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Was machen wir jetzt?

"Ich bin im Begriff, meine Familie zu verlieren. Meine Ehe ist auf dem Hund. Und meine Tochter Franka hat sich in einen Kerl verknallt, der sie nach Indien entführen will."

Brigitte Neumann | 05.01.2000
    Fred Kaufmann, Hauptfigur aus Doris Dörries neuem Roman "Was machen wir jetzt?" zieht Bilanz. Nüchtern und ehrlich. Aber aufhalten kann er die Katastrophe nicht. Irgendwie ist er da reingeraten und sieht sie jetzt täglich näherrücken.

    Als er jung war, wollte Fred Filme machen. Dann hat er Claudia mit dem asiatischen Imbiss kennengelernt. Und heute - so mit 40 - ist das Ehepaar Kaufmann Eigentümer einer Bagel-Im-biss-Kette. Arbeiten müssen sie nicht mehr. Sie gehen auf Prada Schuhen durchs Leben, jeder hat so seine Verhältnisse. Und die Tochter pierct sich die Augenbrauen und wird immer unausstehlicher.

    Getreu ihrem Motto "Beschreiben was ist" zeigt Doris Dörrie auch in ihrem ersten Roman die typischen Sinnkrisen im Leben des satten, liberalen, dynamischen deutschen Mittelstand. Wie immer in ihren Büchern oder Filmen denunziert sie keine ihrer Figuren. Getreu der Weisheit: Wer frei von Lebenslügen ist, werfe den ersten Stein.

    Aber dennoch gibts in diesem Buch etwas, was es vorher bei der Dörrie noch nicht gab. Sie zeigt uns eine Antwort, eine Lösung unserer Probleme, sie zeigt uns: es gibt eine Rettung aus diesem ganzen Wohlstandselend. Der Buddhismus hat, meint sie, ein paar einfache aber geniale Lösungen parat. Zum Beispiel:

    "Sich reduzieren auf das Kleinstmögliche und anhalten und gar nichts machen. Also im Unterschied zu "Was machen wir jetzt? ...einfach gar nichts machen. Und gucken: Was ist denn da, wenn man gar nichts macht. Und es ist doch sehr sehr viel.

    Und dann redet sie über das Wunder der Atmung. Währenddessen bestürmen verschiedene Eindrücke das Gehirn der Reporterin. Darunter vor allem die Frage: Trägt Doris Dörrie dieses rote knöchellange Wollkostüm als Tribut an den Buddhismus? Ist sie praktizierende Buddhistin?

    Buddhisten mögen keine Klassifizierungen und keine Konzepte. Alles was mit MUss aufhört, also auch Buddhismus, muß man nicht als Buddhist. Man kann es machen. Und der ders macht, ist es dann vielleicht auch. Aber es geht wirklich nur darum es zu machen. Just do it!

    Wenn man über das neue Buch von Doris Dörrie redet, muß man über Religion reden. Über das tiefe Loch, daß offenbar durch das Verschwinden Gottes gerissen wurde. Der ja samt eines ganzen Wertesystems abhanden kam. Man muß über die seltsamen Bastelarbeiten reden, die überall zu beobachten sind: Die Bürger europäischer Wohl-standsgesellschaften puzzeln sich ihre neuen Altäre, bestehend aus einer Prise Vodoo, bißchen Buddhismus und ein wenig christlicher Tradition.

    TrendScouts sagen voraus, daß in Zukunft mit dem Design individuell zugeschnittener Religionen eine Menge Geld zu machen sein wird. Osho, Poona, der Dalai Lama - das war alles nur der Anfang einer großen Kommerzialisierung der Relgion. Doris Dörrie sieht diese Entwicklung sehr gelassen:

    "Ich war jetzt wirklich länger im Kloster und ich hör dann immer den Abt lachen oder glucksen: Ja, das wird alles kommen. Das wird auch alles passieren. Aber es ist so leicht, kein Geld auszugeben und eben gar nichts zu machen, wenn man das ganz simple in der Gegenwart ankommen und sich achtsam mit den Dingen auseinandersetzen macht, dann hat man eigentlich schon alles."

    Doris Dörrie hatte in ihrem Letzten Buch "Samsara" gezeigt daß die Auswüchse der Esoterik manchmal schon sehr komisch sind, aber daß die Leute so eine Sehnsucht haben, eine Sehnsucht nach Erlösung, die man einfach ernst nehmen muß.

    "Was machen wir jetzt" ist nicht wie Dörries letzte Bücher oder Filme eine Geschichte um die Suche nach dem Sinn des Lebens. Was machen wir jetzt? ist eine therapeutische Geschichte, die Geschichte der Errettung aus einer Art ele-mentarer Hilflosigkeit. Eine Geschichte über Menschen, denen es an nichts fehlt und die trotzdem nicht mehr wissen, wie sie noch leben sollen. Menschen, die den Buddhismus als Ausweg begreifen. Wie kam Doris Dörrie zum Buddhismus?

    "Ich habe das gemacht, um nicht vor Angst aus dem Fenster zu springen, als mein Mann krank wurde. Der ist erkrankt 1993 und drei Jahre später gestorben. Und für mich selbst."

    In "Was machen wir jetzt? geht es nicht um Leben und Tod. In "Was machen wir jetzt?" geht es um Langeweile und taube Gefühle. Um Entfremdung vom Leben. Und Doris Dörries Behauptung, es gäbe ein Rezept gegen Unglücklichsein. Ihren Studenten an der Münchner Filmhochschule bringt die 43-jährige bei, daß sich Filmemacher am besten wie Schamanen fühlen sollten, als Heilsbringer.

    Als Fred Kaufmann am Schluß des Buchs gelernt hat, seinen Atem zu ehren und in der Gegenwart zu leben, als sogar nach der ganzen buddhistischen Einkehr die Ehe wieder in Ordnung gekommen ist, weiß der Leser eins ganz sicher: Die Autorin hat es nicht beim Bluse aufknöpfen und Herz zeigen gelassen.

    Man fühlt sich, als hätte man - ohne es zu wollen - einen Lebenshilfe-Ratgeber gelesen. Amüsant und unterhaltend geschrieben, aber knochenhart und öde in seiner Behauptung, zu wissen, wie man ein besserer Mensch wird.