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"Was ihr wollt" am Deutschen Theater in Berlin
Ernste Komödie als bunte Fernseh-Comedy-Show

Stefan Pucher inszeniert Shakespeares Komödie "Was ihr wollt". Dabei sorgt er permanent für die visuelle Bespaßung des Publikums. So wird die Inszenierung schließlich zu einem Sammelsurium der Ideen und verliert ihren poetischen Gegenstand völlig aus dem Blick.

Von Eberhard Spreng | 28.02.2015
    Wo sind wir gelandet? Ein somnambuler Herr im Morgenmantel dreht verträumt an einer Kurbel, die eine kleine Gondel durch die Lüfte bewegt. Oder ist das ein U-Boot in den Tiefen des Ozeans? Es ist beides, ein Traumweltvehikel für die Reise zum Planten Melancholia, ein Sehnsuchtskahn, der beim erklärten Objekt der Liebe nie ankommen will.
    Die Welt des Herzogs von Illyrien ist die eines durchgeknallten Privatgelehrten an einer Akademie für Realitätsflüchtige. Der robuste Andreas Döhler spielt Orsino, der von sich behauptet, in die reiche Gräfin Olivia unsterblich verliebt zu sein und zugleich eifersüchtig auf den Erhalt seines bittersüßen Wartezustandes bedacht ist. Wehe, wenn er die Dame kriegte.
    Viola wiederum ist in ihrem grotesk ausladenden Blumenkleid ein barockes Monstrum, das sich in statischer Pose in der Mitte des Universums postiert und alle ihr zufliegende Gefühlsenergie selbstsüchtig aufsaugt. Susanne Wolf spielt diesen kalten Stern.
    Um sie herum kreisen, in albernen Pluderhöschen, ein debiler Sir Andrew Backenfahl, wie Bleichenwang in der modisch verflachenden Übersetzung des Jens Roselt heißt. Und natürlich der unkaputtbare Theaterspaßonkel Sir Toby Rülps, der, gespielt von Christoph Franken, zwar immerfort Fontänen von Rotwein ausspeit, ansonsten aber wenig komisches zu bieten hat. Humor kommt, allerdings nur in der Form seiner Verweigerung, vom Narren der Margit Bendokat, die im ernsten Nadelstreifenanzug einen Zuchtmeister gibt, der seine Weisheiten mit starrer Mine auf der Vorderbühne kundtut:
    "Herbei, herbei dich ruf ich Tod, lass mich in die Kiste schauen. Hinfort, hinfort in Atemnot, ein Mädchen hat mich umgehauen."
    Michael Mühlhaus und Masha Qrella begleiten mit E-Gitarre und allerlei elektronischer Klangerzeugung eine sangeslustige Comedy, die etwa alle zehn Minuten ein Liedchen zu bieten hat. Einige Höhepunkte komödiantischer Kunst bietet darin Wolfram Koch als Haushofmeister Malvolio. Rampensäuisch stolziert er im Anzug mit lächerlichem Gürtelchen auf der Vorderbühne herum, um in der Paradeszene mit den gelben Strümpfen und den gekreuzten Strumpfbändern wie ein verklemmtes Kleinkind vor der versteinerten Olivia umherzualbern. Das Trio um Sir Toby hatte ihn mit einem gefälschten Schreiben die Zuneigung der unnahbaren Gräfin vorgegaukelt.
    Entblößungen, Häutungen, das halsbrecherische Spiel mit der Maske ist Thema in "Was Ihr Wollt". In ihrem Zentrum steht Viola alias Cesario, die als Mann verkleidet, dem verträumen Herzog als Liebesbote dient und in einen schrecklichen Gefühlskonflikt gerät. Als Frau ist sie am Herzog interessiert, als vermeintlicher junger Mann erweckt sie in der Gräfin Liebesgefühle.
    Aber als resolute Realistin ist die androgyne Katharina Marie Schubert etwas zu stabil, um hier glaubhaft in eine emotionale Schieflage zu geraten. So als wüssten alle, dass das mit der Liebe zivilisationsgeschichtlich sowieso gelaufen ist, singen sie gegen Ende, The Cure zitierend: This is not a Lovesong:
    "This is not a love song
    This is not a love song"
    Stefan Pucher blickt auch sonst durch die Pop-Brille aufs klassische Repertoire, aber hier ist der Regisseur geradezu krampfhaft aufs Entertainment bedacht: Neben der Musik wird permanent für visuelle Bespaßung des Publikums gesorgt. Ein moderner Innenraum schwebt aus dem Bühnenhimmel herab, unentwegt werden Unterwasserwelten auf den Bühnenhintergrund projiziert, abstrakte Muster und schließlich Großaufnahmen eines grausam verprügelten Malvolio. Nicht dass man so recht wüsste, warum, aber so ein bisschen rohe Gewalt kann ja nicht schaden auf der Palette der diversen Effekte.
    In der letzten halben Stunde wird die Aufführung zu einem Sammelsurium der Ideen und verliert ihren poetischen Gegenstand völlig aus dem Blick. So wird aus dem Shakespeare-Stück eine mediale Maskerade: Hier sind nicht nur die Figuren nicht das, was sie scheinen; hier kommt die ernste Komödie selbst in der Maske einer bunten Fernseh-Comedy-Show daher.