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Was die Menschheit erwartet

Vieles, was Autoren einst in ihren Science-Fiction-Romanen erträumt hatten, ist eingetreten. Sogar der kleine Kommunikator von Captain Kirk aus der Fernsehserie "Raumschiff Enterprise" existiert nicht nur in den unendlichen Weiten der Fantasie. Als sogenanntes Handy gehört er wie selbstverständlich zu unserem Lebensalltag. Auch im 21. Jahrhundert ist die Neugier auf das, was die Menschheit künftig erwarten könnte, ungebrochen.

Von Karin Hahn | 18.06.2011
    Allerdings betrachten die Autoren der heute vorzustellenden Jugendromane die wunderbare Welt der technischen Fictionen und des Fortschrittsglaubens eher mit einer gehörigen Portion Skepsis. Thematisiert werden keine verrückten oder ausgefallenen Experimente, sondern bitterernste Zukunftsszenarien, verursacht durch Naturkatastrophen, den Raubbau in der Tiefsee, eine nicht mehr zu kontrollierende künstliche Intelligenz und ein dystopisches Gesellschaftssystem mit perfektem technischen Know-how. Annette John, Ally Condie, Katja Brandis, Hans-Peter Ziemek und Susan Beth Pfeffer konstruieren in ihren Romanen mit traditionellen Erzählperspektiven bedrohliche Wirklichkeiten.

    "Ich denke, die Besorgnis kommt eher daher, dass natürlich Untergangsszenarien immer viel spannender sind als friedvolle Landschaften. Meines Erachtens sind diese Science-Fiction-Romane mit den Endzeitszenarien eher Fantasyromane als realistische Szenarien. Und letztlich geht es in diesen Romanen doch gar nicht um die realen Bedrohungen, sondern wie sich die Menschen in einer feindlichen Umgebung voller Gefahren bewähren"

    ,meint der Wissenschaftsautor Ulrich Eberl. In seinem Sachbuch entwirft er fern aller Spekulationen ein faktenreiches Zukunftspanorama und warnt doch auch vor möglichen Katastrophen auf der Erde. Doch dazu später mehr. Zuerst widmen wir uns den fiktionalen Zukunftsszenarien und deren Faszination.

    "Das Genre gefällt mir. Ich liebe es, mir vorzustellen, wie sich eine Kultur, eine Zivilisation entwickelt, wenn sie ihrer technischen und auch kulturellen Errungenschaften beraubt ist. Was bleibt dann eigentlich? Was macht uns menschlich dann aus? Bleibt die Menschlichkeit und was ist das überhaupt?"

    … sagt die Berliner Autorin Annette John. Sie hat ihren Jugendroman "Deadline 24" in einer fernen, gefahrvollen Zukunft angesiedelt. Nur noch wenige Menschen leben fast wie Gefangene unter vereinzelten riesigen Kuppelgittern in einer wüstenähnlichen Landschaft.

    "Meine Welt, meine Horrorwelt hat durchaus auch etwas Albtraumhaftes. Es ist eine Welt, von der man träumen kann, wenn man schlecht träumt. Man wünscht sie sich eigentlich nicht. Es ist die Vorstellung, was bleibt nach einer finalen Katastrophe der Menschheit. Wenige nur überleben und müssen sich mit dem auseinandersetzen, was geblieben ist. Das sind zum größten Teil Horrorgestalten, die geblieben sind und die Menschen haben ja keine Ahnung, wo das herkommt. Sie haben auch ihre Vergangenheit vergessen. Sie wissen nicht, was es früher gegeben hat und was nicht. Sie glauben, das sei ganz normal, es habe schon immer diese Monster gegeben und die Auseinandersetzung mit diesen Monstern gehört zu ihrem täglichen Leben, zu ihrem Überlebenskampf."

    Annette Johns Hauptfigur, die 14-jährige Sally Hayden, muss viele Mühen auf sich nehmen, damit sie mit ihrer Familie am Leben bleibt. Ihre Mutter Angelina ist durch die Attacke einer Spukviper erblindet, doch sie hat Visionen, die immer von einer rätselhaften Formel eingeleitet werden.

    "Deadline 24." Das Schweigen, das sich über den Tisch senkte, wog schwerer als ein Zentner Blei. Sie kannten diese Worte, hatten sie schon einige Male gehört. "Deadline 24", der düstere Begriff aus der Sprache der Vorfahren. Todeslinie hieß er übersetzt, das wussten sie wohl, doch was er bedeutete, konnten sie sich nicht ansatzweise erklären. Großvater fasste sich zuerst. "Was hast du erfahren, Angelina?", fragte er rau. "Alles wird gut", erwiderte Mutter. "Hilfe ist unterwegs. In einem ...", nachdenklich legte sie die Stirn in Falten, "Flugdings. Der Windmann hat es versprochen."
    "Der ..." Sallys Stimme zitterte. "Der Windmann?"


    Ein seltsames Flugobjekt, ein Helikopter, vertreibt die unsichtbaren, fressgierigen Hybriden an der Kuppel der Familie Hayden. Das Verbot des Großvaters ignorierend schließt sich Paul, Sallys älterer Bruder, der Helikopter-Crew unter Caleb an. Wie gefahrvoll dieser Flugapparat, der scheinbar ein Organismus ist, der sich mit den alten Maschinen, die noch existieren, verbinden kann, wird Paul schmerzlich am eigenen Leib erfahren. Die gewalttätigen Lords, die die Menschen in Raubrittermanier beherrschen, wollen den Helikopter in ihren Besitz bringen. Sallys abenteuerliche Odyssee durch die zerstörte Wüsten- und Ruinenlandschaft beginnt, denn sie muss, damit die Familie überlebt, ihren Bruder trotz aller Gefahren zurückholen.
    Über einen langen Zeitraum lässt Annette John den Leser im Ungewissen, in welcher speziellen Zukunftswelt, in der nur noch archaische Unterscheidungen zwischen Gut und Böse gelten, die Figuren überhaupt agieren. Klarheit ins mystische Dunkel bringt der Windmann, der sich als verwandeltes Virusprogramm des einst so ersehnten Computerspiels Deadline 24 zu erkennen gibt.

    "Früher warst du ein Mensch", fuhr Caleb fort. "Du hast mit anderen Menschen zusammen in Anderwelt Monster erschaffen, mit denen man spielen konnte. Dann haben die Monster den Spieß umgedreht und spielen nun mit uns. Wir sind nichts als Figuren in einem dämonischen Spiel."
    "Korrekt", sagte Windmann.
    "Scheißspiel", sagte Caleb.
    "Wir werden es beenden!", versprach Windmann. "Doch rechnet damit, dass die Welt danach ziemlich anders aussieht. Alles Falsche wird verschwunden sein, voll und ganz.....O Mann, wahrscheinlich baut ihr in zehn Jahren schon euern ersten Computer!"


    In einer vom technischen Fortschritt berauschten Welt hatte das gefährliche Spiel um 2124 sein digitales Reich verlassen und die Wirklichkeit übernommen. Millionen von Menschen fielen Deadline 24 zum Opfer. Nun müssen die Überlebenden nach dem Bauplan des Spiels um ihre Existenz kämpfen. Sie sind der realen Gewalt ausgeliefert, die sie einst am Computer schmerzfrei simuliert hatten. Doch gleich, ob von Hybriden oder technischen Finessen erzählt wird, immer geht es Annette John um den Zusammenhalt in der Familie in einem verrohten Umfeld. Wie in einem klassischen Abenteuerroman zieht die selbstbewusste Heldin aus, um, eine Nummer kleiner geht es nicht, die Welt zu retten. Einfallsreich, ohne bekannte Science -Fiction–Romane oder Comics auszuplündern, überrascht Annette John den Leser gerade durch ihre originelle Handlungsführung. Aus einer scheinbaren Fantasywelt entwickelt sie eine düstere Gesellschaftsgeschichte mit realistischen und fantastischen Mitteln, in der die vom Menschen kreierte künstliche Intelligenz eine bedrohliche Eigendynamik entwickelt.

    "Unsere Welt ist undurchschaubar geworden. Man glaubt, sie zu durchschauen und man glaubt sie zu beherrschen, aber das ist, glaube ich, eine Selbsttäuschung. Es gelingt nicht wirklich."

    Dieser Sichtweise schließt sich der Zukunftsexperte Ulrich Eberl an.

    "Es gibt durchaus ein paar Felder, wo ich durchaus skeptisch bin, ob wir alle möglichen Folgen überblicken. Die Mikrochips, die werden in 20 oder 25 Jahren tausendfach leistungsfähiger sein als heute, das weiß man jetzt schon. Viele Forscher wollen Robotern das Lernen und das selbstständige Handeln beibringen. Und was passiert wenn es den Forschern gelingen sollte den Robotern ein Bewusstsein ihrer selbst einzubauen? Es weiß heute niemand, ob so etwas möglich ist und es weiß auch niemand, ob es nicht geht. Das sind natürlich Entwicklungen, die man sich genau anschauen muss, was da passiert, weil, das hätte auch Auswirkungen auf die ganze Menschheit."

    Um die Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur dreht sich der Jugendroman "Ruf der Tiefe" von Katja Brandis und dem Biologen Hans-Peter Ziemek. Im Jahr 2018 ist es möglich, durch Flüssigatmung und eine ausgeklügelte Nanotechnologie in bis zu 1.000 Meter Tiefe zu tauchen, um sich dort mit abgerichteten Kalmaren oder Pottwalen per Zeichensprache zu verständigen. Der 15-jährige Leon wohnt mit anderen Jugendlichen seit Jahren abgeschirmt in einer Tiefseestation in der Nähe von Hawaii. Im Rahmen eines Forschungsprojekts sucht er mit seiner Partnerin Lucy, einem intelligenten Krakenweibchen, im Pazifischen Ozean nach Rohstoffen. Beide, und das ist geheim, können sich per Gedankenübertragung unterhalten. Bei einem Routinetauchgang jedoch geschieht ein lebensbedrohlicher Zwischenfall.

    Leon half mit kräftigen Flossenschlägen nach und versuchte Lucy einzuholen, die schon ein Stück voraus war. Ein Fehler. Die Anstrengung und sein hämmernder Puls machten alles nur noch schlimmer, weil er dadurch mehr Sauerstoff verbrauchte. Und sein Anzug fand in diesem Teil des Meeres anscheinend keinen Nachschub. Noch nie war das passiert! Was war mit dem Wasser los, diesem roten Wasser, wie Lucy, es genannt hatte? Da war nichts mehr drin, was einen am Leben erhalten konnte!

    Als Leon beginnt nachzuforschen, wodurch diese gefährlichen Todeszonen im Meer verursacht wurden, gerät er zwischen alle Fronten und stellt alles bisher Vertraute infrage. Er erkennt, dass er angelogen wurde, dass hinter seinem gut getarnten Forschungsprojekt ein skrupelloser Konzern steckt, der auf Kosten der Natur gewagte Bohrungen durchführt. Erzählt wird der Roman aus zwei Perspektiven, zum einen aus der Sicht von unten durch Leon und von oben aus Carimas Blickwinkel. Beide Jugendlichen haben sich an Bord der Tiefseestation getroffen und bringen gemeinsam Licht in die dunklen Machenschaften der Wissenschaftler und Profiteure. Katja Brandis und Hans-Peter Ziemek verpacken aktuelle wissenschaftlich fundierte Zukunftstechnologien in einen informativen, temporeich erzählten Umweltkrimi. Der Roman signalisiert aber auch, was gestern noch fantasiert wurde, kann von der Gegenwart schnell eingeholt werden.

    Für viele Menschen ist es nicht gerade einfach, sich in einer komplizierten, immer undurchsichtiger werdenden Welt zu orientieren. Ally Condie konzipiert in ihrer Trilogie "Die Auswahl" ein zukünftiges Gesellschaftssystem, dass den Menschen vieles abnimmt, zum Beispiel den Einkauf von Lebensmitteln und sogar die Familienplanung. Der Preis für dieses gesunde und sorgenfreie Leben sind jedoch Transparenz und eine geschickt getarnte Bevormundung durch Funktionäre, die alles wohlwollend lenken. Per Terminals wird jeder Schritt von jedem überwacht, Sensoren zeichnen Träume auf, die Medizin ist so hoch entwickelt, dass schwere Krankheiten ausgemerzt sind.

    Im ersten Teil "Cassia & Ky" erzählt die amerikanische Autorin aus der Perspektive der braven Cassia vom bewährten Paarungsbankett der Gesellschaft. Wenn die heiratsfähigen Mitglieder das 17. Lebensjahr erreichen, sucht die Gesellschaft zur Genoptimierung den vollkommenen Partner aus. Für Cassia wurde Xander erwählt, ihr Freund seit Kindertagen. Nie hat Cassia, für die Identitätssuche oder gar Abgrenzung Fremdwörter sind, an der Gesellschaft gezweifelt. Dann jedoch erscheint auf dem Mikrochip mit den Hintergrundinfos über den zukünftigen Lebenspartner eine andere Person – Ky. Cassia ist beunruhigt, aber bevor sie mit jemandem sprechen kann, nimmt eine Funktionärin ihr den falschen Chip ab.

    "Diese Information ist vertraulich, aber Ky Markham wird niemals der Partner von irgendjemandem sein." "Dann hat er also beschlossen Single zu bleiben."
    Ich verstehe nicht, warum diese Information vertraulich ist. Viele Leute an unserer Schule haben sich entschieden, Single zu sein.
    Sie beugt sich noch näher zu mir. "Nein. Ky Markham ist eine Aberration." Ky Markham ist eine Aberration? Aberrationen leben unter uns, sie sind nicht gefährlich, so wie die Anomalien, die aus der Gesellschaft ausgesondert werden müssen. Obwohl Aberrationen ihren Status normalerweise durch einen Regelverstoß erhalten, sind sie geschützt; ihre Identitäten sind normalerweise nicht allgemein bekannt. "Er selbst kann nichts dafür. Aber sein Vater hat einen Verstoß begangen.


    Auch wenn Cassia ihren langjährigen Freund Xander ohne Bedenken akzeptiert, weckt dieses Gespräch ihr Mitgefühl für Ky, der ohne schuldig geworden zu sein, bestraft wird. Über sein Schicksal und die von allen gefürchtete Reklassifizierung als Strafe kann sie nur mit dem Großvater sprechen, der in Kürze an seinem 80. Geburtstag, so wie alle Bewohner der Gesellschaft, sterben wird. Zum Trost schenkt er seiner Enkelin heimlich Gedichte von Dylan Thomas, die es offiziell gar nicht geben darf, denn die Funktionäre dulden nur Nützliches.

    Cassia weiß, der Großvater will ihr mit den aufrüttelnden Versen sagen, es ist in Ordnung Fragen zu stellen, Wut zu haben, Sehnsucht zu spüren und den Schmerz, nie etwas Eigenes zu schaffen. Das Leben im Gleichmaß, das durch seine oktroyierte Harmonie und den entspannten Erzählton Cassias anfänglich so positiv wirkte, erfährt nun nach und nach Risse.

    Ally Condie entwirft eine künstliche Zukunftsvision von einer totalitären, unmündigen und trotzdem hoch entwickelten Gesellschaft, die freiwillig die Vergangenheit auslöscht. Gleichzeitig liest sich die Geschichte wie eine Liebeserklärung an die Poesie. Die amerikanische Autorin erfindet nichts neu, sie würfelt geschickt aus Versatzstücken zusammen, was aus Science-Fiction-Romanen von George Orwell, Aldous Huxley oder Ray Bradbury längst bekannt ist. Alles läuft am Ende des ersten Bandes der sprachlich wie dramaturgisch kaum anspruchsvollen Trilogie auf die konfliktreiche Dreierbeziehung zwischen Cassia, Ky und Xander hinaus. Das ist sicher keine Überraschung. Weit spannender könnte jedoch die Frage werden: Wie lang kann ein Gesellschaftssystem funktionieren, das mit technischer Perfektion und absoluter Sicherheit lockt dem Menschen aber alle geistigen Freiheiten genommen hat?

    Ein Asteroid prallt auf den Mond und entgegen allen Berechnungen driftet der Erdtrabant aus seiner Umlaufbahn und kommt der Erde bedenklich nahe. Die verheerenden Folgen sind für den Menschen nicht mehr beherrschbar, die Gezeiten werden zu tobenden Tsunamis, Vulkanausbrüche nehmen zu und Erdbeben fordern Tausende Tote. Könnte diese Katastrophe in der Zukunft wirklich eintreten? Der Sachbuchautor Ulrich Eberl beruhigt die erregten Gemüter:

    "Es ist nicht ausgeschlossen, aber es ist sehr unwahrscheinlich, weil es in unserem Sonnensystem nur ganz, ganz wenige Objekte gibt, die so was schaffen könnten."

    Susan Beth Pfeffer wählt das Motiv der apokalyptischen Endzeit, in der nicht nur alle Infrastruktur und staatliche Gewalt vernichtet sind, sondern auch alle Grundregeln des Lebens außer Kraft gesetzt werden, bereits für ihren Roman "Die Welt, wie wir sie kannten". Die 16-jährige Miranda berichtet in ihrem Tagebuch, wie ihre Kleinfamilie in Pennsylvania trotz Strom- und Heizölausfall, Hunger und eisiger Kälte überlebt. Im aktuellen Jugendroman "Die Verlorenen von New York" führt die amerikanische Autorin den Leser in das zeitgleiche Szenario mitten nach Manhattan. Wieder wendet sie den Blick vom großen Ganzen ab und konzentriert ihr Handlungsgeschehen auf das individuelle Schicksal einer kleinen Gemeinschaft, der sehr religiösen, puerto-ricanischen Familie Morales. Der 17-jährige Alex übernimmt nach dem Einschlag des Asteroiden die Verantwortung für seine zwei jüngeren Schwestern Bri und Julie. Scheute sich die Autorin im ersten Band davor, dem Leser drastische Szenen vor Augen zu führen, so geht sie im zweiten Teil bis an die Schmerzgrenze. Immer noch hoffend, die Mutter zu finden, der Vater ist wahrscheinlich beim Besuch in Puerto Rico von der Flutwelle erfasst worden, schaut sich Alex unter den geborgenen Leichen im Yankee-Stadion um.

    Wie viele Tote mochten es sein? Hunderte? Tausende?
    Einige Leichen waren bekleidet, andere nackt. Die Nackten hatte man mit Tüchern bedeckt, aber ihre Arme schauten hervor und ihre Hände waren gut sichtbar ausgebreitet, Ringe glitzerten in der Sonne. Die Gesichter waren aufgedunsen, oft bis zur Unkenntlichkeit und von Fliegen bedeckt, Millionen von Fliegen, deren Summen den Grundton all der Schreie und Klagen bildete.


    Da Alex die Mutter nicht findet, schwindet die Hoffnung von Tag zu Tag. Eine wichtige Anlaufstelle ist für den Jugendlichen seine Kirche St. Margaret. Doch auch Pater Franco gelangt schnell an seine Grenzen. Trotz Sommerzeit werden die Temperaturen immer eisiger. Seuchen brechen aus, Ratten erobern die Straßen, Leichen werden nicht mehr entsorgt. Die Menschen sterben einen lautlosen Hungertod mitten auf der Straße oder begehen Selbstmord. Wer über Beziehungen oder wertvolle Tauschmittel verfügt, verlässt Manhattan, denn es wird vorausgesagt, dass die Insel unterspült werden wird. Zurück bleiben die Armen und Kranken. Alex ist mit der Sorge um die Schwestern, besonders anstrengend ist die eigensinnige Julie, und der sozialen Isolation völlig überfordert, denn weder die Kirche noch ein Gott können ihm helfen. Und so überleben Alex und seine Schwestern nur durch die Geschäfte mit dem schmierigen Harvey. Mit seinem Mitschüler Kevin, der sich in einer Zeit, in der jeder nur an sich denkt als selbstloser Freund entpuppt, beginnt Alex das sogenannte "Leichen-Shopping". Schmuck, Kleidung – alles, was Wert hat, nehmen die Jungen den Toten, die auf den Straßen liegen, ab und tauschen das Erbeutete gegen Lebensmittel. Oft gelangt der ruhige Alex an einen Punkt der totalen Hoffnungslosigkeit. Aber Alex gibt, trotz aller Rückschläge, nie auf und das wirkt in einer lebensfeindlichen Umwelt fast übermenschlich.

    Ich war so verwöhnt, dachte er. Ich habe so viel gehabt und es nie zu schätzen gewusst. Ich wollte immer noch mehr.

    Beim Lesen von Susan Beth Pfeffers Endzeitthriller empfindet man keine Lust am Schrecken, sondern nur das blanke Entsetzen. Nie geht es um spektakuläre Effekte, der Roman überzeugt durch die enorme Kraft seiner Hauptfigur und die wirklichkeitsnahe Darstellung der bedrückenden Atmosphäre im Angesicht des Todes.

    Handeln die fiktiven Romane eher von fantastischen Apokalypsen in einer möglichen fernen Welt, so basiert das inhaltsschwere aber leicht zu lesende Sachbuch "Zukunft 2050 – Wie wir schon heute die Zukunft erfinden" von Ulrich Eberl auf bereits vorhandenen und ausbaufähigen, wissenschaftlichen Erkenntnissen der Gegenwart. Als Herausgeber der Zeitschrift "Pictures of the future" beschäftigen den Autor Zukunftstrends seit langer Zeit. Ein Schwerpunkt ist für Ulrich Eberl die künftige Versorgung der Menschheit mit klimaschonender Energie.

    "Diese Thematik ist mir so wichtig, weil diese Bedrohung durch den Klimawandel eine echte Bedrohung ist. Und ich denke, es wird eine der ganz großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sein, wie wir damit umgehen. Weil, wenn wir zu wenig tun, dann wird die Temperatur auf der Erde bis Ende des Jahrhunderts zumindest bis vier Grad ansteigen und das ist ein Durchschnittswert. Und das heißt, in manchen Gegenden wird es um acht und bis 14 Grad wärmer und allein durch den Anstieg des Meeresspiegels werden Hunderte Millionen von Menschen betroffen, ganz real. Und deshalb, denke ich, müssen wir die Treibhausgase massiv reduzieren, einmal durch den Ausbau der erneuerbaren Energien und dann noch durch eine wesentlich effizientere Erzeugung und einen wesentlich effizienteren Verbrauch von elektrischem Strom."

    Auch Elektroautos könnten künftig als Stromspeicher dienen: Wenn nur 200.000 von ihnen mit 40 Kilowatt Leistung am Netz hängen, entspricht das einer Gesamtleistung von acht Gigawatt . Mehr als die Summe aller Pumpspeicherkraftwerke und auch mehr, als ganz Deutschland derzeit an kurzfristiger Regelleistung benötigt, um die Netze stabil zu halten. Da Autos im Mittel nur ein bis zwei Stunden am Tag bewegt werden und in der restlichen Zeit auf Parkplätzen oder in Garagen stehen, ist dieses Szenario durchaus realistisch.

    In mehreren Kapiteln schaut Ulrich Eberl den, wie er sie nennt, "Pionieren der grünen Revolution", über die Schulter, die daran forschen, wie es zukünftig möglich ist, die Energiewende einzuleiten.

    Wissenschaftler in aller Welt träumen daher den Traum vom "grünen" Kohle- und Gaswerk: Sie wollen das CO2 aus Kraftwerken abtrennen und es entweder sicher lagern oder in nützliche Stoffe verwandeln – beispielsweise indem sie damit Algen füttern.

    Ulrich Eberl umkreist aber auch die wichtigste Industrie im 21. Jahrhundert, die Umwelttechnik, die rasante Entwicklung der Kommunikationstechnologie und die Aussicht, durch neue medizinisch-technische Verfahren bereits in frühen Stadien Krankheiten zu erkennen. Und er wagt auch für sich einen Ausblick auf die Welt von übermorgen.

    "Also, wenn ich's erlebe, dann würde ich eigentlich gerne meinem Auto sagen, fahre mich da oder dort hin und mich dann zurücklehnen, das wird sicher möglich sein, 2050. Ich hätte auch nichts gegen einen Roboter im Haushalt, also ein Roboter, der schwere Gegenstände hochhebt und die Geschirrspülmaschine einräumt und ganz besonders würde ich mich freuen, über etwas, was ich den magischen Teppich genannt habe. Das ist eine Art Teppich, der sich bewegt, auf den man sich nur stellen muss, um mit seiner Datenbrille und Datenhandschuhen durch eine virtuelle 3D-Welten, zum Beispiel eines fernen Museums zu wandern oder auch durch längst versunkene Städte, wie Pompeji."

    Vieles ist voraussehbar, doch es gibt auch unberechenbare Faktoren.

    "Der Eigennutz vieler Menschen und Staaten ist einfach so groß, dass man sich nur ganz schwer auf bestimmte Spielregel einigen kann und es erst dann tut, wenn es kurz vor zwölf ist. Und das kann natürlich für manche Entwicklungen schon zu spät sein."

    Spielen die spannungsgeladenen, düsteren Science-Fiction-Romane mit der Vorstellungskraft, dem unzerstörbaren Überlebenswillen und den Ängsten des Lesers, so klärt das Sachbuch eher über mögliche Entwicklungswege in der nahen, hoffentlich friedlichen Zukunft auf. Denn wie diese aussehen wird, entscheiden allein wir.

    Titelliste:
    Annette John: Deadline 24, Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim 2011, 375 Seiten, Euro16,95, ISBN 978-3-407-81081-6.

    Ulrich Eberl: Zukunft 2050 - Wie wir schon heute die Zukunft erfinden, Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim 2011, 234 Seiten, Euro17,95, ISBN 978-3-407-75352-6

    Ally Condie: Cassia & Ky – Die Auswahl, Aus dem Amerikanischen von Stefanie Schäfer, S.Fischer Verlag, FJ B, Frankfurt am Main 2011, 464 Seiten, Euro16,95, ISBN 978-3-8414-2119-7
    Hörbuch: Argon Verlag, ISBN 978-38398-4009-2

    Susan Beth Pfeffer: Die Verlorenen von New York, Aus dem Englischen von Annette von der Weppen, Carlsen Verlag, Hamburg 2011, 350 Seiten, Euro16,90, ISBN 978-3-551-58219-5
    Hörbuch: Silberfisch, Hörbuch Hamburg, ISBN 978-3-86742-090-7

    Katja Brandis & Hans-Peter Ziemek: Ruf der Tiefe, Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim 2011, 416 Seiten, Euro16,95, ISBN 978-3-407-81082-3