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Was Erdbeben "gefällt"

Was haben Erdbeben und Konsumenten gemeinsam? Über beide werden Unmengen an Daten gesammelt, um schließlich ihr Verhalten vorhersagen zu können. Geoforscher aus Sydney haben diese Parallele beherzigt und eine Data-Mining-Software zur Analyse von Nutzerdaten für die Erdbebenvorhersage zweckentfremdet - mit Erfolg.

Von Dagmar Röhrlich | 05.12.2012
    Eines interessiert Internetfirmen ganz besonders: Wie lassen sich Anzeigen so gestalten und platzieren, dass möglichst viele potenzielle Kunden erreicht werden. Deshalb gibt es zur Umsatzsteigerung Data-Mining-Programme, die systematisch statistische Methoden einsetzen, um Muster in einem riesigen Datenbestand zu erkennen. Diese Programme wecken inzwischen auch das Interesse von Naturwissenschaftlern:

    "Wir haben eine kürzlich entwickelte Methode zur Analyse von Nutzerdaten umgewidmet, um geophysikalische Daten auszuwerten. Wir wollten herausfinden, wo am ehesten schwere Erdbeben zu erwarten sind. Es ging uns um sogenannte Subduktionszonen, in denen zwei Erdkrustenplatten miteinander kollidieren und die eine unter die andere ins Erdinnere sinkt."

    Also pflegten die Geophysiker zwei neue wissenschaftliche Kataloge in die Internet-Software ein, erläutert Dietmar Müller von der University of Sydney. In der einen Datensammlung waren die Erdbeben seit Beginn der modernen, instrumentellen Messungen vor rund 100 Jahren zusammengestellt, in der anderen der Verlauf von Störungszonen im Meer:

    "Durch die Ozeanbecken ziehen sich riesige submarine Gebirgsketten, die sogenannten Mittelozeanischen Rücken. Die werden von Störungszonen zerstückelt und gegeneinander versetzt, und auch diese Störungszonen bilden Höhenzüge - und zwar beeindruckende, bis zu drei Kilometern hohe, die ganze Meeresbecken durchziehen. Und um diese Störungszonen geht es. Auch sie werden irgendwann subduziert, und wir haben uns gefragt, welche Erdbeben dann in diesen speziellen Zonen entstehen."

    Die Analyse ergab, dass es besonders schwere Beben sind: In den vergangenen 100 Jahren entstanden in diesen Zonen,rund 85 Prozent der stärksten überhaupt gemessenen Erdbeben also Beben mit Magnituden höher als 8,6. In Ereignissen bedeutet das:

    "Es waren 13 der 15 Erdbeben dieser Kategorie. Auch bei den Beben in der nächstniedrigeren Stufe mit Magnituden von mehr als 8,4 war es noch mehr als die Hälfte. Der Grund dafür ist unserer Meinung nach, dass diese Störungszonen beim Abtauchen ins Erdinnere großen Widerstand leisten. Deshalb bauen sich im Lauf der Jahrzehnte, Jahrhunderte oder Jahrtausende extra hohe Spannungen auf, die sich eines Tages in einem sehr starken Beben lösen."

    Die durch die statistischen Analysen beim Data-Mining gewonnenen Informationen erlauben also bessere Aussagen darüber, wie wahrscheinlich in einer Region besonders schwere Erdbeben sind:

    "Hätten wir unsere Karte vor zwei Jahren veröffentlicht, hätten die Leute die Tohoku-Region in Japan vielleicht mit anderen Augen gesehen. Bei uns tritt die Subduktionszone vor der Küste dort ganz klar als risikobehaftet hervor, während sie in alten seismischen Risikokarten nicht als besonders gefährdet galt."

    Dietmar Müller und seine Kollegen hoffen deshalb, dass die neue Methode dabei hilft, die langfristigen Gefährdungskarten zu verbessern.

    Info

    Die Studie wird heute in dem Open-Access-Journal "Solid Earth" der European Geoscience Union veröffentlicht:

    Müller, Landgrebe: "The link between great earthquakes and the subduction of oceanic fracture zones" ( Solid Earth, 3, 447-465, 2012)