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"Was den Grünen an neuen Mitgliedern zufließt, ist erzkonservativ"

Die Mitbegründerin und ehemalige Grüne, Jutta Ditfurth, kritisiert die Grünen für das Buhlen um Wählerschichten der konservativen Parteien. Ferner glaubt sie, dass die Grünen die Atommülll-Transporte während der rot-grünen Regierung vergessen machen wollen und der CDU einen "künstlich dramatisierend" Kampf ansagen.

Jutta Ditfurth im Gespräch mit Christoph Heinemann | 19.11.2010
    Christoph Heinemann: Jutta Ditfurth, Gründungsmitglied der Grünen, Publizistin, die der Partei allerdings längst den Rücken gekehrt hat. Guten Tag!

    Jutta Ditfurth: Ja, guten Tag.

    Heinemann: Frau Ditfurth, in den Umfragen bewegen sich die Grünen inzwischen auf SPD-Niveau. Sind Sie stolz, dass Ihr Sprössling so prächtig gedeiht?

    Ditfurth: Das ist eine Einstiegsfrage, gut ausgedacht. – Nein, es handelt sich bei diesen Grünen, die da heute existieren, ja um ein völlig anderes Projekt, das sich sozusagen den Namen behalten hat. Das, was in den 80er-Jahren war, war wirklich was anderes, das will ich jetzt nicht ausführen.

    Heinemann: Sollten Sie aber! Das interessiert uns!

    Ditfurth: Nein, das würde die Sendung sprengen. So viel Zeit kriege ich selbst bei Ihrem Sender nicht, glaube ich.

    Heinemann: Die Kunst ist im Knappen. Also eine Minute haben Sie.

    Ditfurth: Eine Minute habe ich? – In den 80er-Jahren waren die Grünen bis zu den Auseinandersetzungen von 1988 etwa eine Partei, die nach einer gemischten Lage am Anfang dann doch für einige Jahre im Schwerpunkt eine relativ linke Partei wurde, die grundsätzlich sich bis ins konservative Feld hinein einer Meinung war, den Kapitalismus abzulehnen als Mensch und Natur zerstörend, die NATO nicht zu wollen, das staatliche Gewaltmonopol infrage zu stellen und eine Reihe von anderen Fragen, die das, wenn das heute Neumitglieder der Grünen hören, sagen, das muss ja irgendwann auf einem anderen Planeten gewesen sein. Und wenn ich jetzt höre, wie sich sozusagen die Partei-Führungsriege der Grünen hinstellt und sehr künstlich dramatisierend der CDU den Kampf ansagt, dann muss ich fast lachen, weil es doch nichts anderes ist als zweierlei: erstens der Versuch, eine um zum Teil ähnliche Wählerschichten, nämlich sehr, sehr bürgerliche und auch sehr konservative, konkurrierende Partei sozusagen anzugreifen, und zweitens auch Probleme, vor allem aber Probleme in den Schatten zu stellen, die die Grünen selbst ja als rot-grüne Regierungspartei 1998 bis 2005 ins Leben gerufen haben, nämlich sie waren ja diejenigen, die die grundsätzliche Verarmung von großen Teilen der Gesellschaft beschlossen haben, und sie waren diejenigen, die damals gesagt haben, Atommüll-Transporte unter unserer Verantwortung sind aber gute und da darf man noch nicht mal in Gorleben gegendemonstrieren. Das soll jetzt vergessen gemacht werden durch eine Konfrontation, die eine ähnliche taktische Komponente hat wie was weiß ich, der alte Wahlkampf Schmidt-Strauss oder ähnliche.
    Das heißt, in der Bewegung grummelt es ganz stark über diese Grünen, die sich jetzt, nachdem sie die Laufzeiten von Atomkraftwerken ja mit der SPD gemeinsam in dem sogenannten Atomkonsens verlängert haben, jetzt sagen, wenn die CDU da aber noch weitermacht und unsere Hintertürchen dieses Vertrages nutzt, dann sind wir aber ganz böse und plötzlich wieder

    Heinemann: Gleichwohl: Das, was Sie belächeln, steckt ja an. Wie erklären Sie sich sonst die Höhenflüge in den Umfragen?

    Ditfurth: Nein, das steckt nicht an, sondern ich glaube, das sind jetzt zwei Sachen. Das eine ist, es gibt – und das ist eher das, was mich verwundert hat – ja immer noch einen Teil grüner Wählerschaft, die immer sagen, wir wollen es gar nicht so genau wissen, wir möchten aber gerne glauben dürfen, dass die Grünen immer auch noch ein ganz klein bisschen links sind, und diese Menschen werden demnächst aufwachen, weil sie mitkriegen, dass das, was den Grünen an neuen Mitgliedern und an neuen Wählern zufließt, dermaßen erzkonservativ ist, aber gerne mit gutem Gewissen, das sein möchte. Mal spöttisch gesagt sind das dann Leute, die das ganze Jahr über in relativ gut betuchten Positionen arbeiten und auch gut und angepasst funktionieren, aber Weihnachten dann doch mal was weiß ich, für die Dritte Welt spenden, oder ein paar gute andere Sachen machen.

    Heinemann: Was bringen denn andererseits die schönsten Programme oder Ideologien, wenn man die Macht nicht gewinnt?

    Ditfurth: Die Frage ist immer, wo die Macht eigentlich liegt.

    Heinemann: Die zum Gestalten!

    Ditfurth: Da halte ich es mit Tucholsky, der sagt, die Sozialdemokraten dachten, sie seien an der Macht, aber sie waren nur an der Regierung. Also die Macht in diesem Land liegt natürlich aufseiten der Wirtschaft, der Konzerne, des Kapitals. Das wissen auch klügere Grüne, die anderen tünchen darüber weg. Und was man in Regierungen machen kann, ist relativ begrenzt. Um ein Beispiel zu nennen: Gerade die Frage der Atomkraftwerke, der Atomenergie-Nutzung zeigt doch, dass Bewegungen wie die, die es in den 70er-Jahren von Wyhl bis Kalkar über fünf Jahre nur gab, eine Gesellschaft in dieser Frage viel mehr umkrempeln und dass damals von 90 real geplanten Atomkraftwerken die Mehrheit verhindert werden konnte, ohne auch nur eine Vertretung in einem Parlament, geschweige denn in der Regierung zu haben.

    Heinemann: Und diese Bewegung ist doch nach wie vor wach, siehe Gorleben!

    Ditfurth: Diese Bewegung hat sich mehrfach verwandelt und verschmolzen. In ihr gibt es heute noch alte Teile. Deswegen ist auch die Hartnäckigkeit und die Erfahrung da, wie man jetzt – ich war fünf Tage in Gorleben -, wie man dort wunderbar beobachten konnte. Es kommen neue Leute dazu und gucken. Ich habe dort Leute bei Sitzblockaden erlebt, die gesagt haben, wenn der Trittin, dieser Verräter, sich jetzt hier zu uns setzt, dann räumen wir den selber ab, dazu brauchen wir gar nicht die Polizei. Das heißt, in der Bewegung grummelt es ganz stark über diese Grünen, die sich jetzt, nachdem sie die Laufzeiten von Atomkraftwerken ja mit der SPD gemeinsam in dem sogenannten Atomkonsens verlängert haben, jetzt sagen, wenn die CDU da aber noch weitermacht und unsere Hintertürchen dieses Vertrages nutzt, dann sind wir aber ganz böse und plötzlich wieder - - Vor ein paar Jahren sind die Grünen noch auf Demonstrationen verjagt worden. Und gegen diese Geschichtslosigkeit auch in Teilen, in Teilen des Widerstands, muss man natürlich anarbeiten, aber das ist nichts Neues in Deutschland.

    Heinemann: Frau Ditfurth, wieso sollten sich die Grünen jetzt noch am linken Rand tummeln? Da ist bereits die Linkspartei, der linke Flügel der SPD. Also wie viel Formationen haben denn Platz ganz links?

    Ditfurth: Na ja, ich sehe die Welt und dieses Land und diese deutsche Gesellschaft wirklich nicht nur darggestellt und repräsentiert von irgendwelchen Parteien. Schauen Sie sich einfach an, was für ein riesiges Spektrum, und das ist auch bei den ganzen, etwas hysterischen Umfragen gegenüber der vergessene, größte Teil. Die größte Fraktion sind immer noch diejenigen, die sagen, sie wählen bewusst nicht, auch aus linken politischen Gründen, oder sie wissen noch nicht wie, oder sie wollen sich ganz raushalten. Das sind 36 Prozent! Das ist die größte Fraktion von allen, über die wird aber nicht geredet, weil alle autistisch mit Tunnelblick fixiert sind auf Wahlprozente. Die gesellschaftlichen Stimmungen gehen daran zum Teil vollkommen vorbei.

    Heinemann: Kleider machen Leute, hat ein großer Dramatiker gesagt. Grüne Spitzenpolitiker tragen inzwischen Anzug und Krawatte. Sehnen Sie sich nach jener Zeit zurück, als klappernde Stricknadeln, Gemüsetüten und Trillerpfeifen noch zur Grundausstattung des grünen Bundesdelegierten gehörten?

    Ditfurth: Wissen Sie, das ist ein so dusseliges Klischee. Die Filme, die heute über die Anfangs-Bundesversammlung der Grünen gezeigt werden, das sind immer dieselben ein oder zwei Männer in dicken Norweger-Pullovern, die auch stricken. Die wurden immer gezeigt. Es ist immer irgendwie das gleiche Baby, was gestillt wird, und ich glaube ein oder zwei Hunde, die mal rumliefen. Die paar hundert anderen Leute sind dann in den Wiederholungen nicht drin. Und das Bild damals sozusagen von Leuten, die so aussahen, und von Leuten, die irgendwie so genannt angeblich schicker gekleidet waren, das war eine wilde Mischung, und das Skurrile wird wie Folklore vor sich hergetragen und tüncht das Bild über und gibt nicht wieder, wie das wirkliche wahr. Das war einfach Quatsch! Gucken Sie sich die Massen von Leuten an, die damals wie ich aus der Anti-AKW-Bewegung kamen. Natürlich musste man zur Platzbesetzung bequeme Kleidung tragen und hatte es nicht mit den schicken Anzügen und Kostümen. Das ist wohl wahr.

    Heinemann: Nicht im kurzen Schwarzen. – Frau Ditfurth, wie viel Bündnis 90 steckt heute noch in den Grünen?

    Ditfurth: Ich glaube, da steckt gar nichts mehr drin. Aber das war schon ganz schnell vorbei. Nach der Niederlage von 1990 war das sozusagen auch ein Teil einer Werbung für die Grünen, sie seien die Einzigen, die jetzt integriert hätten. Aber die paar Leute, die dann wirklich in Funktionen Einfluss bekamen, waren so schnell verschluckt, dass das ein, zwei Jahre später eigentlich schon gar kein Thema war. Es ist ein Teil des Mythos, der heute existiert.

    Heinemann: Die Publizistin Jutta Ditfurth, Mitbegründerin der und Aussteigerin aus der Partei Die Grünen.

    Ditfurth: Aber da bestehe ich drauf, ja!

    Heinemann: Heute heißen sie Bündnis 90/Die Grünen. – Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Ditfurth: Ich danke Ihnen! Tschüß!