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Was den Krebs zum Krebs macht

Onkologie. – Mit der Sequenzierung der wichtigsten Genome ist den beteiligten Zentren die Arbeit nicht ausgegangen. Jetzt konzentrieren sie sich auf die Entschlüsselung krankhafter Genome, etwa des Erbguts von Krebszellen. Denn bei diesen muss ja etwas anders sein als bei normalen Zellen, sonst würden sie nicht entarten. Ein Zwischenbericht britischer Genom-Forscher ist seit heute im Fachblatt "Nature" nachzulesen.

Von Michael Lange | 08.03.2007
    Um eine gesunde Körperzelle zu einer Krebszelle zu machen, reichen ein paar kleine Veränderungen im Erbgut, so genannte Mutationen. Gleich 1000 dieser Erbgutveränderungen in Krebszellen haben Wissenschaftler des Sanger-Instituts im britischen Cambridge nun entdeckt, in einer groß angelegten Suchaktion. Michael Stratton ist einer der leitenden Wissenschaftler:

    "Als wir uns die 1000 Mutationen genauer anschauten, waren wir höchst erstaunt. Denn wir entdeckten eindeutige Hinweise auf sehr viele bislang unbekannte Krebsgene. Etwa 100 neue Krebsgene fanden wir durch die Untersuchung dieser 1000 Mutationen."

    Einige der 1000 Erbgutveränderungen hält Michael Stratton für besonders gefährlich:

    "Wir nennen diese Mutationen ‚Fahrer’, weil sie die Zelle in eine neue Richtung steuern. Sie fördern Wachstum und Zellteilung und machen so aus einer normalen Zelle eine Krebszelle. Von den 1000 Mutationen, die wir geprüft haben, erwiesen sich 150 als ‚Fahrer’. Sie steuern die neu entdeckten Krebsgene."

    Neben den "Fahrern" gibt es auch noch die "Mitreisenden" oder "Beifahrer". Das sind Mutationen, die ebenfalls gehäuft in Krebszellen auftreten. An der Entstehung von Krebs sind sie nicht beteiligt. Die "Beifahrer"-Mutationen entstehen bei der Zellteilung. Sie kommen nur deshalb in Krebszellen häufiger vor, weil Krebszellen sich verstärkt teilen. In ihrem Verbreitungsmuster unterscheiden sie sich von den gefährlichen "Fahrern". Wer einen Krebs erfolgreich bekämpfen will, muss die Fahrer ausschalten. Die Beifahrer allein sind ungefährlich. Wenn in Zukunft bei jedem Krebspatienten die verantwortlichen Fahrer bekannt wären, könnte die Therapie gezielter als heute durchgeführt werden. Viel unnötiges Leid ließe sich vermeiden. Aber längst nicht alle potentiellen Fahrer sind den Wissenschaftlern heute schon bekannt. Die britischen Forscher haben bislang nur 500 besonders verdächtige Erbanlagen genau untersucht. Das menschliche Erbgut hat aber etwa 30.000 Gene. Außerdem verstecken sich viele "Fahrer" zwischen den Genen. Hier sind sie kaum zu finden.
    Michael Stratton:

    "Wir wissen inzwischen, dass auch die Teile im Erbgut, die keine Gene tragen, eine wichtige Rolle spielen können. Sie enthalten zwar keine Erbinformation, aber zahlreiche Steuerungselemente. Wenn diese verändert werden, kann das ebenfalls zu Krebs führen."

    Nicht nur in Großbritannien wird nach den gefährlichen "Fahrern" gefahndet. Auch Roman Thomas vom Max-Planck-Institut für Neurologische Forschung in Köln ist ihnen auf der Spur. Bis vor einigen Wochen arbeitete er am Broad-Institut im amerikanischen Cambridge, einem der drei großen Sequenzierzentren der USA. Für ihn sind einzelne Ergebnisse - wie jetzt aus Großbritannien - nur ein Anfang. Thomas:

    "Umso wichtiger ist es, Krebsgenome wirklich komplett zu kartieren. Nicht einfach nur nach irgendwas zu suchen, sondern alles zu finden. Die globale Sicht auf die Tumorzelle, auf die Tumorbiologie zu bekommen, um zu verstehen: Was geht hier vor funktionell?"

    Die Forscher aus verschiedenen Teilen der Welt haben bereits angekündigt, ihre Ergebnisse besser zu vernetzen. Sie wissen: Nur gemeinsam können sie den unzähligen Tricks der Krebszellen auf die Schliche kommen.