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Was kostet der Dom?

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Dieter Wulf |
    Dieses Grundstück hat auch heute, wenn man den Dom abreißen würde, wohl einen außerordentlichen Wert, wenn ich das richtig sehe, kommen Sie hier auf Quadratmeterpreise auf 5000, 6000 Mark oder mehr. Meine Zahlen sind immer noch Mark, ich bin noch nicht in der Umrechnung.

    Doch in diesem Fall spielt das eigentlich keine Rolle. Ob 6.000 Mark oder 6.000 Euro. Domprobst Bernard Henrichs verwaltet zwar eine riesige Immobilie in allerbester Citylage. Und doch, oder eher gerade deshalb, bleibt die Frage nach Immobilienrendite oder Quadratmeterpreisen rein fiktiv. Probst Henrichs ist der Verwalter des Kölner Doms und der ist nun mal keine Immobilie wie jede andere.

    Am Eingangsportal herrscht ein dauerndes Kommen und Gehen. Gläubige suchen sich einen Platz auf einer der vielen Holzbänke, um für einige Minuten mit Hilfe dezenter Orgelmusik zu beten oder zu meditieren. Die große Mehrzahl der Dombesucher aber sind Touristen, die, bewaffnet mit Kameras und Reiseführern, durch die gotische Kathedrale flanieren. Während einige Museen, nur wenige Meter vom Dom entfernt, mit saftigen Eintrittspreisen ihre Unkosten zu decken versuchen, ist dies hier nicht möglich. Für den Besuch einer Kirche Eintrittspreise zu verlangen lehnen die Katholiken in Deutschland schon aus religiösen Gründen ab.

    Nur wenige Meter entfernt vom Kölner Dom steht ein anderes großes Gebäude. Auch dies eine attraktive Immobilie mitten im Stadtzentrum und auch hier braucht man keinen Eintritt zu bezahlen. Doch im Gegensatz zur ehrfürchtigen Stille des Doms, herrscht unterhalb der imposanten riesigen Stahlkonstruktion eine lautstarke Geräuschkulisse .

    Permanent quietschen die Gleise, wenn ein Zug auf einem der vielen Gleise an- oder abfährt. Aber seit zweieinhalb Jahren bietet der Kölner Hauptbahnhof mehr als Fahrkartenschalter, Wartehalle und Gepäckaufbewahrung, erklärt Marcus Eggers von der Projektmanagementgesellschaft ECE:

    Sie kriegen morgens Ihr Brötchen, Ihre Tasse Kaffee, das kriegen Sie in anderen Bahnhöfen auch und ihre Zeitung. Sie kriegen aber auch, wenn sie mittags kommen, ein riesiges Angebot von Gastronomen, 25 Gastronomen haben wir und eben nicht zehn mal Wurst. Wir haben den Mexikaner, den Asiaten, den Inder, den Türken, den Italiener, ein Fischgeschäft für Gastronomie, einen Käsehändler, , einen vegetarischen, noch einen Italiener.

    Und so weiter und so weiter. . Dazu Parfümerien, Apotheken, Schmuckgeschäfte, Buchläden, Friseure. Nach einem längerem Umbau und einer Investition der Deutschen Bahn von etwa 110 Millionen Euro entstand aus dem düsteren, meist dreckigen Bahnhof unterhalb der Gleisanlage ein modernes, helles, quirliges Einkaufszentrum.

    Die Bahn AG hatte begriffen, dass ihre Immobilie in allerbester Lage mehr ist als ein überdachter Bahnsteig. Eine Immobilie, die für die Bahn bislang nur Kosten produzierte, wurde zum ertragreichen Gewerbeobjekt. Der Bahnhof macht Gewinn.

    Warum, könnte man sich fragen, wäre es nicht auch den Kirchen möglich, ihre knappen Kassen aufzubessern? Schließlich stehen ihre Gotteshäuser, ob im kleinsten Dorf oder in der Großstadt, fast immer in allerbester Lage.

    Was aber bedeutet das wirtschaftlich? Ist die Kirche reich, weil sie überall Grundstücke besitzt? Oder arm, weil es sich bei den Immobilien meist um alte, denkmalgeschützte Objekte handelt, die zwar Geld kosten, aber nichts einbringen?

    Zumindest mit dem Kölner Dom ist sich Domprobst Henrichs sicher, kann man kein Geld verdienen:

    Dieser Dom kann sich natürlich mit einem Wirtschaftsgebäude oder erst recht mit einer Firma dieser Art in gar keiner Weise vergleichen, da er nicht sein Geld was er braucht erwirtschaften kann, sondern er braucht es als Zuschuss, er muss es erbetteln, wie es gebaut worden ist am Anfang und er muss sehen, dass es erhalten werden kann.

    Die Kirche besitze zwar den Dom, reich aber sei sie deshalb längst nicht, versichert Domprobst Henrichs. Und doch vermuten viele innerhalb der Kirchenmauern bis heute unermessliche Reichtümer.

    Der Hamburger Politologe Carsten Frerk recherchierte über drei Jahre, las Haushalts- und Finanzpläne der Kirchen, durchforstete Rechenschaftsberichte und Staatskirchenverträge und entdeckte Unglaubliches. "Kirchen, diskret wie Schweizer Banken" titelte der Spiegel, als der Politologe seine detaillierten Ergebnisse vor einigen Monaten als Buch veröffentlichte. Er entdeckte kirchliche Latifundien, Weinberge und Brauereien, Wälder und Gutshöfe aber auch Hotels, einen riesigen Bestand an Mietwohnungen, Kirchenbanken mit hohen Einlagen, Aktien, Firmenbeteiligungen und vieles mehr. Sein Resumé: Die Kirchen sind alles andere als arm.

    Es ist von dem Vermögen, was ich bewertet habe, insgesamt 981 Milliarden DM. Wenn ich da jetzt rausziehe, was an Kirchen bewertet ist und den Grund und Boden auf dem Kirchen stehen, dann bleiben noch 650 Milliarden kapitalisierbares Vermögen an Kapitalvermögen, Grundbesitz und Immobilien sind noch vorhanden, die im kirchlichen Besitz sind.



    Knapp eine Billion D-Mark, etwa 500 Milliarden Euro, ein schier unglaubliches Vermögen. Wie aber kommt er zu solchen Beträgen, während die Kirchen über immer geringere Einnahmen klagen und seit Jahren ihr Personal immer weiter reduzieren? Kann man eigentlich Kirche mit betriebs- oder volkswirtschaftlichen Kategorien messen?

    Für seine Finanzanalyse betrachtete Carsten Frerk nicht nur die 27 katholischen Bistümer und 24 evangelischen Landeskirchen, sondern auch Caritas und Diakonie mit all ihren Einrichtungen, Ordensgemeinschaften, Stiftungen und vieles mehr. Insgesamt etwa 80.000 selbstständige Rechtsträger mit rund 1,4 Millionen Beschäftigten. Zusammengenommen nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber.

    Allein bei der Kirche selbst, Caritas und Diakonie noch gar nicht betrachtet, entdeckte der Politologe 825.100 Hektar Grundbesitz, und damit etwa elf mal die Fläche des Bundeslandes Hamburg. Und außer den Kirchen tausende von Pfarrhäusern, Gemeindehäusern, vermietete Immobilien und vieles mehr. Und all das, so findet er, könne man schließlich auch wirtschaftlich bewerten, selbst Kirchengebäude:

    Man kann eine Kirche verkaufen. Es wird immer behauptet das ginge nicht. Das ist im europäischen Ausland, in England, in Niederlanden sind inzwischen 500 Kirchen verkauft worden. In Deutschland werden Kirchen umgewidmet als Ausstellungshallen, als Veranstaltungsorte usw. Das Gebäude ist sozusagen nur die Hülle, die als Kirche gewidmet worden ist und genauso kann man sie wieder entwidmen und dann wird das sakrale Inventar, der Altar usw. eben herausgenommen. Aber genauso gut kann eine Lagerhalle, ein Container, eine Wohnung auch als Kirche geweiht oder gewidmet werden und genauso kann man sie entwidmen.

    Aber unabhängig von solchen theologischen Fragen - was ist eine Kirche wert? Wie taxiert man den Kölner Dom, die Münchener Frauenkirche oder all die anderen kleinen und großen Gotteshäuser? Wenn sie auch keine Gewinne erzielt, so betrachtet Carsten Frerk die Kirche als Wirtschaftsunternehmen und behandelt sie entsprechend;

    Und jetzt kommt die Frage kann man diese Kirchen bewerten. Ich hab die Kirchen gruppiert und dann gesagt, jeder Konzern, also jedes Wirtschaftsunternehmen und in diesem Sinne ist Kirche ja auch Wirtschaftsunternehmen, wird in seiner Bilanz seine Gebäude bewerten auch wenn sie sie gar nicht verkaufen wollen. Auch das VW-Werk wird sein Werk nicht verkaufen wollen und trotzdem ist es eine Immobilie, die auch einen wie immer gearteten Immobilienwert hat von Grund und Boden her, von den Gebäuden her, der auch zu bewerten ist.

    Wenn die Kirchen schon über chronische Finanzknappheit stöhnen, so dass sie ihre Bauten selbst nicht mehr erhalten können, dann, so sein Vorschlag, solle der Staat sie übernehmen für eine Entschädigungssumme, ähnlich wie die Fürsten für ihre Schlösser entschädigt wurden. Und die Kirchen hätten Geld für andere gute Zwecke.

    Für Oberkirchenrat Stefan Große, verantwortlich für die Finanzen der evangelischen Landeskirche in Thüringen, eine völlig abwegige Vorstellung.

    Sie finden keinen Käufer für den Kölner Dom und abreißen können sie ihn schon aus denkmalschutzrechtlichen Gründen nicht, was soll der Quatsch, wenn nicht offenbar Kirche so wie das ja offenbar Anliegen ist zu kritisieren, Religion zu kritisieren und letztlich so ein Stück mainstream zu bedienen, jawohl diese wertehütende Institution, die jetzt auch noch gegen den Fortschritt ist. Die müssen wir mal ein bisschen klein machen. Das ist der Sinn des Ganzen.

    Natürlich besitze die Kirche und all die karitativen Einrichtungen weit mehr als nur ihre Gotteshäuser, attestiert auch Heidrun Schnell, die Haushaltsreferentin der Berliner evangelischen Landeskirche. Wie aber berechnet man den Wert von Pfarrhäusern, Schulen, Kindergärten oder Friedhöfen? Genau wie bei Städten und Gemeinden könne man solche Objekte nicht einfach ökonomisch bewerten:

    Wenn man das Argument umdrehen würde, müsste man behaupten, die Kommunen und der Staat ist reich weil er ja Rathäuser, Parkplätze Parks hat wenn man das an Hand von Berlin sich vor Augen hält wird keiner dem Land Berlin beispielsweise den Volkspark Friedrichshain hier vor der Tür abkaufen wollen. Abgesehen davon, dass das Land schon Probleme hat die Brunnen zu betreiben und dafür Sponsoren sucht.

    Über Jahrhunderte erfand die Kirche immer wieder neue Mittel und Wege, um den Sündern Erleichterung und den Kirchen volle Kassen zu bescheren. Das änderte sich erst mit der Reformation und der weitgehenden Enteignung kirchlicher Besitztümer. Wer aber sollte jetzt die Pfarrgehälter und die von den Kirchen betriebene Sozialarbeit bezahlen? Als Ausgleich entstand in Deutschland das in dieser Form einmalige System der Kirchensteuer. Anders als zum Beispiel in Frankreich, wo man sich für eine völlige Trennung von Staat und Kirche entschied, erklärt der Geschichtsprofessor an der Berliner Humboldt Universität, Heinz Schilling.

    Die strikte Trennung von Kirche und Staat haben wir in Deutschland nicht, sondern wir haben unser Modell - ist die öffentlich rechtliche Position der Kirchen und Religionsgemeinschaften und von daher wird diesen bestimmte Unterstützung von Seiten des Staates zugesichert und dazu gehört die Bereitschaft des Staates über die Lohnsteuer die Kirchensteuer mit einzusammeln und diese dann an die Kirchen abzuführen und das in einem festgelegten Proporz.

    Das Recht eigene Steuern zu erheben ist heute sogar im Grundgesetz verankert. Im Regelfall zahlt jedes steuerpflichtige Mitglied der katholischen oder evangelischen Kirche in Deutschland heute zwischen 8 und 9 Prozent seiner Einkommenssteuer zusätzlich als Kirchensteuer. In den 70er und 80er Jahren bescherte dies den westdeutschen Kirchen stetig steigende Einnahmen. So erhielt die evangelische Kirche, deren Kirchensteuereinnahmen 1970 bei etwa 2,2 Milliarden D-Mark lagen, 1999 8,2 Milliarden D-Mark. Genug Geld, um die eigenen Aufgabenfelder immer mehr zu erweitern und zusätzlich auch noch die Kirchen in der DDR finanziell zu unterstützen.

    Doch diese "fetten Jahre" der stetigen Mehreinnahmen sind für die Kirchen längst vorbei. Wenn der Staat unter geringeren Einkommen leidet, bekommen natürlich in diesem System auch die Kirchen weniger überwiesen. Dazu kommen die Kirchenaustritte. Seit Mitte der 90er Jahre gehen die Einnahmen bei den Katholiken wie bei den Protestanten deutlich zurück.

    Um das zu kompensieren müssen nun auch die Kirchen so agieren, wie ein Unternehmen, das rote Zahlen schreibt. Auf der Tagesordnung stehen Personalentlassungen und Entschlackung der häufig überdimensionierten Verwaltung.

    So zum Beispiel ganz aktuell im katholische Erzbistum Berlin-Brandenburg. Bei einem Jahresetat von 154 Millionen Euro beläuft sich die Verschuldung des Bistums, wie erst vor einigen Wochen bekannt wurde, mittlerweile auf 75 Millionen Euro. Bereits in den letzten Monaten hatte die Leitung des Bistums versucht Kosten zu sparen, indem man die insgesamt 2.800 Mitarbeiter, die wie überall in der Kirche analog des Bundesangestelltentarifs bezahlt werden, gebeten hatte auf ihr Weihnachtsgeld zu verzichten. Das aber wurde abgelehnt, so der Pressesprecher des Bistums Andreas Herzig.

    Da hat es eine Diskussion gegeben, man hat gesagt wie ist es mit dem Weihnachtsgeld. Können wir da meinetwegen für ein Jahr mal drauf verzichten und da ist die Diskussion paritätisch- die einen haben abgelehnt, die anderen zugestimmt - ausgegangen und eine dreiviertel Mehrheit ist nicht zustande gekommen, so dass dann jetzt das Weihnachtsgeld automatisch weiter gezahlt wird.

    Anders als sonst in der Wirtschaft oder öffentlichen Verwaltung spricht man in der katholischen Kirche nicht von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Statt dessen sitzen sich in der sogenannten "Koordinierungsgruppe" zu jeweils gleichen teilen Dienstgeber und Dienstnehmer, wie das im Kirchenjargon heißt, gegenüber. Aber nur, wenn in der Koordinierungsgruppe eine ¾ Mehrheit zustimmt, ist eine Entscheidung möglich. Und das war hier bisher nicht der Fall. Trotz aller Defizite – auf ihr Weihnachtsgeld verzichten wollten die Berliner Dienstnehmer dann doch nicht.

    Man engagierte eine Unternehmensberatung. In diesem Fall den Marktführer der professionellen Optimierer, die Unternehmensberatung McKinsey. Seit Mitte Oktober durchforstet "Die Firma", wie McKinsey von den eigenen Mitarbeitern gerne genannt wird, sämtliche Arbeitsbereiche des Bistums und am Ende, so hofft Pressesprecher Andreas Herzig, führe das ja vielleicht zu mehr Solidarität der Mitarbeiter.

    Vielleicht ist das auch ein Weg, wenn dann nach dem Beratungsprozess es vielleicht heißt wir müssen so und so viele Mitarbeiter entlassen, dass dann dieses Modell währenddessen auch schon mit wächst.

    Mit anderen Worten – wenn man mit Hilfe von McKinsey nachweist, wo genau auf Personal verzichtet werden kann, werden die Mitarbeiter vermutlich eher dazu bereit sein auch auf Weihnachtsgeld oder anderes zu verzichten.

    Was im Erzbistum Berlin gerade erst begonnen hat, haben andere Bistümer und auch einige evangelische Landeskirchen schon hinter sich. Schon vor Jahren war McKinsey für die evangelische Kirche in München tätig. Auch die katholischen Bistümer Osnabrück und Essen wurden nach ineffizienten Arbeits- und Parallelstrukturen durchforstet. Und schon vor Monaten verkündete der Vorsitzende der katholischen deutschen Bischofkonferenz, der in Mainz ansässige Kardinal Karl Lehmann, die Ergebnisse, nachdem McKinsey ein Jahr lang Finanzen und Verwaltung auch seines Bistums durchleuchtet hatten. Wenn man so weiterwirtschafte wie bisher, so Kardinal Lehmann, werde innerhalb kürzester Zeit auch in seinem Bistum 1/5 des derzeitigen Etats nicht mehr finanzierbar sein.

    Die voraussichtliche Finanzierungslücke lässt sich auch nicht auf einzelne Einflussfaktoren, etwa Kirchenaustritte zurückführen, sondern hängt von einem relativ breiten Spektrum von Faktoren ab und die könnten bei einem etwa gleichzeitigen wirksam werden in der Summe massiv sich auswirken. Und das könnte dann auch bei den Größenordnungen um die es geht, ich denke hier auch besonders an die Krankenhäuser, an die Altenheime, die Sozialstationen zu nicht leicht vorhersehbaren Belastungen kommen.

    Sogar der Abriss von Kirchen ist für Bischof Lehmann kein Tabu mehr.

    Man muss auch mal überlegen, ob man da oder dort eine Kirche die unheimlich viel Geld kostet möglicherweise auch abreißt. Da sind Dinge, die in Zukunft auch sehr nüchtern angegangen werden müssen.

    Dabei ist das Bistum Mainz vermutlich nur ein symptomatisches Beispiel. Das dichte Netz aus Schulen, Krankenhäusern, Altenheimen, Kindertagesstätten, Beratungsstellen und vielem mehr, das die Kirchen und die ihnen nahestehenden Wohlfahrtsverbände in den letzten Jahrzehnten geknüpft haben, ist so einfach nicht mehr finanzierbar. Walter Romberg, Finanzminister der letzten DDR Regierung unter Lothar deMaizière, der sich seit vielen Jahren in kirchlichen Gremien engagiert, sieht darin jedoch weniger eine Krise der Kirche als eine Chance zur Rückbesinnung.

    Wir haben heute ja eine Situation, wo die Großkirchen sich in einem vor dreißig Jahren unvorstellbaren Ausmaß ausgedehnt haben im Bereich von sozialer Arbeit, diakonischer Arbeit, kultureller Arbeit. Das sind alles ganz sehr wichtige Dinge aber sie haben doch ein Übergewicht gewonnen gegenüber geistlicher theologischer Arbeit.

    Die Kirche, so fordert er, müsse sich auf ihre eigentlichen Aufgaben zurückbesinnen. -

    Der Kostendruck ist also längst auch bei den Kirchen angekommen. Vieles steht auf dem Prüfstand: Soziale Einrichtungen genauso wie die Nutzung und sogar die Vermarktung von Kirchen.

    Die Berliner evangelische Heilig Kreuz Gemeinde mitten im Problembezirk Kreuzberg zeigt exemplarisch wie Kirche in Zukunft an vielen Stellen in Deutschland aussehen kann. Heute hat die Kirche ihren Preis, erklärt Sigrid Künstner, die für das Management zuständig ist.

    Wenn sie ein Konzert machen wollen kostet das im Moment 615 Euro am Tag, da ist eine Generalprobe mit eingeschlossen, da ist eingeschlossen, dass die Stühle gestellt sind, dass es hier sauber ist, dass jemand auch am Abend da ist und die Konzertbegleitung macht. Und wenn Sie die Kirche für ein anderes Event mieten wollen, haben wir so einen Richtpreis von 3100 Euro, was aber auch nach oben oder nach unten gehen kann, je nachdem, wie die Kirche beansprucht wird und wer sie auch nutzt.

    Mitte der 90er Jahre wurde die Kirche völlig umgebaut, um den Anforderungen als moderner Veranstaltungsort zu entsprechen. Klassische und moderne Konzerte finden hier genauso statt wie Firmenfeiern, Preisverleihungen und Empfänge.

    Im Gegensatz zur katholischen Kirche sind einige evangelischen Gemeinden sogar schon dazu über gegangen für den Besuch ihrer Kirche Eintritt zu verlangen. Der Berliner Dom zum Beispiel verlangt mittlerweile über fünf Euro und erwirtschaftet damit etwa ein Drittel der anfallenden Kosten. Für Sylvia von Kekulé, die Pfarrerin der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche, ist das jedoch eine völlig unhaltbare Vorstellung.

    Das kann nicht sein. Die Kirche ist ein Ort der Lobpreisung und der Anbetung und wir in Kaiser Wilhelm Gedächtnis nehmen dafür keinen Eintritt. Wir nehmen in Kauf, dass die Leute, die kommen gar nicht beten, sondern nur gucken. Aber wir halten sie offen, weil wir genau wissen, dass eben doch ganz viele Leute kommen die eben doch beten.

    Doch auch sie muss wirtschaftlich denken. 1997 hätte die Gemeinde eigentlich Konkurs anmelden müssen. Als dann der Glockenturm der Kirche, immerhin eines der wichtigsten Wahrzeichen Westberlins, Risse aufwies, konnte die Gemeinde die Reparatur nur mit Hilfe von Werbung finanzieren.

    Das fing an mit einer Loreal Werbung. Da wurden sechs Gesichter abgebildet unter anderem auch Michael Schumacher, aber durch die Presse gegangen ist Claudia Schiffer.

    Während der Reparatur wurde mit Hilfe einer Werbefirma das Baugerüst zur Plakatwand, erinnert sich Sylvia von Kekulé.

    So etwas eindeutiges wie ein Glockenturm wurde etwas zweideutiges. Er bekam die zweite Bedeutung, er war nicht mehr nur Glockenturm, sondern auch Litfasssäule.

    Wer weiß, vielleicht wird demnächst auch die katholische Kirche das Werbepotential des Kölner Doms entdecken. Marcus Eggers von der Firma ECE, der momentan den Hauptbahnhof gleich nebenan managt, stünde bei Bedarf jedenfalls zur Verfügung.

    Ja, ich meine ganz klar, das ist eine Vision und wir leben von Visionen und wenn vor 15 Jahren mir jemand erzählt hätte, dass wir mal einen Shopping Center in einem Bahnhof oder in einem Flughafen bauen hätte man auch gesagt, das ist doch quatsch. Ein Bahnhof ist zum Bahnfahren da und ein Flughafen, da fliegen die Leute in Urlaub. Und warum soll man nicht, wenn es gewünscht ist von den Betreibern, sag ich mal, jetzt auch nicht den Teil eines Sakralgebäudes vermarkten.