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Was ist europäisch?

Identität, so lautet ein alter Lehrsatz der Psychologie und der Soziologie, verdankt sich der Abgrenzung: Wir sind, was die anderen nicht sind. Dass sich diese Formel auch auf die europäische Identität anwenden ließe, daran hat der Schweizer Autor und Literaturwissenschaftler Adolf Muschg, der auch Präsident der Berliner Akademie der Künste ist, erhebliche Zweifel. Denn ob Judentum, Christentum oder Antike: Die Traditionen, auf denen Europa gründet, haben immer an seinen Rändern gelegen. Sie standen in dichter Nähe zu anderen, fremden Kulturen, von denen sie sich oft genug kaum abgrenzen ließen.

    Europa ist mit sich selbst nicht eins. Muschg nennt den Kontinent deshalb selbst nach den epochalen Ereignissen des Jahres 1989 noch einen "geteilten Erdteil" - und meint damit einen Riss, der vor allem durch das Bewusstsein geht. Vielleicht aber, so der Autor, hat Europa seine Identität gerade darin gefunden, dass es ihr so verbissen hinterher läuft.

    In der vergangenen Woche hat Adolf Muschg in Essen im Rahmen der "Krupp-Vorlesungen" einen Vortrag über die Frage "Was ist europäisch" gehalten. Wir dokumentieren diese Rede, die der Beck-Verlag im kommenden Jahr auch in Buchform herausgeben wird, in Auszügen.