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Was leisten Ersatzmethoden?

In den letzten 15 Jahren hat sich die Zahl der Tierversuche halbiert, weil Genehmigungen zunehmend versagt werden und gesetzliche Bestimmungen geändert wurden. Für die Grundlagen- und Arzneimittelforschung sowie für die Bewertung des Umwelt- und Gesundheitsrisikos von Stoffen wird nach wie am Tier getestet - wie per Gesetz vorgeschrieben. Die Rede ist von rund 2,3 Millionen Versuchen. Ein guter Grund, nach Alternativen zu suchen.

Von Anke Petermann |
    Jedes Jahr bleibt das Umweltministerium von Rheinland-Pfalz auf Zehntausenden von Euro sitzen, die bereit stehen, um Ersatzmethoden zu erforschen. Dass Fördermittel nicht abgerufen werden, wertet Ursula Sauer von der Akademie für Tierschutz als Zeichen dafür, dass das Umdenken noch gar nicht begonnen hat. Dabei sei das unausgeschöpfte Potenzial an Alternativverfahren in Grundlagen- und angewandter Forschung groß, Tierversuche hätten sich oft als zu unempfindlich oder zu variabel erwiesen:

    "Wir sehen zum Beispiel gerade bei der Augenreizung, dass - wenn Sie Substanzen in Kaninchen hinein bringen: dieselbe Substanz kann beim einen Kaninchen das Auge zerstören, das andere Kaninchen reagiert überhaupt nicht. Je nachdem welches Kaninchen Sie jetzt genommen haben, glauben Sie nun, die Substanz ist Augen reizend oder nicht. Die Zellkulturverfahren, die menschliche Zellen verwenden, sind viel besser geeignet, uns eine Aussage zu geben, weil nämlich das Auge des Kaninchens ganz anders aufgebaut ist als das des Menschen."

    Professor Ulrich Förstermann vom Institut für Pharmakologie der Uni Mainz:

    "Wir haben keine Barrieren im Kopf, wir haben selbst dazu beigetragen, dass viele Tierversuche durch In-vitro-Methoden, also Verfahren im Reagenzglas ersetzt werden."

    Doch wenn die Wirkung eines neuen Arzneimittels auf den Gesamt-Organismus untersucht werden müsse, seien Tierversuche unersetzlich:

    "Beispiel: Wirkung eines Pharmakons auf das Gesamt-Hirn. Sie können viele isolierte Organ- und Zellversuche machen und viel über das Pharmakon lernen. Aber irgendwann kommt es zum Schwur, wo Sie sagen müssen, wie wirkt das Pharmakon auf den Gesamt-Organismus, wie wirkt es auf das Gesamt-Hirn. Und das Gesamt-Hirn können sie in vitro nicht nachmachen, da brauchen Sie den Tierversuch."

    Rund 30 Millionen Euro bekommt die Mainzer Universität von Bund und Land, um ein neues Tierversuchslabor zu bauen. Tierversuchsgegner halten den Neubau bis 2008 für eine Fehlinvestition und fordern einen Lehrstuhl, an dem Alternativmethoden erforscht und Studierende auf die tierversuchsfreie Forschung von morgen vorbereitet werden. Martin Kayser, bei der BASF AG zuständig für Produktsicherheit, glaubt an diese Zukunft nicht, obwohl der Chemiekonzern Versuche an Fischen zur akuten Giftigkeit durch den Fischei-Test, Versuche zur Hautätzung an Kaninchen durch Tests an rekonstruierter menschlicher Haut ersetzt hat. Ob eine Substanz die Augen reizt, wird am Hühnerei getestet.

    "Das sind trotz der Anstrengungen der letzten Jahre nur wenige Methoden, die heute verfügbar sind, validiert sind und vor allem von den Behörden anerkannt sind. Es gibt mehr Methoden, die wir intern einsetzen, um Substanzen für interne Zwecke auszusortieren, die dann nicht mehr weiter entwickelt werden. Aber das sind Methoden, die von den Behörden für regulatorische Zwecke nicht anerkannt werden."

    Wie die Experten die Auswirkungen der neuen Chemikalienrichtlinie REACH auf Tierversuche beurteilen, hängt sehr davon ab, ob sie den geplanten Umfang und die Kriterien dieser umfassenden Risikobewertung gutheißen oder nicht.

    Martin Kayser von der BASF AG sieht eher die Risiken von REACH. Die Frage sei,

    "ob all diese Studien, die dort gefordert werden, wirklich notwendig sind, das heißt: Bekommen wir damit einen Erkenntnisgewinn? Wir bezweifeln das sehr stark. REACH wird zu sehr viel mehr Tierversuchen führen. Wir halten diese Tierversuche, jedenfalls viele davon, nicht für notwendig."

    Ursula Sauer von der Tierschutzakademie sieht eher die Chancen von REACH:

    "REACH ist ohne Tierversuche möglich. Im Gegenteil: Wenn wir wirklich Umwelt und Verbraucher schützen, dann werden wir REACH als Chance nutzen, unser Sicherheitsprüfsystem weg vom Tierversuch hin zu Alternativmethoden zu bewegen, und wir werden uns weiter dafür einsetzen, weil wir wissenschaftlich ausgearbeitete Strategien vorgelegt haben, wie REACH ganz ohne Tierversuche verwirklicht werden kann, und dafür setzen wir uns ein."