Freitag, 17. Mai 2024

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Was kann uns Montesquieu heute noch sagen?

Während allenthalben das Schiller-Jahr, das Einstein-Jahr oder das Andersen-Jahr proklamiert wurden, fordert die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften das, was es in Frankreich längst gibt - ein Montesquieu-Jahr nämlich. Ohne Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu nämlich, so die Akademie, gäbe es nicht nur keine amerikanische Unabhängigkeitserklärung und keine Erklärung der Menschenrechte, sondern auch kein Grundgesetz. Als das 1949 vom parlamentarischen Rat verabschiedet wurde, zitierte man Montesquieu nämlich so häufig, dass der kommunistische Abgeordnete Renner von einer "Leichenschändung" starb. Vor 250 Jahren, 1755, starb Montesquieu - ein politischer Philosoph, der als erster die Trennung von Staat und Rechtssprechung forderte, sich für die Menschenrechte aussprach und die Welt, die er kannte, und das menschliche Miteinander darin in drei Systeme einteilte: die Demokratie mit dem Prinzip Gemeinwohl, die Monarchie mit dem Prinzip Ehre und den Despotismus mit dem Prinzip Angst. Von heute bis Freitag veranstaltet die Berlin-brandenburgische Akademie der Wissenschaften nun in Berlin ein Montesquieu-Symposium mit dem Titel "Franzose - Europäer - Weltbürger".

09.02.2005
    Koldehoff: Ich habe den Soziologen Herfried Münkler als Referenten der Tagung gefragt, ob Montesquieus 250 Jahre altes Gesellschaftsbild denn heute überhaupt noch Bestand haben kann.

    Münkler: Oh, ich denke schon. Montesquieu steht gewissermaßen am Anfang der Moderne. Er hat den Absolutismus in Europa beobachtet und kritisiert und stellt dagegen die gemischte Verfassung als ein Modell, das möglichst viel Partizipation bei gleichzeitig möglichst viel politischer Vernünftigkeit zusammenbindet. Das, denke ich, sind Überlegungen und Beobachtungen, die zumal angesichts der historischen Tiefe, die er hat, nach wie vor von Bedeutung sind.

    Koldehoff: Es klingt heute alles so selbstverständlich, die Gewaltentrennung, dass die Rechtsprechung nicht mehr vom Staat abhängig zu sein hat. Warum könnte es trotzdem wichtig sein, immer wieder daran zu erinnern, wo die Wurzeln des heutigen Selbstverständnisses liegen?

    Münkler: Also zunächst einmal auch im Sinne unserer eigenen Selbstvergewisserung: Das, was selbstverständlich ist, ist gefährdet. Aber natürlich auch im Hinblick auf die Frage, ob das, was sich in Europa mühselig, aber schließlich doch entwickelt hat, etwas ist, was exportierbar ist, was für andere ein Vorbild sein kann. Vielleicht eine gewisse Varianz aufweist, um auf die außereuropäischen Verhältnisse anwendbar zu sein? Wo liegen die Begrenzungen? Und in welchem Maße kann man sich mit dem Despotismus als einem Bündnispartner für begrenzte Ziele einlassen? In diesen Fragen ist Montesquieu sehr interessant.

    Koldehoff: 1689, als er geboren wurde, sah die Welt noch anders aus. Die Vereinigten Staaten von Amerika waren als Vereinigte Staaten noch nicht gegründet, vielleicht im europäischen Bewusstsein auch so noch gar nicht vorhanden. Wo würden die sich heute in Montesquieus Staaten- und Systemesystem einordnen?

    Münkler: Ja, Montesquieu beobachtet eigentlich Europa als eine Ansammlung von Staaten, und hat die Vorstellung, dass da kein Imperium reinpasst. Seine Idee ist, Frankreich sozusagen als der erste Staat Europas, OK, aber nicht als ein europäisches Imperium. Was er als Imperium wahrnimmt, ist Spanien. Spanien befindet sich in dieser Situation bereits auf dem absteigenden Ast. Und den britischen Höhenflug, den sieht er noch nicht, also dass Großbritannien dann ein Weltreich werden wird, das ist noch außerhalb seines Wahrnehmungshorizontes. Ich denke, dass er über die USA, wie sie sich heute darstellen, nicht besonders erbaut wäre, denn seine Beobachtungen im Hinblick auf die imperiale Politik Spaniens, aber vor allen Dingen auch die imperiale Politik Roms, die er literarisch zur Kenntnis nimmt und intellektuell verarbeitet, laufen darauf hinaus, dass eine imperiale Macht nicht wünschbar ist. Er sagt, sie sei auch nicht möglich und sie sei ineffizient.

    Koldehoff: Wird das der Inhalt Ihres Vortrags sein, den Sie morgen halten unter dem Titel "Neues vom Imperium. Reflexionen im Anschluss an Montesquieu"?

    Münkler: Ja, ich werde schon zeigen, was Montesquieus Einwände gegen das Imperium sind. Aber ich werde sie nicht eins zu eins übernehmen und sagen, in dieser Hinsicht hat Montesquieu auch heute noch Recht. Denn erstens, sein Argument, eine stabile Imperiumsbildung sei nicht mehr möglich nach dem Ende des weströmischen Reiches, weil sich die militärischen Fähigkeiten der Europäer zu ähnlich seien, dieses Argument trifft heute nicht mehr zu. Das ist eine questio facti. Da muss man sagen, die Amerikaner haben eine solche Überlegenheit, dass sie in der Tat imperiumsfähig sind. Zum Zweiten sagt Montesquieu, an die Stelle von Eroberungen ist eine Integration durch Handel getreten, und das begreift er als Alternative zum Imperium. Da hat er die Handelsimperien noch nicht hinreichend im Auge, wie die entstanden sind, und die USA sind auch ein Handelsimperium, bei dem die Leitwährungsfunktion des Dollar mindestens so wichtig ist wie ihre militärische Fähigkeit. Und die Frage der Wünschbarkeit, nun ja, wir können uns, glaube ich, im Ernste nicht wünschen, dass solche symmetrischen Konstellationen wie im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, die dann zu entsprechenden Kriegen geführt haben, im globalen Maßstab wiederkehren. Wir sind darauf angewiesen, dass es gleichsam einen imperialen Garanten der globalen Ordnung gibt.

    Koldehoff: Ein politischer Philosoph ist er gewesen und er hat Gehör gefunden als politischer Philosoph. Würden Sie sich das heute für die Philosophen wünschen, dass sie stärker auch in der Politik wahrgenommen würden?

    Münkler: Das müsste man schon wünschen. Aber dazu hätte es eine Voraussetzung, nämlich, dass sie so klar und so eingängig und auch mit so viel politischer Urteilskraft ihre Texte verfassen wie Montesquieu.