Frage: Kann ein guter Professor eigentlich einen durchschnittlich begabten Studierenden aus seiner Mittelmäßigkeit herausholen?
Oppitz: Aus der Mittelmäßigkeit herauszukommen scheint mir eher unrealistisch, es muss schon ein sehr hohes Maß an geradezu genialischer Begabung von Anfang an da sein und dann natürlich auch im Laufe der Jahre entsprechend gefördert werden. Die Begabungen allein sind auch noch nicht unbedingt eine Garantie für eine fantastische künstlerische Entwicklung. Es müssen mehrere ungewöhnliche Vorraussetzungen zusammenkommen, damit jemand sich wirklich künstlerisch profilieren kann. Aus einer mittelmäßigen Begabung kann man auch keine Wunder hervorzaubern. Man kann sicher helfen, im Rahmen der Möglichkeiten eines jeden die Sensibilität zu verfeinern, die Einblicke und die Einsichten zu vertiefen, aber die Höhenflüge künstlerischer Art, glaube ich, werden dann doch nur diejenigen schaffen, die schon sehr früh eine besonders ausgeprägte Neigung zu diesen Höhenflügen gezeigt haben.
Frage: Wie viel sollte man eigentlich täglich üben?
Oppitz: Jedenfalls halte ich es nicht für gut, jeden Tag viele, viele Stunden am Klavier sitzend zu verbringen, nur zu trainieren, sondern eben auch viel Zeit dafür zu verwenden andere Felder der Musikliteratur gut kennen zu lernen, das heißt eben auch die Opernliteratur, die sinfonische Literatur, Kammermusik, Lieder. Das alles gehört für mich zu einer umfassenden Ausbildung und auch zu einer umfassenden Bildung eines Musikers. Es soll eben kein Fachidiotentum gezüchtet werden, sondern ein möglichst breiter Überblick und ein breit gefächerter Einblick in die vielfältige Welt der Musik gewonnen werden. Und ich glaube zwei oder drei Stunden am Tag mit Konzentration am Klavier zu üben, das sollte eigentlich genügen.
Frage: Herr Oppitz, für sie als Weltklassepianist mag es vielleicht komisch klingen, aber welche Berufschancen hat man als Pianist?
Oppitz: Ich versuche meinen Studenten schon möglichst realistisch die Situation und die Perspektiven darzustellen. Sicher wird es nicht jeder von denen, die das Potential dazu haben, auch wirklich schaffen über Jahre und Jahrzehnte hinweg ein Leben als Künstler auf dem Podium zu führen, so wie er oder sie es sich vorstellen. Aber wenn jemand diesen sicher nicht einfachen Weg gehen und einschlagen möchte und genügend an Enthusiasmus für die Musik und für das Klavierspielen mitbringt, dann bin ich gerne bereit, als künstlerischer Berater und als pädagogischer Begleiter diesen Weg mitzugehen und aus meinem Erfahrungsschatz helfend einzugreifen, wo ich glaube, dass es helfen kann. Wenn man es ganz realistisch sehen möchte, dann könnte ich mir vielleicht vorstellen, dass von 1000 jungen aufstrebenden Pianisten es vielleicht im Endeffekt über Jahrzehnte hinweg einer oder eine wirklich schafft, das so zu verwirklichen, wie es ihm oder ihr vorschwebt.
Frage: Was macht ihrer Meinung nach einen guten Pianisten aus?
Oppitz: Zunächst einmal eine gewissermaßen mühelose oder mühelos wirkende manuelle Bewältigung des Klavierspielens an sich, also der Technik. Und dann eben ein hohes Maß an musikalischer Intelligenz und an klanglicher Sensibilität für den Umgang mit der großen und wichtigen Literatur. Man muss eben auch wissen, was man mit dem Handwerkszeug anfangen kann. Die Studenten, die in meine Klasse kommen, können fabelhaft Klavier spielen. Und dann fängt das für mich wirklich Interessante an: Hilfestellung, Ideen und Anregungen zu geben für die interpretatorischen Fragen. Das ist es, was mich so an dieser Arbeit fasziniert.