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Was ist deutsch?
"Diese Freiwilligkeit sollten wir überdenken"

Bei der Integration in Deutschland sieht die Soziologin Necla Kelek auch die Flüchtlinge in der Pflicht: Sie müssten alles tun, Teil der Gesellschaft zu werden, sagte die Islamkritikerin im DLF. Besonders im Blick behalten müsse man die Frage der Gleichstellung der Frau.

Necla Kelek im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 03.01.2016
    Die Soziologin und Publizistin Necla Kelek 2013 in der ARD-Sendung "Anne Will"
    Die Soziologin und Publizistin Necla Kelek 2013 in der ARD-Sendung "Anne Will" (dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler)
    Kelek: Ich finde, diese Leichtigkeit, wenn wir den Menschen freundlich begegnen und sie dabei begleiten, so wie sie leben möchten - das hat sich ja leider auch als ein Konsens in der Gesellschaft durchgesetzt -, reicht nicht aus, bestimmte Gruppen tatsächlich, dass sie sich so entwickeln, dass sie so hier sich wohl fühlen, dass sie auch ein Teil der Gesellschaft werden können. Dieses wird doch vollkommen ausgeklammert. Ich finde, es ist sehr wichtig, ihnen zu helfen, den neu angekommenen Menschen, aber auch gleichzeitig alles dafür zu tun, dass sie auch ein Teil der Gesellschaft werden, auf der kulturellen Ebene, der politischen Ebene, dass sie sich einmischen, dass sie mit die Gesellschaft gestalten, und nicht, dass sie eine Gruppe werden, wo die Gesellschaft sie versorgen muss. Damit würden wir noch einmal die Gesellschaft so spalten, weil auch die freundlichen Menschen würden irgendwann sehen, dass die Freundlichkeit ja endlich ist. Weil wir wissen ja: Was Versorgung bedeutet, hat ja auch was mit Wirtschaftlichkeit und finanzieller Versorgung zu tun. Das würde dann irgendwann umkippen und das ist zum Beispiel ein Gedanke, der mir große Sorgen macht.
    Kelek: Es ist genau dieser Punkt, auch zu verstehen, dass eine Gruppe, die kommt, vollkommen andere Lebenswelt, Weltbild und Menschenbild mitbringt. Die Frau in islamischen Ländern ist leider untergeordnet. Sie ist angewiesen darauf, dass nur der Mann das Sagen hat, und zwar, wie sie zu leben hat. Mit ihm alleine, ob sie Sprachkurs macht, Ausbildung macht, ob sie überhaupt studieren darf, das entscheidet der Haushaltsvorstand. Das ist meistens der Mann oder die Männer, wenn sie sich in einer großen Gruppe zusammengetan haben. Wenn wir also über Integration und deutsche Tugenden sprechen, dürfen wir die Frauen nicht vergessen, und wenn wir das tun, wird wieder eine andere Gesellschaft in unserer Gesellschaft sich bilden. Die Frauen müssen viel, viel mehr unterstützt werden und die Kinder besonders. Es darf nicht nach der Laune oder nach der Gnade des Mannes, dem Vater oder dem Ehemann gehen, dass er entscheidet, ob das Kind zur Schule gehen darf oder nicht. Da müssten wir ganz genau hinsehen und auch dieses einfordern. Es geht nicht nach Freiwilligkeit. Das muss eingefordert werden, weil sonst die Frau keine Chance hat, innerhalb der Familie sich durchzusetzen gegenüber dem Mann. Diese Freiwilligkeit, das sollten wir überdenken.
    Doris Schäfer-Noske: Bürger in Deutschland haben im vergangenen Jahr die Welt überrascht. Sie haben Fremde willkommen geheißen, obwohl Deutschland ja eigentlich nicht gerade als gastfreundlich gilt. Diese Gastfreundschaft allein wird allerdings nicht reichen, denn viele Flüchtlinge werden bei uns bleiben. Um sie also nicht nur willkommen zu heißen, sondern auch in unserer Gesellschaft aufzunehmen, muss man sich klar machen, dass die Zuwanderung Deutschland verändern wird, und man muss sich fragen, wie die Gesellschaft am Ende aussehen soll, oder vielleicht gerade, wie sie nicht aussehen soll. Wer ankommen will, muss die deutsche Sprache lernen, aber durch die Einwanderung steht auch das Deutsche selbst auf dem Prüfstand. Dazu beschäftigen wir uns in einer Sendereihe mit der Frage "Was ist deutsch?". Ich habe diese Frage heute an die Publizistin und Soziologin Necla Kelek gestellt.
    Necla Kelek: Deutsch ist für mich Zuverlässigkeit und dass ich Dinge, die ich tue, gründlich versuche zu machen, und auch immer das, was ich tue, als Nachlass empfinde, also immer jemandem da lassen möchte und niemals nur vergänglich es nur für mich ist, sondern es wird immer - das ist das Deutsche für mich - im Allgemeinen gesehen und verbunden mit Natur und Philosophie und alles, was damit zusammenhängt, also in großen Zusammenhängen gedacht, gelebt und gearbeitet wird. Das ist für mich deutsch!
    "Die Freundlichkeit ist ja endlich"
    Schäfer-Noske: Deutsche Tugenden, Kultur, der deutsche Rechtsstaat - ich habe anfangs von Willkommenskultur gesprochen. Es gibt aber auch das andere Deutschland: Menschen, die Flüchtlingsheime angezündet haben und gegen Einwanderung auf die Straße gegangen sind. Wie kann denn heute Integration funktionieren, solange ein Teil der Menschen befürchtet, durch diese Integration zum Verlierer zu werden?
    Kelek: In jeder Gesellschaft gibt es auch Menschen, die nicht mit dem, was passiert, einverstanden sind, und die geben sich eben so kund. Und das erleben wir auch gerade in Deutschland, besonders in Ostdeutschland. Aber ich finde nicht, dass es ein Bild von ganz Deutschland ist, sondern dass es ein Teil ist. Wir erleben doch eher eine große Bereitschaft, mit Freundlichkeit den neu angekommenen Menschen zu begegnen und sie zu unterstützen und sie dabei zu begleiten, dass sie in diesem Land sich zuhause fühlen. Das ist auch zum Beispiel deutsch. Es wird nicht gefordert, dass sie so werden wie die Deutschen, sondern es wird ihnen geholfen, dass sie hier ein Zuhause aufbauen können, und es wird ihnen geholfen, dass sie einen Beruf lernen und die Sprache lernen und dass sie hier ein Zuhause finden. Das finde ich zum Beispiel eine sehr, sehr freundliche und für mich jedenfalls eine ganz große Geste eines ganzen Staates oder einer Gesellschaft, was sich in der ganzen Welt zeigen kann.
    Schäfer-Noske:!! Sie haben über türkische Traditionen und islamische Religiosität geschrieben, die ein Integrationshindernis darstellen. Was sollte denn aus Ihrer Sicht in Zukunft auf keinen Fall deutsch werden?
    Kelek: Ich finde, diese Leichtigkeit, wenn wir den Menschen freundlich begegnen und sie dabei begleiten, so wie sie leben möchten - das hat sich ja leider auch als ein Konsens in der Gesellschaft durchgesetzt -, reicht nicht aus, bestimmte Gruppen tatsächlich, dass sie sich so entwickeln, dass sie so hier sich wohl fühlen, dass sie auch ein Teil der Gesellschaft werden können. Dieses wird doch vollkommen ausgeklammert. Ich finde, es ist sehr wichtig, ihnen zu helfen, den neu angekommenen Menschen, aber auch gleichzeitig alles dafür zu tun, dass sie auch ein Teil der Gesellschaft werden, auf der kulturellen Ebene, der politischen Ebene, dass sie sich einmischen, dass sie mit die Gesellschaft gestalten, und nicht, dass sie eine Gruppe werden, wo die Gesellschaft sie versorgen muss. Damit würden wir noch einmal die Gesellschaft so spalten, weil auch die freundlichen Menschen würden irgendwann sehen, dass die Freundlichkeit ja endlich ist. Weil wir wissen ja: Was Versorgung bedeutet, hat ja auch was mit Wirtschaftlichkeit und finanzieller Versorgung zu tun. Das würde dann irgendwann umkippen und das ist zum Beispiel ein Gedanke, der mir große Sorgen macht.
    Schäfer-Noske: Die Integration stößt ja auch schon jetzt manchmal auf ganz praktische Grenzen. Was ist denn zum Beispiel, wenn bei freiwilligen Deutschkursen nur die Männer kommen?
    Kelek: Es ist genau dieser Punkt, auch zu verstehen, dass eine Gruppe, die kommt, vollkommen andere Lebenswelt, Weltbild und Menschenbild mitbringt. Die Frau in islamischen Ländern ist leider untergeordnet. Sie ist angewiesen darauf, dass nur der Mann das Sagen hat, und zwar, wie sie zu leben hat. Mit ihm alleine, ob sie Sprachkurs macht, Ausbildung macht, ob sie überhaupt studieren darf, das entscheidet der Haushaltsvorstand. Das ist meistens der Mann oder die Männer, wenn sie sich in einer großen Gruppe zusammengetan haben. Wenn wir also über Integration und deutsche Tugenden sprechen, dürfen wir die Frauen nicht vergessen, und wenn wir das tun, wird wieder eine andere Gesellschaft in unserer Gesellschaft sich bilden. Die Frauen müssen viel, viel mehr unterstützt werden und die Kinder besonders. Es darf nicht nach der Laune oder nach der Gnade des Mannes, dem Vater oder dem Ehemann gehen, dass er entscheidet, ob das Kind zur Schule gehen darf oder nicht. Da müssten wir ganz genau hinsehen und auch dieses einfordern. Es geht nicht nach Freiwilligkeit. Das muss eingefordert werden, weil sonst die Frau keine Chance hat, innerhalb der Familie sich durchzusetzen gegenüber dem Mann. Diese Freiwilligkeit, das sollten wir überdenken.
    "Integration ist für mich, ein Teil der Gesellschaft zu sein"
    Schäfer-Noske: Das heißt, nach diesen jetzt freiwilligen Deutschkursen müsste es verpflichtende Deutschkurse auch für die Flüchtlingsfrauen geben?
    Kelek: Ja! Sogar an erster Stelle. Ich habe sogar einmal vorgeschlagen, dass der Asylantrag sogar von Frauen gestellt werden sollte, so dass der Mann von der Frau abhängig ist. Im Moment ist es ja genau umgekehrt. Die Frau ist ja von dem Mann abhängig, weil er ist der Hausvorstand. Er ist ja vorgereist und stellt den Antrag und holt seine Frau nach, oder er ist derjenige, der wieder weiterbestimmt, damit er es auch leichter hat, weil er ist ja in dieser Kultur lange, lange sozialisiert und gewachsen. Er kann es gar nicht so schnell abgeben. Aber er müsste dann wissen, hier ist es eben so, dass die Frauen genau die gleichen Rechte haben, in diesem Land anzukommen und Selbstständigkeit. Ein Recht auf Selbstständigkeit, das muss der Mann wissen, dass er in so einem Land jetzt lebt. Wenn wir erst abwarten, bis er sich dazu entschließt, oder wir es seiner Gnade überlassen, wird die Frau es nie schaffen.
    Schäfer-Noske: Wo endet denn da aus Ihrer Sicht die Integration und wo beginnt da auch eine Zwangs-Assimilation?
    Kelek: Mit diesem Wort Assimilation kann ich gar nichts anfangen. Integration ist für mich, ein Teil der Gesellschaft zu sein. Und was ist daran schlecht? Ein Teil der Gesellschaft zu sein heißt, dass ich von allen Angeboten, was der Staat bietet, von Bildung, von Ausbildung, von Wirtschaften, aber politischem Mitdenken und Handeln, daran kann ich teilnehmen und kann genauso für diese Gesellschaft versuchen was zu tun. Warum stellt man immer nur die Frage, was tut die Gesellschaft für mich, sondern für die Flüchtlinge muss es auch heißen, wir haben dieses Angebot bekommen, hier zu sein, und was kann ich jetzt für die Gesellschaft geben. Und das hat für mich mit Assimilation überhaupt nichts zu tun. Wer sich aber assimilieren möchte, weil er ein freier Europäer sein will und jetzt auch unabhängig von seiner Familie leben möchte, was in diesen Kulturkreisen ja oft nicht möglich ist, dann ist es doch auch sein gutes Recht, und warum kann ich nicht diesen einen Menschen auch dabei nicht unterstützen.
    Schäfer-Noske: Vor der Jahrtausendwende wurde ja noch so getan, als ob sich die Eingliederung von allein einstellen würde. Dann kam man aber später zu der Erkenntnis, dass es in manchen Stadtvierteln in Deutschland inzwischen Parallelgesellschaften gibt. Was kann denn Deutschland aus seinen Fehlern der Vergangenheit für seinen Umgang mit den Flüchtlingen jetzt lernen?
    Kelek: Ein ganz großer Fehler ist, dass wir im Bereich der Geisteswissenschaften und auch Religionswissenschaften den Islam nur als Religion betrachten und nicht sehen, wie viel kultureller Einfluss diese Religion und dieses System den Menschen mitbestimmt, und zwar soweit mitbestimmt, dass wir sehen, dass sie nach den Regeln des Islam leben möchten und dabei sogar oft noch sich radikalisieren. Das heißt, es gibt ja mehrere Stufen, die ich in diesem Islam leben kann. Das wird von der Gesellschaft eingefordert und es wird in der Gesellschaft von der anderen Seite, also von der hiesigen Gesellschaft, dieses mit Religion oft vermischt und es werden keine Reformen verlangt. Das heißt, alle Moscheen, die im Namen des Islam als Religion fungieren, tun nach außen so, als wären sie eine Religion; dabei bestimmen sie ein Gesellschaftssystem, wonach die Menschen nach diesen Regeln leben, und dann versuchen sie sogar, einzelne Normen zum Gesetz zu erklären, und dabei helfen die Gerichte ihnen auch. Das sollte unbedingt jetzt anders werden. Wir müssen von jedem einzelnen Moschee-Verein, Moschee-Verband verlangen, dass sie dafür alles tun, dass dieses Buch, das sie Koran nennen und ein religiöses Buch nennen, dass das von Gewaltstellen sich freimachen muss, dass es zu einer Aufklärung kommen muss, dass es zu Reformen kommen muss. Und wenn nicht, sehe ich zum Beispiel gerade die Verbände auch überhaupt nicht als integrative Instanzen.
    Schäfer-Noske: Das heißt, dann wäre der Islam so, dass er auch zu Deutschland gehören könnte?
    Kelek: Nur dann! Nur dann, wenn der Islam es schafft, tatsächlich innerhalb des europäischen Gedankens, was mittlerweile als religiös verstanden wird, dass es eine private Entscheidung ist zu glauben, ein Glaube wird, nur wenn er ein Glaube und Religion wird, kann ein Islam auch als Religion hier für uns gelten. Wenn sie das nicht wollen, die Menschen, die das bestimmen, dann sehe ich den Islam nicht als Religion.
    Schäfer-Noske: Das war die Publizistin und Soziologin Necla Kelek in unserer Sendereihe "Was ist deutsch?".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.