Montag, 29. April 2024

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Was gut und böse ist

"Ich habe mit Krimis angefangen, weil ich sie gerne las", erzählt P.D. James. "Vor allem die Krimiautorinnen. Mir gefiel die Konstruktion der Romane. Ursprünglich fand ich, Krimischreiben sei eine ideale Übung für jemand, der gute und ernsthafte Romane schreiben will. Während ich mir die handwerklichen Grundlagen aneignete, merkte ich, daß ich der Konvention Genüge tun und gleichwohl meinen Ehrgeiz als ernsthafte Autorin befriedigen konnte. Es ist zwar eine künstliche Form, aber schließlich ist jede Form von Literatur künstlich."

Denis Scheck | 10.03.1999
    Nicht nur in ihren Kriminalromanen tut P.D. James der Konvention Genüge. Wer in ihr kleines Londoner Häuschen am Holland Park eingeladen ist, wird mit Kaffee und Keksen bewirtet und erhält zunächst einen ausführlichen Lebenslauf in die Hand gedrückt: minutiös listet der die Stationen einer Beamtinnenkarriere auf, P.D. James hat im englischen Gesundheits- und Innnenministerium gearbeitet, spät erst, in einem Alter, in dem andere an die Rente denken, hat sie sich für die Existenz als freie Autorin entschieden. In Deutschland benennt man Straßen nach Schriftstellern, in England ist es gerade umgekehrt. Als die Queen vor neun Jahren ihre Lieblingsautorin in den Adelstand erhob, nannte sich P.D. James einfach nach der Straße, an der sie wohnt und heißt nun also korrekt: Baroness James of Holland Park.

    Ihr Wohnzimmer ist das Museum eines fast 80jährigen Lebens. Glaubt man dem ersten Eindruck, all den Nippesfiguren auf dem Kaminsims, den nicht ganz erstklassigen Ölgemälden an den Wänden und den viel zu vielen schon etwas ramponierten Möbeln mit den verschossenen Bezügen, scheint auch dieses Leben recht konventionell verlaufen zu sein. Doch dann fällt der Blick auf ein Bücherschränkchen in der Ecke und die uniforme Reihe der über 40bändigen kompletten Ausgabe der "Famous British Trials". Für niemand erwies sich diese Inspirationsquelle für Generationen britischer Krimiautoren so ergiebig wie für P.D. James, deren Romane in vierzehn Sprachen verschlungen werden und Millionenauflagen erreichen.

    In gewisser Weise sei der Erfolg ihrer Bücher schon ein Rätsel, so P.D. James, behandelten sie doch durch und durch englische Stoffe. Schließlich seien gerade die Details des Alltagslebens für Kriminalromane besonders wichtig, denn nur aus diesen Details ließen sich überzeugend falsche Fährten konstruieren. Da aber die englische Lebensart sich international und insbesondere in Amerika großer Beliebtheit erfreue, schlage ihr diese Fixiertheit auf einen bestimmten Handlungsort eher zum Vorteil aus. Das Setting war auch der Ausgangspunkt ihres jüngsten Romans, "A Certain Justice". Unter dem grenzdebilen Titel "Was gut und böse ist" stürmt er in der routiniert-gewandten Übersetzung Christa Seibickes in diesen Tagen die deutschen Bestsellerlisten. Wer zum ersten Mal einen Roman von P.D. James zur Hand nimmt, wird dies vielleicht verblüffen - in Zeiten rasanter Entertainment-Akzeleration mutet "Was gut und böse ist" wie ein Fossil aus dem Kambrium der Unterhaltungsliteratur an, gute zweihundert Seiten braucht es schon, bis die Romanmaschinerie unter viel Geknirsche und Gerumpel in Schwung kommt und sich eine Ahnung von Spannung aufbaut. Doch um reinen Nervenkitzel ist es P.D. James nie gegangen, auch zu ihrem neuen Roman hat sie sich wieder durch das Setting anregen lassen: "Für mich kommt der Ort der Handlung fast immer zuerst", erzählt P.D. James. "Mein Roman ‘Was gut und böse ist’ fing mit einem Besuch im Middle Temple an, dem Londoner Gerichtsbezirk. Ich besuchte einen Gottesdienst in der Temple Church, einer der ältesten Kirchen der Welt. Als ich aus der Kirche kam, bemerkte ich, wie friedlich es dort war inmitten des Lärms und Trubels zwischen der Fleet Street und der Themse. So friedlich, schön und ordentlich, so geschichtsträchtig und voller Tradition. Und als ich da spazierenging, fiel mir der Gegensatz auf zwischen der Ordnung, Tradition und Schönheit dort, auch dem privilegierten Leben der erfolgreichen Anwälte, und den Scheußlichkeiten und Gewalttaten, die in einem Strafprozeß meist eine Rolle spielen. Und so kam ich auf die Idee, meinen nächsten Roman in diesem Milieu anzusiedeln: ich wollte einen Mord mitten in dieser Bastion von Recht, Ordnung und Tradition geschehen lassen. So ist das fast immer bei mir - meine Ideen entstehen als Reaktion auf bestimmte Orte."

    Friedlich, schön und ordentlich, geschichtsträchtig und voller Tradition: dies charakterisiert nicht nur den Handlungsort des neuen Romans von P.D. James, sondern auch den darin entwickelten Wertekosmos. Eine Karriereanwältin wird ermordet, die üblichen Verdächtigen rekrutieren sich aus neidischen Kollegen, kriminellen Mandantan und rückgratlosen Geliebten ...

    "Was gut und böse ist": aus den Romanen von P.D. James erfährt man das leider immer eine Spur zu genau, für moralische Ambiguität bleibt da wenig Raum. Was P.D. James jüngst in einem Vorwort zu einem schönen Band mit Briefen über ihre Vorgängerin Dorothy L. Sayers schrieb, es könnte cum grano salis auch auf sie selbst zutreffen: "Als Romanautorin zählt sie zu den vielseitigsten Schriftstellerinnen ihrer Generation; sie ist auch eine der umstrittensten. Für ihre Bewunderer hat sie mehr als jeder andere getan, um den Kriminalroman in den Status ernsthafter Unterhaltungsliteratur zu befördern, ihre Gegner halten ihr Snobismus und Elitedenken vor."

    Wie ihr Vorbild Dorothy Sayers mit Lord Peter Whimsey hat auch P.D. James einen Serienhelden für ihre Krimis erfunden: Commander Adam Dalgliesh. In den sechs vorausgegangen Dalgliesh-Romanen hat ihn seine Autorin mit der einen oder anderen Schrulle ausgestattet, etwa mit einer Liebe zur Lyrik, die Dalgliesh recht biedere Gedichte schreiben läßt. Immerhin, Commander Dalgliesh Jagd auf die Täter liefert nach und nach die Hintergründe und Handlungsmuster der Verdächtigen, die sie mit der Unausweichlichkeit einer Tragödie auf ihr Verbrechen zusteuern ließen und nutzt so einmal mehr die Form des Kriminalromans als Laboratorium der britischen Seele. Faszinieren vermag dieser Held kaum, strahlt er doch selbst etwas von der muffigen Spießigkeit des Milieus aus, in dem ihn P.D. James ermitteln läßt.

    Bliebe noch die Frage, warum die Autorin ihre Vornamen geschlechtsneutral abkürzt und mit Dalgliesh einen Mann als Helden ihrer Romane wählte. "Als ich zu schreiben begann, gab es so gut wie keine ranghohen Kriminalbeamtinnen", so P.D. James. "Die Polizistinnnen damals kümmerten sich meist um Kinder und Frauen. Heute würde ich wohl eine Kriminalbeamtin als Heldin erfinden, aber damals wäre das kaum glaubhaft gewesen. Deshalb wählte ich einen Mann. Was nun meinen Namen betrifft - ich kritzelte einfach auf einen Zettel: Phyllis James, Phyllis D. James, P.D. James. Das klang irgendwie rätselhaft und war sehr kurz, also nahm ich den. James ist mein Mädchenname, ich wollte nicht unter dem Namen meines Mannes schreiben - schließlich trage ich die Gene der James in mir. Und heute, wo ich so viele Bücher signieren muß, ist der kurze Name sehr praktisch."