Spanien, hatte aber baskisches Blut in sich. Don Quijote lässt grüßen. Doch dann steht monumental auf den Kämmen der Sierra der Osborne-Stier aus Spanplatten.

    ...hör ich die Lieder von Mexiko her

    Was dem Norden Europas der Mythos Süden wiederholt sich, vielleicht noch deutlicher, gegenüber dem Norden Amerikas: South of the border. Die Schatten des 2. Weltkrieges lasteten schwer auf den USA, da schickte Walt Disney Donald Duck in einem Trickfilm nach Mexiko. Es wurde eine rauschende Fiesta. Unter einem viel zu großen Sombrero und mit einer Guitarre unterliefen dem Tollpatsch alle nur denkbaren Ungeschicklichkeiten, doch nichts konnte die Fröhlichkeit und Sorglosigkeit beeinträchtigen. South of the border gibt es keine Kümmernis. Selbst eviva la revolucion gebiert pure Romantik.
    Dreimal Mythos Süden. Eine "Lange Nacht" zu Pfingsten mit Gesprächspartnern, Musik, Gedichten und viel Reiselust.

    Studiogäste:
    Oktavia Brugger, Journalistin des italienischen Rundfunks RAI
    Francesc Puértolas Cibrián, Kulturreferent des Institutos Cervantes
    Prof. Dieter Paul, Feldafing

    Links:

    Deutsch-Mexikanische Gesellschaft e.V. - Sociedad Mexicano-Alemana A.C

    Der italienische Rundfunk- und Fernsehsender Rai

    Das Instituto Cervantes – Das Spanische Kulturinstitut in München

    Literatur:

    Spanische Lyrik von der Renaissance bis zum späten 19. Jahrhundert
    Spanisch-Deutsch
    Ausgewertet, übersetzt und kommentiert von Hans Felten und Agustin Valcarcel.
    Reclam Universal-Bibliothek Nr.8610.

    Spanische Lyrik des 20. Jahrhunderts
    Span.-Dtsch.. Ausgew., komment. u. hrsg. v. Gustav Siebenmann u. Jose M. Lopez.
    Reclam Universal-Bibliothek Nr.8035.
    1985 -RECLAM, DITZINGEN-

    Marco Lodoli
    Inseln in Rom
    Streifzüge durch die Ewige Stadt.
    Ausgew. u. übers. v. Gundl Nagl.
    2003. -HANSER-

    Dolce Vita
    Erotische Geschichten aus Italien von Dante bis Eco. Originalausgabe.
    Hrsg. u. m. Nachw. v. Bettina Hesse.
    2004 -BVT BERLINER TASCHENBUCH VERLAG-