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Was macht eigentlich Reiner Kunze?

Wenn man den Namen Reiner Kunze erwähnt, dann gibt es noch heute nicht wenige Intellektuelle, die die Nase rümpfen. Reiner Kunze, der DDR-Dissident, war und ist ihnen verdächtig. Als er 1977 aus der DDR in den Westen kam, da dauerte es nicht lange, und Kunze gewann Freunde im Kreis und Umkreis der CSU, weshalb man auf Seiten der Linken schnell auf Distanz ging. Überhaupt waren die Ausgereisten eher suspekt, im Verband deutscher Schriftsteller oder im PEN mochte man sie nicht allzu sehr. Irgendwie hing ihnen das Odium des Verrats an. Die DKP-nahen Kulturfunktionäre und solche, die in ihrem Dunstkreis standen, sorgten für Isolation.

Von Lerke von Saalfeld |
    Als bekannt wurde, dass ich an die Reformierbarkeit dieses sozialistischen Systems nicht glaubte, dass Ich diesen Glauben längst verloren hatte, lichteten sich die Reihen unserer Freunde hier sehr schnell. Für die einen wurde ich über Nacht zum Gegner, den es literarisch, politisch und menschlich zu diskreditieren galt; und manche andere zogen sich zurück, weil sie wohl meinten., selbst diskreditiert werden zu können – Redakteure, Kritiker, Kollegen. Und so stand ich hier ziemlich schnell wieder ziemlich allein da, und das ist geblieben bis heute.

    Reiner Kunze wollte sich nicht vorschreiben lassen, was er zu denken habe. Von offizieller Seite jedoch wurde keiner der Ausgereisten und Geflohenen so geehrt wie er. Nach Bayern ging Kunze deshalb, weil er noch zu DDR-Zeiten zum Mitglied der bayrischen Akademie der schönen Künste berufen wurde. Noch im Jahr seiner Ausreise erhielt er den begehrten Georg-Büchner-Preis. Im selben Jahr 1977 wurde er mit dem Georg-Trakl- und dem Andreas-Gryphius-Preis ausgezeichnet. Jedes Jahr folgten weitere Ehrungen, kleines und großes Bundesverdienstkreuz, Geschwister-Scholl-Preis, Friedrich-Hölderlin-Preis und viele andere Orden mehr. Reiner Kunze gefiel vor allem der politischen Rechten, weil er politisch in ein bestimmtes Raster zu passen schien. In Zeiten der scharfen Konfrontation mit der DDR, galt er als der wackere Kämpfer für Freiheit und Frieden. Wie es ihm wirklich erging, interessierte nicht:

    Wir haben nie daran gedacht, die DDR, zu verlassen, nie, und zwar nicht, weil wir uns dort politisch zu Hause fühlten, sondern wir gehörten dorthin, wir lebten dort. Aber dann gab es gezielte Indiskretionen seitens des Politbüros der SED, es ging über Botschaften, wo uns mitgeteilt wurde, dass es zwei Gruppen im Politbüro gab, die eine Gruppe wollte einen Prozess anstrengen, und unser wurden auch schon die vorher festgelegten Urteile mitgeteilt. Da gab es zwei Aussagen: 8 Jahre und zwölf Jahre, um andere abzuschrecken. Das war die eine Gruppe, und die andere Gruppe, und zu der gehörte Honecker, wollte diesen Prozess nicht. Deshalb bekamen wir den Hinweis, wenn wir zu einem bestimmten Zeitpunkt dort und dort das Gesuch einreichen, dann würde das innerhalb kürzester Zeit genehmigt. Ich bin kein Märtyrer, ich bin auch kein Held – und so ist es gekommen dann.

    Die Ironie der Geschichte wollte es, dass diejenigen, die damals Reiner Kunze als DDR-Opposition hochleben ließen und sich mit ihm schmückten - wie Franz-Josef Strauß - hinten herum auf höchster Ebene mit der DDR verhandelten und Kredite zum Erhalt des SED-Machtapparats vermittelten. Verkehrte Welt. Reiner Kunze geriet zwischen diese Mühlsteine. Seine lyrische Aufforderung: "Treten Sie ein, legen Sie Ihre Traurigkeit ab, hier dürfen Sie schweigen" – war in Ost und West irgendwie unzeitgemäß. Deshalb wurde es denn auch still um Reiner Kunze, auch wenn sich jetzt zu seinem 70.Geburtstag alle wieder lebhaft erinnern werden. In einem Gedicht auf die Mauer spiegelt sich sein derzeitiger Gemütszustand:

    Als wir sie schleiften, ahnten wir nicht, Wie hoch sie ist in uns. Wir hatten uns gewöhnt an ihren Horizont Und an die Windstille. In ihrem Schatten warfen alle keinen Schatten. Nun stehen wir entblößt jeder Entschuldigung.

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