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Was die Konservativen bewahren wollen

Er habe den Eindruck, CSU-Politiker Horst Seehofer versuche, sich mit punktuellen Provokationen als hart und unnachgiebig zu stilisieren, sagt der Publizisten Jürgen Kaube. Dabei könnten unsachgemäße Argumenten herauskommen. Dies sei auch bei der Diskussion um Zuwanderung und Arbeitskräfte passiert.

Jürgen Kaube im Gespräch mit Diana Netz |
    Dina Netz: "Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun. Daraus ziehe ich auf jeden Fall den Schluss, dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen." Das hat Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer dem "Focus" gesagt und wundert sich nun, dass er Gegenwind bekommt. Er habe sich doch nur zur Zuwanderung von zusätzlichen ausländischen Fachkräften geäußert, hat Seehofer heute eingeschränkt.

    Dass Grüne und SPD nun verbal auf Seehofer losgehen, das war erwartbar, aber die Union macht eifrig mit. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), zum Beispiel ist sehr schockiert. Andere äußern sich weniger deutlich, aber auch deutlich distanziert.

    Wer hat eigentlich Recht? Wer bezieht in dieser Diskussion die im eigentlichen Sinne konservative Position? – Diese Frage ging an den Publizisten Jürgen Kaube.

    Jürgen Kaube: Die Formulierung "Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen" passt nicht so ganz zu dem Problem, das Herr Seehofer angesprochen hat, denn es geht ja um Arbeitsmarkt und Arbeitskräfte, und es gibt ja keinen Zusammenhang zwischen Kultur, Herkunft und Fähigkeit für den Arbeitsmarkt. Wir haben ja oft die Empfehlung – und die erscheint ja eigentlich auch ganz sinnvoll -, eher solchen Einwanderungsländern des Typs Kanada, Vereinigte Staaten oder auch Neuseeland zu folgen und bei der Einwanderungsgenehmigung darauf zu achten, ob die Leute, die kommen, etwas können, und das wäre sicherlich eine ganz sinnvolle Diskussion, wenn man sie so führt.

    Ein bisschen hat man den Eindruck, dass Seehofer so ähnlich wie manche andere als konservativ bezeichnete Politiker aber mehr so punktuelle Provokationen platzieren und dann sich dadurch als hart oder als unnachgiebig stilisieren, und dann verrutscht das manchmal eben, wie eben in diesem Sinne, dass dann eigentlich ganz unsachgemäß argumentiert wird.

    Netz: Müssten Konservative, Herr Kaube, nicht per se gegen Zuwanderung sein, denn Migration, das bedeutet ja notwendigerweise Veränderung, Bewegung, und konservativ, das bedeutet bewahrend?

    Kaube: Nun, es kommt ein bisschen darauf an, was man bewahren will. Wenn man zum Beispiel den Wohlstand eines Landes bewahren will, dann mag es ja geboten sein, auch Leute ins Land zu lassen, die den Arbeitsmarkt mit entsprechenden Fähigkeiten versorgen. Das können Fähigkeiten am oberen Rand sein, also hoch qualifiziertes Personal; das können aber auch Leute sein, die Arbeiten übernehmen, für die die einheimische Bevölkerung – wir denken an die 60er-Jahre – nicht mehr so viel Bereitschaft aufbringt. Also dann bewahrt man den Wohlstand, und das könnte ja auch ein konservatives Moment sein, wie ja überhaupt es sehr schwierig ist, bei den Konservativen herauszufinden, was sie denn nun genau bewahren wollen.

    Netz: Was wäre denn Ihrer Ansicht nach in dieser Diskussion eine konservative Position?

    Kaube: Ich finde eigentlich, wenn man das Wort konservativ positiv besetzen will, dann könnte es ja heißen, dass es Politiker sind mit einem pragmatischen Urteilsvermögen in der Frage, was eigentlich geht und was nicht geht, und dann könnte man bei der Migration zum Beispiel sagen, wir haben jetzt 20, 30, 40 Jahre lang eine Migrationspolitik erlebt, die auf einen Zustand hinläuft, der unangenehm wird im Sinne von Problemhäufung. Und dann könnte man ja sagen, ein Konservativer ist jemand, der da ein realistisches Verhältnis entwickelt, der nicht zu euphorisch, wenn man so will, die Sachen sich anschaut, der Wirklichkeitskontakte hat und nicht einfach einer Programmatik der Völkerverständigung, oder des anything goes, oder des Laissez Faire, oder des reinen Liberalismus folgt. Dann würde das vielleicht einen Sinn haben, dieses Wort konservativ.

    Netz: Aber das muss man doch eigentlich von jedem Politiker erwarten, dass er realitätsverbunden ist. Warum soll das ausgerechnet konservativ sein?

    Kaube: Nun, Sie haben schon Recht. Das könnte man von jedem Politiker erwarten. Tatsächlich leben wir aber in einer Zeit, die von Reformprojekten bestimmt ist. Alle beteiligen sich ständig an Reformen, an Innovationen, an Fortschrittsprojekten und haben ein vollständig optimistisches Bild über Machbarkeiten, und da, könnte man sagen, wäre es eine konservative Einstellung, die man aber auch in anderen Parteien finden kann – man muss die Grünen nur nennen -, wenn man ein bisschen einen Schritt zurücktritt und dann sagt, was ist denn eigentlich wirklich machbar, was können wir überhaupt politisch erreichen, zum Beispiel auch in Fragen des Zusammenlebens kann das sein, aber natürlich auch in Fragen was weiß ich, technischer Innovationen, oder ökonomischen Wachstums. Die konservative Position ist eine, die nicht parteipolitisch eindeutig zu verordnen ist. Wir haben sicherlich auch bei den Sozialdemokraten konservative Politiker, und wie gesagt die Grünen sind eine der wenigen Parteien, die ganz buchstäblich angeben können, was sie denn bewahren wollen.

    Netz: Wenn also der Begriff konservativ selber dabei ist zu wandern, sich zu bewegen, Herr Kaube, was könnte dann die Union sich eventuell für ein neues Etikett suchen, um sich inhaltlich zu verbinden? Denn mit konservativ scheint es ja nicht mehr zu funktionieren.

    Kaube: Es werden einerseits so Paradoxe ausgegeben, da hatte schon Franz-Josef Strauß mit dem berühmten Diktum begonnen, konservativ sein hieße, an der Spitze des Fortschritts stehen. Ja, der Konservative ist jemand, der das Gute bewahrt, und dann muss man sich fragen, gibt es irgendjemanden, der das Gute nicht bewahren möchte. Das andere ist im Augenblick natürlich Atomkompromiss, Stuttgart 21. Die Konservativen geben sich heute sehr stark oft das Image einer Fortschrittspartei, einer Partei, die technologischen Fortschritt begrüßt, und zwar manchmal auch ganz vorbehaltlos begrüßt, kombiniert mit Werten, die nicht so recht dazu passen. Wir haben dann Förderung der Autoindustrie und Klimaschutz, und in diesem "und" verbirgt sich dann das ganze Dilemma.

    Netz: Der Publizist Jürgen Kaube war das im Gespräch über das Konservative und die Zuwanderungsdebatte.