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Was ist Erfolg?

Die moderne bürgerliche Gesellschaft machte Erfolg zu einer Kategorie der ökonomischen und gesellschaftlichen Statusverteilung. Erfolg wurde an Leistung geknüpft. Doch zunehmend scheint sie sich vom Leistungsbegriff zu verabschieden und huldigt dem Erfolg als einer hohlen Figur.

Von Barbara Leitner |
    "Erfolg ist ein gesellschaftliches Ideal in der modernen Gesellschaft und wird und soll angestrebt werden. Erfolg soll ein Verdienst sein, den man sich durch Leistungen erarbeitet hat."

    Sighard Neckel, Professor für Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er erforscht die symbolischen Ordnungen der Ungleichheit in der Marktgesellschaft. Auch die "Pflicht zum Erfolg" – wie er es nennt - ist eine Norm, die die Gesellschaft reguliert.

    "Deshalb ist es auch kein Wunder, dass über Erfolge in der Gesellschaft oder in der Soziologie gesprochen wird, wenn der Eindruck vorherrscht, dass diese Regeln verletzt werden. Wenn Erfolge zustande kommen, die sich keinen Leistungen verdanken, und wenn Leistungen umgekehrt nicht zu gesellschaftlichen Erfolgen führen. Das ist in der Geschichte der Sozialwissenschaften fast hundert Jahre zu verfolgen, dass immer dann, wenn die Gesellschaft den Eindruck hat, die Statusverteilung, die Verteilung von Lebenschancen, die Verteilung von Vorteilen geschieht nicht nach den Regeln, die wir eigentlich gesetzt haben. Dann wird der Erfolg sofort zum Thema."

    Wie ist es möglich, dass der Leistungsdruck – nicht nur in der Arbeitswelt - enorm steigt und dennoch die Arbeitslöhne gegenüber anderen Einkommen immer mehr an Bedeutung verlieren? Warum zählt nicht mehr die Anstrengung, nur noch der Ertrag? Wieso verschafft ein Aktiengewinn Menschen einen höheren Status in der Gesellschaft als Arbeit? Was sind die Kriterien, nach denen die Wertigkeiten in der Gesellschaft verteilt werden? Hätte nicht auch eine Krankenschwester Anspruch auf einen Ehrensold?

    Im Alltag erleben die Menschen: Die Lebensverhältnisse zwischen arm und reich, zwischen etwas leisten und sich etwas leisten können, fallen immer weiter auseinander. Erfolg wird offensichtlich sehr verschieden verteilt. Woher aber stammt dieses Konzept, sein Leben danach auszurichten, und wie fair ist es? Sighard Neckel:

    "Über Erfolg gibt es Schriften bereits aus der Renaissance und der höfischen Gesellschaft. Da ist Erfolg schlicht und einfach als ein Begriff des politischen Machtkampfes gesehen worden. Das heißt erfolgreich ist derjenige, der sich mit den angemessenen Mitteln, den effizientesten Mitteln gegenüber anderen durchsetzt."

    An dieses Konzept knüpft die bürgerliche Gesellschaft an. Sie machte Erfolg zu einer Kategorie der ökonomischen und gesellschaftlichen Statusverteilung. Erfolg wurde an Leistung geknüpft. Als erfolgreich wurde der angesehen, dem es gelang, seine gesellschaftliche Stellung zu verbessern.

    Dabei betont Nina Verheyen, Historikerin von der Universität Köln: Nicht von Beginn seiner Existenz an richtete das Bürgertum sein Streben an Leistung aus. In seinen frühen Jahren – so ihre Position - ging es dem aufstrebenden Bürgertum zunächst um Bildung und Entfaltung. Im 19. Jahrhundert allerdings verschob sich die bürgerliche Kultur- und Lebensführung. Das hat verschiedene Gründe:

    "Die Industrialisierung ist natürlich wichtig. Die Arbeiterklasse, die von unten hoch kommt, das Bürgertum schon wieder bedroht, aber auch technische Entwicklungen. Dann kommt die erste Globalisierung hinzu. Eine erste Phase nationaler Konkurrenz, was auch mit individueller Konkurrenz zu tun hat, also vor einer Vielzahl von Hintergründen erhält die Idee von individueller Leistungskraft einen Aufschwung."

    Bis dahin – so findet Nina Verheyen ihre These in alten Wörterbüchern bestätigt – verstand man unter Leistung nur die "Erfüllung einer Obliegenheit", einer Pflicht. Die erledigte man. Die trieb einen aber nicht an. Und so "strebten" und "schafften" zwar die Kaufleute, Juristen und Lehrer bis ins 19. Jahrhundert hinein. Aber es ging ihnen nicht darum, etwas zu leisten. Das ändert sich um 1900. Nach Meinung der Wissenschaftlerin spielen dabei auch verschiedene Leistungstests eine besondere Rolle, die damals in Deutschland Einzug hielten.

    "Es wird der Intelligenztest entwickelt. Es gibt die ersten Fitnesstests. Es gibt die ersten Berufseinstellungstests. Es gibt in den Schulen die ersten standardisierten Prüfungen und so machen die Menschen im Alltag auf einmal die Erfahrung, dass ihre Leistungskraft ermittelt wird und scheinbar objektiv festgestellt wird. Und in Form von Zeugnissen tragen sie diese Leistungskraft unter Umständen ein Leben lang mit sich herum."

    Damit werden die Regeln neu festgesetzt, nach denen Macht und Wohlstand verteilt wird und wodurch der Anspruch auf Fairness und Gerechtigkeit erfüllt werden soll. Denn mit der Leistungsbewertung wird auch sortiert: In jene, die den Test bestehen und jene, die unterliegen. Eine Facette des auf diese Weise konstruierten Erfolges wird sichtbar: dass er in Gewinner und Verlierer unterscheidet. Was ein Jahreseinkommen eines Spitzenmanagers in Millionenhöhe rechtfertigt. Auch wenn das Leistungsprinzip als Erfolgsnorm noch immer hoch gehalten wird: Die Elite begründet ihre Status stets mit anderen Maßstäben. Das jedenfalls ist die Erkenntnis von Prof. Renate Liebold von der Universität Nürnberg/Erlangen. Sie befragte Vorstandsvorsitzende und Top-Manager in biografischen Interviews nach ihren Aufstiegswegen. Dabei entdeckte die Sozialwissenschaftlerin eine besondere Formensprache, in der die Wirtschaftselite sich und ihr Lebenswerk darstellt und jeden Zweifel an ihrer Exzellenz und Kompetenz hinwegpustet.

    "Solche Formen sind, sich selbst substanziell zu projektieren. Ihr Eliteverständnis ist gerade, dass es gerade keine leistungsverbürgte Karriere ist, sondern dass sie auf Grund von einigen Merkmalskombinationen in der Lage waren, ein erfolgreiches Lebenswerk zu erhalten."

    Sie erzählen beispielsweise vom Musikzimmer im Elternhaus oder dem Gesellschaftsempfang seit früher Kindheit und berufen sich damit auf eine bürgerliche Herkunft und eine entsprechende Lebensführung. Egal ob der älteren oder jüngeren Generation angehörig verkündet deren Selbstdarstellung: Hier steht eine Erfolgs-Persönlichkeit vor ihnen. Die kann man nicht einfach nachahmen.

    "Aus den Erzählungen können wir rekonstruieren, dass sie auf Fügungen, Begabungen, glückliche Wendungen Wert legen und eben nicht diese Anstrengung in Form von Leistung akzentuieren. Das spielt eben keine Rolle, so wie sie sich darstellen."

    Mit solchen Konstruktionen wird versucht, die Balance zwischen den verschiedenen Akteuren der Gesellschaft zu halten. Eine Balance, die Organisationen vor eine riesige Herausforderung stellt.
    Unternehmen beispielsweise streben nach Erfolg auf dem Markt. Dazu brauchen sie verlässliche Mitarbeiter. Über deren erfolgreiches Wirken auf dem Markt können sie sich nicht sicher sein. Dennoch müssen sie die Mitarbeiter vorab bewerten und entsprechend verpflichten. Nur so können sie stabile Kooperationsbeziehungen gewährleisten und die Mitarbeiter auch binden. Dafür nutzen Unternehmen und Institutionen heute Zielvereinbarungen und Kennziffern. Sie sollen über Leistung und Erfolg Auskunft geben.

    "Es ist nicht marktförmig. Es ist eine konstruierte Realität, für die es bestimmte Kriterien gibt. Wir haben das mal als eine hybride Kombination von Markt- und Leistungskriterien bezeichnet. Das ist das, was zur Zeit dominant ist in manchen Organisationen und wo Organisationen es versuchen, es nicht an Status zu binden, im Sinne des klassischen Laufbahnmodells: man steigt immer höher mit wachsenden Lebensalter, und dann hat man die Position, die kann man eigentlich nicht mehr verlieren, sondern die Leute werden immer wieder neu bewertet, deshalb ist alles immer ein bisschen unter Vorbehalt."

    Stephan Vosswinken vom Institut für Sozialforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er untersucht, wie sowohl in der Wirtschaft und als auch der Wissenschaft Erfolg organisiert wird. Dabei entdeckt er heute verunsicherte Anerkennungsansprüche. Wie will man Leistung wirklich bemessen? Was zählt zum Beispiel im Bankenwesen: Das grandios generierte Finanzprodukt oder die reale Wertschöpfung? Indem ein oder einige Kriterien benannt werden, wird der Versuch unternommen, Objektivität herzustellen. Handeln und Erfolg sollen nicht länger entkoppelt, sondern wieder miteinander verbunden sein.

    "Dass bedeutet in der nächsten Periode, dass sich die Menschen in dem, was sie tun daran orientieren, was am Ende ausschlaggebend ist, nämlich gesehen zu werden und die Gefahr besteht, dass das im Vordergrund steht und damit die Akteure selber die qualitativen Leistungsgeschichtspunkte außer Acht lassen."

    Sighard Neckel: "Genau das ist notorische Sorge der modernen Gesellschaft, dass im Versuch einer gesellschaftlichen Norm, nämlich der Norm des Erfolgs zu folgen, es zu einem Wertverlust kommt, nämlich der Erfolg mit allen Mitteln gesucht wird und der Erfolg am Ende auf Täuschung beruht. Das ist etwa das, was wir als das Phänomen des Plagiats in der akademischen Szene und anlässlich von Gutenberg diskutiert haben."

    In der Geschichte der Soziologie wurden immer wieder solche Gefahren des Konstrukts "Erfolg" benannt. Für die Gegenwart sieht Sighard Neckel in diesen Verwerfungen ein Zeichen für den normativen Wandel der bürgerlichen Gesellschaft. Sie verabschiedet sich vom Leistungsbegriff und huldigt dem Erfolg als einer hohlen Figur. Was sich breit macht, ist ein Kapitalismus ohne Bürgerlichkeit. Es geht nur noch um eines: besser zu sein und die anderen zu überbieten

    In den Castingshows der Medien wird diese Idee ins perverse gesteigert. Wer gewinnen will, muss eine Vielzahl inszenierter Konkurrenzkämpfe bestehen. In jeder Staffel wird man angetrieben, sich erneut zu steigern und muss dennoch mit dem Scheitern rechnen. Was sie und ihr Auftreten wirklich wert sind, darüber sind sich die Teilnehmenden ungewiss. Immer liegen Erfolg und Versagen dicht nebeneinander. Und ganz klar: Ob eine Performance gelungen ist oder nicht – dafür gibt es keine objektiven Kriterien. Sie unterliegt einem Bewertungsprozess. Auch das ist ein Merkmal des Erfolgs: Er ist auf Zuschreibung der Wertung Dritter angewiesen, betont Sighard Neckel:

    "Das heißt für den Erfolg brauche ich die Beobachtung und die Feststellungen Dritter, die mich als erfolgreich klassifizieren. Auch hier haben wir es mit einer Paradoxie des Erfolgs zu tun, denn der Erfolgreiche möchte sich gerade als unabhängig, als herausgehoben, als autonom erfahren und erleben, indem er aber Wert legt, als erfolgreich klassifiziert zu werden, legt er im Grund nur Zeugnis von seiner Abhängigkeit ab gegenüber den Wertungen Dritter. Wer dem Erfolg nachstrebt und nur dem Erfolg dem Erfolg, zielt vielleicht auf die Unabhängigkeit, verstrickt sich aber in die Abhängigkeit des Urteils Dritter immer tiefer hinein."

    Nach diesem Muster des Runs nach Erfolg sind viele Biografien der Gegenwart gestrickt. Das entschlüsseln diverse soziologische Studien. Beispielsweise die von Prof. Christine Wimbauer von der Universität Duisburg-Essen. Sie untersuchte Doppelkarriere-Paare. Ihrer Meinung nach verdoppelt sich für diese zweifach die "Pflicht zum Erfolg" – nämlich in der Liebe wie im Beruf, für die Frau und den Mann. Beide stehen vor Hürden im Ringen um Anerkennung. Im Beruf beispielsweise fehlen Teilzeitregelungen für Führungskräfte. Frauen werden teilweise noch immer nicht gleichermaßen in ihrem Karrierestreben unterstützt. Was die familiäre Seite anbelangt mangelt es an Kinderbetreuungsplätze. Das Elternzeitmodell richtet sich nicht konsequent an beide. Dennoch entdeckte Christine Wimbauer in ihrer Zuordnung auch einen Typ von Partnerschaft, der Leistung und Liebe im Interesse beider Partner zu balancieren vermag:

    "Oftmals entwickeln sie Koordinationsarrangements mit Blick auf räumliche Mobilität oder sie haben so ein Modell des reziproken Zurücksteckens. In einer Lebens- und Karrierephase steckt der eine zurück und der andere pendelt oder macht einen beruflichen Vorwärtsschritt und einer anderen Phase dreht sich das um, sodass sich das über den Lebensverlauf ausgleicht."

    Erfolg wird also nicht mehr erreicht, indem sich der eine gegenüber den anderen Besonders macht, seine Außergewöhnlichkeit betont. Erfolgreich und zufrieden sind diese Doppelkarriere Paare gerade dann, wenn sie Einschluss statt Ausschluss praktizieren, kooperative Möglichkeiten suchen. Dann ist auch das Merkmal "Geschlecht", das scheinbar noch immer über den Aufstieg in Führungspositionen entscheidet, weniger bedeutsam. Zu dieser Erkenntnis kommt auch ein Forscherteam des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung Berlin. Dagmar Simon, Leiterin der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik.

    "Was wir gesehen, die Frage, inwieweit schon im frühen Sozialisationsalter so etwas wie Anerkennung vergeben wird, von welchen Personen auch immer. Das ist der entscheidende Punkt und das ist unbedingt nicht die Frage des Milieus, ob sie aus Arbeiterschichten kommen, Mittelstand oder aus gehobenen Schichten. Das spielt natürlich auch immer eine Rolle. Aber die Frage, was demjenigen oder derjenigen mitgegeben wird und an wem sie sich orientieren können und was von ihnen erwartet wird, die Erwartungsstruktur, spielt eine ganz große Rolle."

    In biografischen Interviews befragte die Forschungsgruppe 62 Spitzenkräfte aus Wirtschaft und Wissenschaft: "Warum sind Sie so erfolgreich?" Weniger als vermutet spielte das Geschlecht eine Rolle. Was sich auswirkte, ob jemand Zuspruch und Unterstützung bekam.

    "Gerade in solchen Situationen, die von den Personen als kritische Punkte angesehen werden, wo es in der Schule oder in der Ausbildung nicht mehr weiter geht oder sie einfach sehen, dass sie den Weg, den sie sich vorgenommen haben, so nicht weiter gehen können oder es einen Karrierestopp gibt, da sehen wir an diesen Punkten, dass bestimmte Personen, die als Fürsprecher oder Unterstützer oder Netzwerke, wo die Personen eingebunden sind, eine ziemlich relevante Rolle spielen. Weil das gibt dann den Mut und das Selbstvertrauen, dann doch noch ein Stück weiter den Weg verfolgen zu können und dass sind nicht nur die äußeren Bedingungen, was den Arbeitsplatz, Arbeitsort oder die Hierarchie in einem Unternehmen oder in der Wissenschaft angeht, sondern gerade bei den Critical Incidences können Personen eine wichtige Rolle spielen."

    Diese Personen vermitteln etwas anderes als die Schadenfreude des Publikums oder das vernichtende Urteil der Jury in den Castingshows. Sie nähren das Vertrauen, stärken die innere Stabilität und Widerstandskraft. Beides macht unabhängig von den Erfolgskriterien der Assessmentcenter und von Zielvereinbarungen. Solche Erkenntnisse fordern aber auch dazu heraus, neu über das Konzept von Erfolg nachzudenken.