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Was lange währt...

Erinnern Sie sich noch an die satten Neunzigerjahre, als jeder Museumsneubau noch wie ein Tempel der wiedererstandenen deutschen Kulturnation gefeiert wurde? Überall sprossen die Museen, Galerien, Kunstfestivals, Biennalen. Im Jahr 2004 dagegen muss sich eine Stadt wie Leipzig dafür rechtfertigen, 32 Millionen Euro aus eigener Tasche für einen in der Tat beeindruckenden Museumsneubau berappt und die gleiche Summe auch dem Bund und dem Land Sachsen "aus dem Etat geleiert" zu haben. Nach der Lektüre einschlägiger Spiegel-Artikel über die Verschwendung "westdeutscher Transferleistungen" in Ostdeutschland scheint fast schon ein Skandal in der Luft liegen. Leipzigs Kulturbeigeordneter Gerhard Girardet sieht sich in Verteidigungshaltung:

Von Carsten Probst |
    Ich denke, die Stadt kann es und muss es sich leisten, denn die Kultur ist ein ganz enorm wichtiger Faktor auch für die Stadtentwicklung insgesamt. Wir haben hervorragende Sammlungen, die aber bisher eben nicht angemessen präsentiert werden konnten, weil die Kriegsschäden einfach nicht überwunden waren. Hier kommt noch hinzu, dass durch die schlechte Präsentation der Sammlung, der bedeutenden Sammlung bisher in den letzten fünfzig, sechzig Jahren, diese Sammlung weitgehend in Vergessenheit geraten ist und jetzt wieder neu entdeckt wird, so dass wir diesen Doppeleffekt haben: neue Architektur und Wiederentdeckung einer bedeutenden Sammlung, die sich mit Hamburg, Frankfurt, vergleichen lassen kann, das wird, glaub ich sehr viel Aufmerksamkeit auf die Stadt lenken, und davon wird die Stadt auch sehr profitieren.

    Hamburg, Frankfurt: In der Mainmetropole gönnte man sich noch einen Hans Hollein, in der Hansestadt einen Oswald Matthias Ungers, um die musealen Repräsentationspunkte zu setzen. In Leipzig verzichtet man auf Starrummel bei den Architekten. Ohnehin ist dieses Haus nicht mit den Renommierbauten in Westdeutschland zu vergleichen: Man brauchte nach den Provisorien seit dem zweiten Weltkrieg schlichtweg ein neues Gebäude, das über die Zeiten hinaus seine Funktionen erfüllen wird. Und das scheint in der Tat gelungen zu sein. Jeder Beteiligte in Leipzig wusste, dass es ein immenses haushaltspolitisches Wagnis bedeutet, in heutigen Zeiten Weitsicht in Sachen Kultur walten zu lassen.

    Natürlich ist es jetzt so, dass dieses Haus ans internationale Netz, Museumsnetz geht zu einer Zeit, wo die Wirtschaftsdaten, gerade auch die Kommunaldaten, dem gänzlich entgegenstehen. Aber was ich natürlich großartig finde, dass man nicht vor zwei, drei Jahren gesagt hat, wir machen Baustopp oder kürzen es um eine Etage, dass man nicht dann zu so kurzfristigen Feuerwehraktionen geneigt war...

    ...bekennt Hans-Werner Schmidt, seit vier Jahren Direktor des Museums für bildende Künste. In seinen Innenräumen, so scheint es, nimmt das Haus jedenfalls die Herausforderung "Zukunft" an. Die Sammlungsräume kommen im klassischen Stil der Gemäldegalerien daher, jedoch immer wieder durchbrochen von einer durchaus bodenständigen Architektur, die den offenen Raum betont, die Platz lässt für Ergänzungen und Neuerungen der Sammlung, ohne dem gediegenen Gesamtcharakter des Hauses damit Zwang antun zu müssen. Hier gelingt ein Spagat, der Klassizismus und Moderne in Zeitlosigkeit vereint und immer noch offen bleibt für Zukünftiges. Ein Haus wie geschaffen für Kontroversen, und so scheint auch Direktor Hans-Werner Schmidt die künftige Rolle des Museums zu verstehen:

    Das heißt, die gewachsene Sammlung, diese historische Sammlung in ihren Facetten deutlich nach außen zu tragen, allerdings deutlich zu machen, wir haben ja dieses Haus jetzt 2004 eingerichtet, dass eine museale Präsentation von einer althergebrachten Sammlung nicht Stadien rekonstruiert, wie sie vielleicht 1880 oder vielleicht 1955 zu sehen war. Natürlich haben wir auch durch die architektonische Vorgabe eine gewisse Chronologie beibehalten, aber man darf ja Geschichte, historischen Ablauf nicht so sehen wie einen vertikalen Schubladenschrank, eine Schublade zu und dann machen wir die nächste auf. Es gibt überall fließende Übergänge, auch asynchrone historische Einsprengsel, ohne dass ich jetzt hier zur Enthistorisierung beitragen will..

    Einen ersten Versuch in diese Richtung unternimmt Schmidt in der Anfangspräsentation, indem er klassische Sammlungsteile immer wieder mit Beiträgen junger Künstler konfrontiert, zum Beispiel eine Gebirgsinstallation von Stephan Huber von 2001 im Trakt der französischen Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts. Kernbestand der Sammlung ist und bleibt bei aller Freude an inszenierten Gegensätzen allerdings die Sammlung Speck von Sternburg mit über zweihundert Werken von Rogier van der Weyden bis Caspar David Friedrich. Der Beckmann- und der Klinger-Saal sind zwei weitere, groß inszenierte Hauptelemente. Zwei Hauptvertreter des derzeitigen Malerei-Mainstreams, Neo Rauch und Daniel Richter, stehen für die Öffnung zur Gegenwart, die bis auf weiteres freilich eher verhalten ausfallen wird oder muss. Denn nicht einmal der Ankaufsetat von sage und schreibe 75.000 Euro pro Jahr wird derzeit von der Stadt freigegeben. Man muss also wieder sparen. Was den Museumsmann Schmidt nun doch zu grundsätzlichen Überlegungen veranlasst:

    Das ist kein Leipziger Phänomen, und ich finde das wird auf die nächsten Jahre dramatisch, wenn man eben in Bausubstanz, in Häuser investiert, die durch ihre Dimension, Beschaffenheit automatisch auch enorme Betriebskosten verursachen, dann heißt es irgendwann statt dieser musealen Trias "Sammeln, Bewahren und Erforschen" heißt es dann nur noch "Wasser, Strom, Heizung", ja?