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Was der Osten wirklich braucht

Ein paar Autominuten südlich von Schwerins Zentrum, am Rande der Gartenstadt, einem Villenviertel mit malerischem Blick auf den Ostorfer See, liegt das Technologiezentrum - ein Gewerbegebiet für Gründer, für junge Firmen aus der Umwelt- und Kommunikationstechnik, aber auch in Sachen Medizin wird hier geforscht und entwickelt. In Haus II, einem der etwas gesichtslosen Allzweckbauten, auf zwei Etagen die Firma DST - Diagnostic Service Technology - in der ersten Etage die Büros, im Erdgeschoss das Labor.

Von Andreas Baum |
    Der Chemiker Heiko Schwertner ist Geschäftsführer und Herr über knapp 20 Angestellte. Bald könnten es sehr viel mehr sein. Denn DST hat Erfolg - aufgrund einer besonderen Erfindung.

    Sie brauchen drei Tropfen Blut. Das wird auf eine Membran aufgetragen. Nachdem Sie eine Zeit gewartet haben, nennt man Inkubationszeit, wird das Blut von dieser Membran heruntergewaschen, dann kommt ne Färbelösung drauf. Und dann entsteht entweder ein Minus oder ein Plus...

    ...und schon weiß der Fachmann wie der Laie, bei welchen Stoffen sein Immunsystem Alarm schlägt. Der zigarettenschachtelgroße, durchsichtige Plastikbehälter ist einer der einfachsten Allergietests, die je entwickelt wurden, selbst achtjährige Kinder können ihn durchführen - nur zur Interpretation der Ergebnisse braucht es noch einen Arzt. Seit der Test am Markt eingeführt wurde, verzeichnet Heiko Schwertner 2-300 Prozent Umsatzsteigerung - pro Monat.

    Wo ich besonders stolz drauf bin, dass die Amerikaner von CNN bei uns angerufen haben und die haben das im amerikanischen Fernsehen gesandt, ohne dass wir das lanciert haben,... da bin ich doch ziemlich stolz...

    Schwertner stammt aus Hamburg. Bevor er sich in Mecklenburg niederließ, hat er es in den alten Bundesländern versucht - mehrfach.

    Zum Beispiel in München, Heidelberg, Münster, und überall waren die Bedingungen wesentlich schlechter. Weil die Betriebskosten für das Unternehmen waren doppelt bis dreifach so hoch.

    Obwohl die Verkehrsanbindung nach wie vor ein Problem ist, denn der nächste internationale Flughafen ist vergleichsweise weit entfernt, hat Mecklenburg doch Standortvorteile, die gerade darin bestehen, dass das Land abseits der großen Zentren liegt.

    Es gab wenig Biotechnologiefirmen, das heißt, es gibt wenig Konkurrenz vor Ort, das ist ein ganz entscheidendes Moment. Es gab genügend günstige Räumlichkeiten zur Verfügung und es gab genügend Personal.

    Schwertner lobt besonders das Engagement seiner Mitarbeiter. Das Betriebsklima sei geradezu familiär, von Solidarität geprägt und nicht von Konkurrenz. Und Schwerin hat weitere Standortvorteile, die Ökonomen als weich gelten, für manchen Privatmann aber entscheidend sind. Hier kann man sich schon mit einem vergleichsweise moderaten Einkommen ein Haus an einem der vielen Seen leisten, mit Garten und Wald in der Nähe. In Hamburg, Köln oder München bleibt das für Durchschittsverdiener lebenslang ein Traum. Und noch einen Vorteil bietet Ostdeutschland: Investitionshilfen.

    Es sind hier allein an Geräten ne Million Euro ungefähr. Und da ist dann der Punkt, wo man von außen Geld benötigt. Das kann man natürlich alleine nicht mehr bewerkstelligen. Und die Banken geben dafür auch keine Kredite, weil das Risiko zu groß ist.

    DST hat unter anderem Gelder aus dem Programm "Futur 2000" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bekommen. Es fördert Erfindungen, die fast produktreif sind, aber noch Entwicklungsbedarf haben. Ziel der Förderung ist es, einen Prototyp zu entwickeln, der am Markt bestehen kann. Die Gelder aus diesem Programm waren an den Standort der Firma in den ostdeutschen Ländern gebunden. Andere Forschungs- und Investitionshilfen, die DST bekommen hat, hätten die Gründer auch in Westdeutschland bekommen. Die Fördergelder aber, darauf legt Schwertner Wert, waren immer nur eine Dreingabe, nie die Bedingung für die Firmengründung.

    Diese wohldosierte Mischung aus günstigen Investitionsbedingungen und Fördergeldern könnte ein Rezept sein, um mehr rentable Unternehmen in die neuen Bundesländer zu bringen. Deren Standortvorteile würden ohnehin notorisch unterschätzt, sagt Joachim Ragnitz vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle.

    Es gibt eine ganze Reihe von positiven Effekten und Aspekten, die häufig dann in der Diskussion vernachlässigt werden. Dazu gehört vor allem die sehr starke Dynamik in der Industrie, die ostdeutsche Industrie ist auf einem sehr guten Wege, dazu gehört auch, dass der Strukturwandel auf einem Wege ist hin zu stärker wettbewerbsfähigen und wenn man so will zukunftsfähigen Branchen.

    ...wie eben die modernen Technologien. Hier lohne sich die Wirtschaftsförderung, eher als in Sparten, die ohnehin auf dem absteigenden Ast sind, wie etwa das Baugewerbe.
    Die politische Grundlage für den Aufbau Ost bildet der Solidarpakt. Dessen erster Teil, der Solidarpakt I, wurde am 13. März 1993 gesetzlich festgelegt und ist Ende 2004 ausgelaufen. Die neuen Länder haben durch diese Vereinbarung vom Bund und von den alten Ländern insgesamt 94,5 Milliarden Euro erhalten. Eigentlich hätte dieses Geld dafür verwandt werden müssen die negativen Folgen der Teilung auszugleichen: Etwa, um ökologische Altlasten zu beseitigen, um industrielle Kerne zu erhalten und den Wohnungsbau zu stärken. Der letzte Aspekt ist, seit immer mehr Menschen Ostdeutschland verlassen, weniger wichtig geworden. Und die anderen Aufgaben sind, wie Joachim Ragnitz kritisiert, nicht so erfüllt worden, wie dies eigentlich im Sinne der Erfinder des Solidarpakts war.

    Da muss man sehen, dass die ostdeutschen Länder diese Mittel teilweise nicht so verwenden, wie es ursprünglich gedacht war, also für investive Zwecke primär. Da wird man stärkere Kontrollmechanismen einführen müssen, um zu erreichen, dass das Geld nicht zur Deckung von Haushaltsdefiziten und damit vor allem für Personalausgaben verausgabt wird, sondern stärker in aufbaugerechte Leistungen gelenkt wird.

    Mit dem Solidarpakt II, der gestern in Kraft getreten ist, soll nun alles besser werden. Die 156 Milliarden Euro, die der Bund den neuen Ländern bis zum Ablauf des Jahres 2019 zuschießt, sollen zielgerichteter verwendet werden. Die Mittel werden degressiv vergeben, das heißt, jedes Jahr fließt weniger Geld in den Osten. Zwei Drittel, 105 Milliarden Euro, sind Teil des Länderfinanzausgleichs und dafür vorgesehen, "teilungsbedingte Lasten" zu beseitigen.

    Es ist ja teilungs- und vereinigungsbedingt ein erheblicher Zusammenbruch der Wirtschaft erfolgt.

    Manfred Stolpe, Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und Beauftragter der Bundesregierung für den Aufbau Ost.

    Wir haben Nachteile gehabt in der Infrastruktur, die bezieht sich sowohl auf die Verkehrsinfrastruktur, als auf Kommunikationsinfrastruktur, Infrastruktur im kommunalen Bereich, da ist viel geschafft worden, das darf ja nie übersehen werden, da haben wir in weiten Teilen schon die Durchschnittssituation Deutschlands erreicht. Aber das Haupt-Handicap, das nach wie vor den Osten zurückwirft, ist der massive Einbruch von Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe mit der Folge der Massenarbeitslosigkeit und den bekannten Zahlen, die in einigen Regionen ja die 30 überschreiten.

    Woraus folgt, dass die Mittel gezielter für die Wirtschaftsförderung ausgegeben werden sollen. Dies will der Bund nicht mehr allein den Ländern überlassen, sondern er wird etwa ein Drittel des Geldes, 51 Milliarden Euro, über die Jahre verteilt selbst in die Wirtschaftsförderung fließen lassen. Hinter der Eigeninitiative des Bundes steckt die Erfahrung, dass die Länder in der Vergangenheit die Mittel des Solidarpaktes entweder für den Schuldenabbau zweckentfremdet haben und die Besoldung von Beamten, oder aber viel zu ungenau gefördert haben, ohne genau hinzuschauen, welche Maßnahme sich lohnt und welche vergebens ist. Eine Praxis, für die Manfred Stolpe im Nachhinein sogar Verständnis zeigt.

    Wir haben ja eine Ausgangssituation gehabt, wo es erst mal darum ging, breite, ich hätte fast gesagt: Wüstenbereiche, also breite Defizite zu überwinden. Insofern war es glaube ich, dass alle Länder sich zunächst einmal stark darauf konzentriert haben, so eine Art Grundaussaat zu machen, eine Grundbelebung zu gestalten. Was wir jetzt bei der Neujustierung mit den Ländern auswerten und was dann auch zu Veränderungen in den Prioriäten führt, ist ja alles gewachsen aus diesen ersten Impulsen.

    Die Autoindustrie, die Mikroelektronik, die chemische Industrie erweisen sich heute als besonders effektive Verwerter von staatlichen Zuschüssen.

    Das war in der Ausgangslage 90, 91, 92 so noch nicht zu erkennen, und deshalb musste man überall erst mal ein bisschen begießen, um jetzt allerdings ganz gezielt und ganz massiv die Förderung zu gestalten.

    Mit dem Solidarpakt II will man nun weniger Geld verschwenden als bisher: Geht es nach der Bundesregierung, so soll - zumindest mit dem Drittel des Geldes, das sie direkt an die Empfänger gibt - die Entwicklung ländlicher Regionen unterstützt werden, Innovationen gefördert, in Bildung und Forschung und die Stadtentwicklung investiert werden. Welche Programme damit konkret gemeint sind, werden die kommenden Jahre erst zeigen müssen. Sicher ist nur, dass künftig genauer Rechenschaft über die Verwendung der Solidarpakt-II-Gelder verlangt wird. Manfred Stolpe:

    Jetzt wird’s darauf ankommen, dass die Länder sich den Fragen stellen und begründen, warum haben sie das Geld ausgegeben für Dinge, die nicht unmittelbar als Infrastruktur zu erkennen sind.

    Wichtig ist auch künftig sicherzustellen, dass die Infrastruktur dort aufgebaut wird, wo sie auch wirtschaftlichen Nutzen bringt. Das gilt für Verkehrsprojekte ebenso wie für die Unternehmensförderung: Nicht überall fallen Fördergelder auf fruchtbaren Boden, sagt auch der Hallenser Wirtschaftsforscher Joachim Ragnitz.

    Wir haben in Ostdeutschland eine Reihe von Wachstumspolen. Das sind vor allem die größeren Städte, die liegen überwiegend in Sachsen, Dresden, Leipzig, Chemnitz muss man da nennen. Jena und Erfurt gehören auch dazu und auch Halle. Dort haben wir eine Wirtschaftsstruktur, die stark auf Hightech ausgerichtet ist, auch stark auf anspruchsvollere Dienstleistungen, das sind sicherlich die Stärken der ostdeutschen Wirtschaft.

    Und die sollen künftig auch weiter gefördert werden. Ein Beispiel für das Ausnutzen bereits vorhandener industrieller Kerne ist das neue BMW-Werk in Leipzig.

    Wir sind mit dem Aufbau des Werkes und auch mit der Einrichtung der verschiedenen technologischen Notwendigkeiten so weit fertig und befinden uns jetzt in einer Phase, die wir Integrationsphase nennen, bei der passiert im Prinzip, dass man versucht, die einzelnen Aktivitäten so zu kombinieren, dass wir dann ab März 2005 Fahrzeuge für Kunden bauen können.

    Hubert Bergmann ist Pressesprecher von BMW in Leipzig. Bis zur Eröffnung des neuen Werkes ist es für Besucher tabu - aus Gründen der Geheimhaltung. Vom "Info-Center", einer Container-Barracke außerhalb des Bauzauns, blickt man auf unzählige weiße Hallen, das Ausmaß dieses Geländes ist nur aus der Luft zu erfassen. 5.500 Menschen werden hier einmal arbeiten, ebenso viele Stellen sollen bei Zulieferern und Service-Anbietern entstehen. BMW hatte mehrere mögliche Standorte für ein neues Werk. Dass nun hier gebaut wurde, ist den Fördermitteln zu verdanken.

    Nur unter Berücksichtigung dieser Strukturfördermaßnahmen waren wir überhaupt in der Lage, eine betriebswirtschaftliche Lösung zu finden, so dass in dem Augenblick, wo es absehbar war, das die Chance groß war, Fördergelder zu bekommen, wir uns für Leipzig entschieden haben, weil damit Leipzig automatisch gegenüber den anderen alternativen Standorten wettbewerbsfähig wurde und war.

    Was bedeutet, dass ohne öffentliche Gelder die Fläche im Norden Leipzigs, die 265 Fußballfelder misst, leer geblieben wäre.

    Das muss man so hart sagen: Ohne die Strukturfördermaßnahmen hätten wir keine betriebswirtschaftliche Lösung hier für Leipzig finden können.

    Und es ist nicht gerade wenig Geld aus dem Säckel der Steuerzahler, das den bayrischen Autobauern zugeschossen wird.

    Der Anteil der Fördergelder ist von der EU bewilligt und festgelegt, den kann man heute nur prozentual benennen, der beträgt 30 und eine geringe Stelle hinterm Komma Prozent, wie viel das dann in absolutem Geld ist, das wird man erst dann sehen, wenn man abrechnet, weil die Fördergelder danach bezahlt werden, welche Investitionen faktisch getätigt worden sind. Die Zielsetzung war, dass wir über eine Milliarde Euro investieren. Wie viel es genau sein wird, können wir natürlich heute noch nicht genau sagen.

    Mindestens 300 Millionen Euro sind es nach dieser Rechnung also, wahrscheinlich aber deutlich mehr. Dieses Geld, das eigentlich die gesamte Region fördern soll, könnte gut angelegt sein könnte, wenn das neue Konzept, das BMW hier verfolgt, aufgeht. Das Werk bietet nicht nur Platz für die eigenen Produktionshallen, sondern auch für die Zulieferer. Sie werden kurzerhand nach Leipzig mitgebracht.

    Wir haben dadurch, dass wir vier so genannte Modullieferanten, also: große Lieferanten, die ganze Module liefern, hier auf das Gelände angesiedelt haben, haben wir mehrere Vorteile, die wir damit verbinden können. Zum einen kann man den hohen Anspruch an just in time und just in sequence, also eine sequenzgenaue Zulieferung im Augenblick des Momentes, wo es verbaut werden muss, können Sie die Sicherheit damit erhöhen, indem diese Zulieferer ihre eigenen Teile hier auf dem Gelände zusammenbauen und das in einer relativ direkten Verbindung von dieser Vormontage in die Hauptmontage liefern bedingt dadurch, dass wir diese Module nicht bei den Zulieferern zusammenbauen lassen, sondern hier auf dem Gelände, sparen wir ungefähr ein Drittel der Transportkapazität.

    BMW vermietet den Zulieferern eigene Hallen. Das Risiko, das sich daraus ergibt, dass Zulieferer auf dem Werksgelände besonders abhängig vom Käufer sind, soll abgefedert werden. Muss ein Zulieferer wechseln, meist geschieht dies mit dem Bau von neuen Automodellen, soll der nicht automatisch seine Investition verlieren. Die Halle wird einfach an einen anderen Betrieb vermietet. Die Vorteile liegen auf der Hand.

    Sie haben natürlich mit jeder Zulieferentfernung auch ein zunehmendes Risiko, dass aufgrund von Staus, oder anderen Dingen dass es zu Verzögerungen kommt. In dem Augenblick, wenn Teile zu einem bestimmten Zeitpunkt, unabhängig dann vom Zeitpunkt des Verbauens, hier angeliefert werden, dann diese Teile, und das sind manchmal in einer Größenordnung von 200 Einzelteilen, die dann zu einem Modul zusammengebaut werden, wenn man dieses Modul dann zeitgenau baut und in einer relativ kurzen Entfernung, sagen wir weniger als 100 m von der Vormontage in die eigentliche Montage liefert, dann ist das natürlich auch ein logistischer Vorteil.

    In manchen Fällen liegen weniger als 100 Meter zwischen Vormontage und Montage. Staus auf den Autobahnen können die Produktion nicht mehr verzögern. Interessant an diesem Konzept ist vor allem, dass es einem Selbstverständnis zuwiderläuft: In unserer modernen Welt spielen Entfernungen keine Rolle mehr. Und nun die Zulieferer auf dem Werksgelände: Das erinnert ans 19. Jahrhundert, als sich Handwerker rund um die ersten Industriebetriebe ansiedelten. BMW-Sprecher Hubert Bergmann steht zu diesem Anachronismus, auch in anderen Bereichen.

    Es verwundet auch nicht, dass man auf Dinge zurückgreift. Ich glaube, dass das Unternehmen heute viel zu selten tun. Dass man Dinge, die man längst erkannt hat, wieder aus der Mottenkiste nimmt, weil sie nach wie vor richtig und gut sind wir besinnen uns zur Zeit darauf, wieder ältere Mitarbeiter an Bord zu nehmen, wir versuchen, die Frauenquote deutlich zu erhöhen, wir machen das eine oder andere Projekt mit Arbeitslosen. Wir bemühen uns, bestimmte Dinge aufzugreifen, weil wir glauben, dass sie sowohl dem Unternehmen, wie auch dem einzelnen Mitarbeiter was bringen...

    ...und wenn die Sache funktioniert, hat eine ganze Region etwas davon. Dass Projekte wie diese in Sachsen besonders gut glücken, hat viele Gründe. Bereits nach der Wende war die Ausgangssituation hier günstig. Drei Autobahnen durchqueren das Land, die Verbindung nach Frankfurt, München und Berlin war von Anfang an gegeben. Und in den Großstädten, in Dresden, Leipzig und Chemnitz herrschte eine Industrietradition, an die es nur galt anzuknüpfen. Joachim Ragnitz vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle:

    Sachsen hat sehr viel mehr Glück von der Ausgangssituation her als Brandenburg oder auch Mecklenburg Vorpommern hatte. Und man muss sehen, dass die Politik sich dort teilweise dann auch, manchmal ein bisschen zufällig, na fast schon professioneller verhalten hat, indem sie gesagt hat, wir fördern jetzt in der Tat diese Leuchttürme und hoffen auf die Ausstrahleffekte.

    Zu den Etappenverlierern im Aufbau Ost gehören Bundesländer wie Brandenburg. Dabei ist auch hier die Ausgangssituation nicht allzu schlecht gewesen: Eine zeitweilig boomende Großstadt wie Berlin im Zentrum eines ansonsten strukturschwachen Bundeslandes hätte man sich anderswo gewünscht. Dass viele Gegenden in Brandenburg heute immer noch so wüst aussehen wie 1990 hat, folgt man Joachim Ragnitz, seinen Grund darin, dass die Gelder des Solidarpaktes falsch eingesetzt wurden.

    Brandenburg hat in der Tat eine etwas problematische Konzentration der Fördermittel vorgenommen, nämlich indem man gesagt hat, wir wollen in den abseits gelegenen Regionen dann industrielle Kerne neu schaffen. Da hat man sich etwas blenden lassen von angeblich zukunftsträchtigen, sehr verheißungsvoll klingenden Konzepten wie dem Cargo Lifter oder der Chip Produktion in Frankfurt an der Oder. Das hat sich dann alles als nicht zukunftsfähig erwiesen und ist in sich zusammengebrochen.

    Es sind vor allem diese drei Projekte, die bis heute für Spott und Gelächter sorgen, wenn es um Brandenburgs Förderpolitik geht: eine Mikrochipfabrik unweit der Oder, die Idee, südlich von Berlin riesige Transportzeppeline zu bauen und der Versuch, die Formel Eins in den märkischen Sand zu locken!. Wolfgang Krüger, Staatssekretär im brandenburgischen Wirtschaftsministerium, möchte kaum noch etwas von ihnen hören.

    Diese drei Beispiele schmerzen uns in der Wirtschaftspolitik, weil sie gewissermaßen das Image des Landes Brandenburg nach unten ziehen. Es gibt aber in der Breite der Wirtschaftsansiedlungen und auch der Unternehmensförderung sehr viele Erfolge. Wenn Sie beispielsweise an den Hochtechnologiebereich der Luft- und Raumfahrt denken, wenn Sie an den Bereich der Biotechnologie denken, wenn Sie im Bereich der chemischen und der optischen Industrie denken, diese Beispiele werden leider Gottes in ihrer positiven Ausstrahlung überlagert von den Renommierprojekten Cargolifter, Chipfabrik und Lausitzring.

    Aber auch in Brandenburg hat man dazu gelernt. Nun will man weg von Großprojekten. Die Transfergelder des Solidarpaktes II markieren neue Schwerpunkte:

    Wir müssen alles tun, damit Wachstum und Beschäftigung hier im Land gefördert wird. Und statt mit der Gießkanne über das Land zu gehen, konzentrieren wir uns nun darauf, die Wachstumsbranchen zu stärken, dass wir aber gleichzeitig dort gucken, wo es Entwicklungen gibt, die zu Hoffnung Anlass geben, dass wir die gleichzeitig auch fördern. Das ist in sich kein Widerspruch, aber im Kern geht es darum, um das, was wir an Wirtschaftsstrukturen im Land haben, deutlich zu stabilisieren, und auch die Entwicklungen, die es an diesen Standorten gibt, weiter zu fördern.

    Das Problem dabei ist nur: Sind es wirklich Leuchttürme in Brandenburg oder strahlt da nur die Wirtschaftskraft Berlins? Und die Kehrseite dieser neuen Förderpolitik könnte auch sein, dass extrem unterentwickelte Regionen, an denen es an den Rändern Brandenburgs nicht mangelt, faktisch aufgegeben werden.

    Wir sind uns genau dieser Interpretation bewusst, dass der Eindruck entstehen könnte, wir überlassen jetzt die Berlin-fernen Regionen sich selbst. Aber diese Berlin-fernen Regionen haben natürlich auch ihre Potentiale im Bereich der Landwirtschaft, im Bereich des Tourismus und wenn sich dort etwas entwickelt, was von Unternehmerseite ausgeht, dann werden wir selbstverständlich mit unseren Förderprogrammen genau dafür zur Verfügung stehen. Aber es wird nicht so sein, dass wir versuchen, in diesen strukturschwachen Regionen mit Fördergeldern etwas anzusiedeln, was dort keine natürliche Überlebenschance hat.

    Demographen sagen voraus, dass die Entvölkerung von Gegenden nah der polnischen Grenze wie der Uckermarck oder der Lausitz unumkehrbar ist. Die Brandenburgische Wirtschaftspolitik, so scheint es, hat sich mit den Gegebenheiten abgefunden und setzt nun darauf, dass menschenleere Landschaften auch ihren Reiz haben können.

    Sie wissen, dass der Radfernwanderweg Berlin-Kopenhagen einmal quer durch Brandenburg verläuft, und links und rechts haben die Kommunen mit großen Anstrengungen, und auch die Landkreise, ihre Vernetzungen geschaffen, so dass der Radtourismus etwas ist, was einen enormen Aufschwung genommen hat, und auch weiter nimmt, Brandenburg wird damit sehr populär, in diesem Segment des Tourismus, und das wird dann auch geschlossen vermarktet werden, beispielsweise auf der nächsten ITB.

    So rührend die Vorstellung eines Touristenmagneten Brandenburg ist, so irreal ist sie doch, wenn man die Attraktionen der Mark mit denen Bayerns, Sachsens oder selbst Mecklenburgs vergleicht. Diese Landschaft ist eher etwas für ausgesprochene Liebhaber des Spröden. Staatssekretär Krüger wünscht sich für das Land Brandenburg vor allem einen Bewusstseinswechsel. Der aber ist auch mit Fördergeldern nicht zu haben.

    Der Nachholbedarf ist der, dass wir den Menschen in diesem Land vermitteln müssen, dass sie ein Stück weit selbst für sich und ihr Leben verantwortlich sind und das auch in die Hand nehmen müssen dieser Abschied von der Fürsorgepflicht des Staates das wird hier noch vermittelt werden müssen, und das ist ein Prozess, der nach meiner Einschätzung noch mindestens zehn bis fünfzehn Jahre dauern wird.

    Dass ein neues Denken Ostdeutschlands Problemregionen am ehesten hilft, ist auch die Ansicht des Wirtschaftsforschers Joachim Ragnitz. Er setzt auf Deregulierung, auf die Vereinfachung bürokratischer Verfahren.

    Man muss sehen dass man hier ein Regulierungssystem installiert hat nach der deutschen Einheit, das im Grunde auf Westdeutschland zugeschnitten war. Für eine reiche Region mag so was vielleicht noch irgendwie tragbar sein, für eine strukturschwache und aufholende Region wie es Ostdeutschland ist, ist dieses Regulierungssystem einfach in Teilen zu rigide und zu kompliziert.

    Befürwortern der Deregulierung will es nicht einleuchten, warum es in Gebieten, die menschenleer sind und es aller Voraussicht nach auch bleiben, rigide Lärmschutzauflagen gelten müssen. Und warum in Innenstädten, in denen jedes zweite Haus leer steht, Baugenehmigungen für Garagen verlangt werden.

    Die Standortvorteile in Ostdeutschland sind so groß ja nicht. Und man muss sehen, dass man, um die wirtschaftliche Dynamik anzuregen, zusätzliche Standortvorteile schafft, das wird man nicht unbedingt mit weiteren Fördermitteln erreichen können, das ist weitgehend ausgereizt, dieses Instrument, da muss man sehen, was man anders machen kann. Und da bietet der Abbau von möglicherweise überzogenen Regulierungen im Arbeitsrecht, im Umweltrecht, im Baurecht eine Chance, um auf diese Weise dann neue zusätzliche Standortvorteile zu gewinnen, was gerade deswegen auch notwendig ist, weil man auch im westlichen Ausland so was in der Vergangenheit ja häufig gemacht hat, und in Deutschland dann mehr oder minder verschlafen hat.

    Vereinfachungen im Arbeitsrecht sind für Manfred Stolpe dagegen der falsche Weg - es gebe Beispiele genug, dass dies die Wirtschaft in unterentwickelten Regionen nicht belebe. Die Bürokratie im Bauwesen will aber auch der Beauftragte für den Aufbau Ost abbauen.

    Wir haben jetzt gerade die Verlängerung des Bundesverkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes durchgebracht, das heißt, es gibt erheblich vereinfachte Verfahren in Ostdeutschland, um Verkehrsinfrastruktur aufzubauen. Wir haben vor einigen Wochen, ganz unauffällig, weil es keine Krawall im Bundestag gab, alle zugestimmt haben, eine Vereinfachung des Baurechtes beschlossen. Dies sind meines Erachtens, wo man so was schafft, immer die besseren Methoden.