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Was Coldplay und die Geschwister Scholl verbindet

Der Titel des neuen Albums "bedeutet, was immer du willst", sagt Coldplay-Sänger Chris Martin. Er soll frisch und neu klingen - so wie die Musik des Londoner Quartetts. In ihren Texten geben sich die Musiker als Revoluzzer.

Von Marcel Anders |
    "Mylo Xyloto. Und das bedeutet, was immer du willst. Kann sein, dass es jetzt seltsam klingt. Aber eines Tages wird es hoffentlich nur dieses Album bezeichnen. Eben wie Coca Cola, Google, YouTube und all diese Sachen, die auch nichts bedeutet haben, ehe jemand etwas Entsprechendes erfunden hat. Und wir nennen das Ganze so, weil wir etwas Frisches und Neues wollten, das noch keine anderen Assoziationen hat. Das ist auch unser Ziel bei der Musik."

    Was nicht nur anspruchsvoll klingt, sondern auch ist: Auf insgesamt 14 Songs spielen Coldplay mit Extremen und Gegensätzen. Sie stellen warme, akustische neben harsche, elektronische Töne - und laborieren mit Stadionrock, gefühlvollen Balladen, lupenreiner Avantgarde und fetten HipHop-Beats.

    Dabei kreieren sie einen Sound, der absolut genreübergreifend ist, in keine Schublade passt und im krassen Gegensatz zu den meisten Tonträgern der Gegenwart steht. Einfach, weil hier wild experimentiert, hohes Risiko gegangen und ein idealistischer Anspruch verfolgt wird.

    "Wir sind mittlerweile bei unserem fünften Album. Also sollten wir es tunlichst vermeiden, nach unseren alten Platten zu klingen. Ganz abgesehen davon arbeiten wir mit tollen Leuten wie Brian Eno oder Markus Dravs, die uns ermutigen, einfach zu machen, was wir wollen. Insofern würde ich sagen: Ja, wir haben unseren Stil gefunden. Ich weiß zwar nicht, wie ich ihn beschreiben soll. Aber wir hören heute so viel unterschiedliche Musik, dass unsere eigenen Alben immer mutiger werden."

    Was für die Musik gilt, setzt sich auch in den Texten fort. Da geben sich Coldplay als große Revoluzzer, die nicht nur die stagnierende Rockmusik retten, sondern auch gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen wollen. Eben indem sie sich gegen staatliche Kontrolle, korrupte Politiker und Wirtschaftsimperialismus wenden - und auf "Mylo Xyloto" ein echtes Orwell-Szenario beschwören: Eine Liebesgeschichte in totalitären Zeiten.

    "Das ist der Rahmen für die Songs. Also Liebe in einer Angst einflößenden Atmosphäre zu finden. Wobei wir von vielen unterschiedlichen Sachen beeinflusst sind. Wie etwa der Bewegung 'Weiße Rose'. Und sei es nur, weil man halt von Leuten angezogen wird, die ihre Leidenschaft offen zur Schau stellen. Natürlich gibt es etliche, die das getan haben. Aber die Geschwister Scholl sind ein gutes Beispiel."

    Ein Ansatz und eine regelrechte Mission, die sich bei Coldplay auch visuell niederschlagen. Sei es in großen, bunten Graffitis oder subversiven Parolen, die ihr Artwork, ihre Bühnenshow, aber auch ihre neue Arbeitskleidung definieren. Da erinnern sie an die großen alten Rockrebellen von "The Clash" - an idealistische, wütende Männer, die die Welt aus den Angeln heben wollen. Wobei Chris dem jungen Joe Strummer auffallend ähnlich sieht.

    "Was ja nichts Schlechtes ist. Also es ist schlecht für ihn, aber gut für mich. Leider habe ich ihn nie getroffen. Aber auf dem Gelände des Glastonbury Festivals steht ein Gedenkstein, der ihm gewidmet ist. Und ich war öfter da, um ihm Respekt zu zollen. Denn als wir mit der Band anfingen, haben wir im Appartment seines ehemaligen Managers gewohnt - und jeden Tag stapelweise Fanpost für The Clash bekommen. Sie lag jeden Morgen auf der Treppe. Und wir dachten uns: Gott, die Leute lieben The Clash!"

    Aber auch Coldplay können sich über mangelndes Publikumsinteresse nicht beklagen. "Mylo Xyloto" ist ein sicherer Kandidat für die Spitze der internationalen Charts, die Medien überschlagen sich in reißerischer Berichterstattung und ihre Deutschland-Tour im Dezember ist restlos ausverkauft. Was für Chris Martin aber erst der Startschuss zu mehr ist, denn 2012 werden die Briten die größten Konzerte ihrer Karriere absolvieren. Auch bei uns - wo sie es nicht immer leicht hatten.

    "Ich weiß noch, wie wir das erste Mal in Deutschland getourt sind. Da waren wir schrecklich. Selbst die einzigen beiden Leute, die uns sehen wollten, sind nach wenigen Songs gegangen. (lacht) Aber mittlerweile lieben wir es. Alle britischen Bands treten gerne hier auf. Und ich wüsste nicht, warum sich das ändern sollte."