Da steht er. Hochgewachsen, breitschultrig. Das Kinn kantig, die Haut wettergegerbt, die Augen in die Ferne gerichtet. Wortkarg. Einsam. Und im Herzen eine Sehnsucht.
"Also der Abenteurer, der Held, der Krieger, das sind immer Männer, die ausziehen und sich Gefahren aussetzen. Und das impliziert, dass Krisen gelöst werden müssen."
Früher war alles ganz einfach. Männer und Frauen stellten zwei entgegengesetzte, sich ergänzende Pole dar. Der eine herrschte – die andere ordnete sich unter.
"Sie könnten weiterhin argumentieren, dass Männer sich immer erst über Mutproben, Initiationsriten sich den Status der Männlichkeit erwerben müssen, das impliziert auch wieder Krise."
Der Mann – das war der Held, der pater familias, das rationale Alphatier. Und heute? Jungs sind die Bildungsverlierer. Sie sind aggressiver als Mädchen. Neigen mehr zu Alkoholismus und Drogensucht. Sind echt arme Kerle! Der Mann, analysiert Professor Stefan Horlacher, Anglist an der Universität Dresden - ein Krisenwesen!
"Sie könnten weiterhin psychoanalytisch argumentieren, dass das männliche Kind in einem weiblichen Körper geboren wird, das dann eine Entidentifizierung von der Mutter erfolgen muss und eine Identifizierung mit dem Vater, der dann aber häufig abwesend ist."
Masculinity Studies, Männerstudien, entstanden vor circa 20 Jahren in den USA. Sie wollten aufräumen mit dem Klischee vom starken Mann. In Deutschland gibt es diesen Forschungszweig seit circa zehn Jahren, sozusagen als Parallelunternehmen zur Frauenforschung, wie sie sich seit dem Feminismus der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts entwickelt hat.
"Im Prinzip geht es um Erforschung männlicher Identität. Was können verschiedene Wissenschaften über Männlichkeit sagen? Der Hintergrund ist, dass ein extremes Wissen über Weiblichkeit existiert. Dann ist auffällig, dass Sie über Männlichkeit relativ wenig wissen."
Es gab zu verschiedenen Zeiten verschiedene Männerbilder, so der australische Soziologe Robert Conell. Doch ob Cowboy, Soldat, Familienoberhaupt oder global agierender Manager – sie alle verkörpern eine, so Conell, "hegemoniale Männlichkeit", die, selbst kraft- und machtvoll, Frauen und andere, 'niedrigere' Männer ausschließt. Und die "masculinity studies" stellen gerade diese patriarchale Männlichkeit infrage. Stefan Horlacher etwa macht sich auf die Suche nach Männerbildern in der Literatur, die abweichen vom Klischee des starken Mannes:
"Ein Beispiel, das ist ein Roman von Thomas Hardy Ende 19. Jahrhunderts, wo Sie in der Literatur einen richtig schwachen Mann finden, der an einer emanzipierten, aber in sich gespaltenen Frau scheitert. Oder bei das heißt Lawrence in den ersten 20 Jahren des 20. Jahrhunderts, wie der verzweifelt versucht eine phallische Männlichkeit zu konstruieren, und die Romane diese Konstruktion wieder zurücknehmen können."
Schnell stellt sich dann aber die Frage: Ist der schwache Mann, wie er zum Beispiel in der Literatur zu finden ist, lediglich eine Abweichung von der Norm? Oder können wir uns eine Gesellschaft denken, in der schwache Männer durchaus eine Art gesellschaftliches Vorbild wären? Anders gefragt: sind Männlichkeit und Weiblichkeit vor allem kulturell-sozial geformt? Oder sind ihrer Veränderbarkeit – qua Natur – Grenzen gesetzt? Geschlecht ist Kultur, sagen die meisten Kulturwissenschaftler! Was männlich ist und was weiblich, verändert sich im Lauf der Zeit.
"Wenn Sie sich anschauen, Diskurs über Männlichkeit und Weiblichkeit im ausgehenden 19 Jahrhundert. Sie haben die seperate spheres theory, das heißt, der Mann ist kulturschöpfend, die Frau bleibt zu Haus, kümmert sich um die Kinder. Begründet wird das dadurch, dass der Frau von der Natur vorgegeben ist, dass ihre eigentliche Bestimmung im Unterleib liegt und nicht im Gehirn: das ist für 20, 30.40 Jahre state of the art medical knowledge. Wenn Sie das heute lesen, das können Sie nicht ernst nehmen."
Allerdings werden Bücher über die biologische Prägung männlicher und weiblicher Verhaltensweisen zu Bestsellern. Da wird dann evolutionsbiologisch erklärt, warum Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können und dass wir uns eigentlich nur durch unsere Kleidung vom Nacktaffen aus dem Neandertal unterscheiden. Der Biopsychologe Professor Onur Güntürkün von der Universität Bochum hält solche Theorien für unseriös. Dennoch meint auch er, in Experimenten mit Primaten Indizien für typisch männliches und weibliches Verhalten zu finden.
"Sehr schöne Untersuchungen gibt es mit Primaten, zum Beispiel mit grünen Meerkatzen, denen man menschliches Spielzeug gegeben hat. Bei diesen Tieren ist es so, dass die Mädchen sehr gern mit Puppen spielen und sehr viel Zeit damit verbringen. Sogar mit Kochtöpfen spielen die Mädchen sehr gern, die tun ganz viel Zeug in die Kochtöpfe rein, tragen es herum und leeren dann wieder aus. Dafür sind die Jungs ganz begeistert vom Spielen mit Autos und Bällen. Und dann entfernen sich diese Gegenstände. Und ein anderer Junge schnappt sich das und dann gibt's Gerangel um das Auto, um den Ball."
Auch der Männerforscher Professor Lothar Böhnisch von der Universität Bozen schließt nicht aus, dass männer- und natürlich auch frauenspezifische Körpererfahrungen das Verhalten der Geschlechter prägen. Er spricht von einer "anthropologischen Resistenz". Anders gesagt: Nicht alles ist nur anerzogen.
"Also nehmen Sie einfach, dass im Alter von zehn Jahren ungefähr in unserem Kulturkreis die Jungen ein gutes Jahr später geschlechtsreif werden als die Mädchen. Das ist ja ein biologischer Vorgang, der natürlich sozial gedeutet wird und soziale Probleme aufwirft, nämlich zum Beispiel Minderwertigkeitsgefühle bei Jungs, wenn die Mädchen sich älteren Jungs zuwenden. Ähnlich, wenn im Alter von drei, vier Jungen sich auf der Suche nach Geschlechteridentität ein Stück von der Mutter lösen müssen und nach männlichen Identitätsbildern suchen."
Aufgrund seiner biologischen Voraussetzungen tappe der Junge auf dem Weg zum Erwachsenwerden stets wieder in "Bewältigungsfallen", wie Böhnisch es nennt. Ja, die Angst vor dem sexuellen Versagen – der Impotenz – führe gar zu einer männlichen "Verlegenheit gegenüber der Frau", während diese aufgrund ihrer prinzipiellen Gebärfähigkeit der Natur näher steht – soll wohl heißen: In sich selbst ruht.
"Was die Gesundheit betrifft, da wird Männern im Durchschnitt die Tendenz attestiert, dass sie körperfern sind. Das hat natürlich auch damit zu tun, wenn Sie sehen in der Pubertät, ein Beispiel, dass die Mädchen sozusagen durch die Menstruation eine ganz andere Beziehung zu ihrem Körper bekommen als die Jungen, wo ihr Penis ihnen nicht gehorcht und sie also von dem Körper wegstreben."
Jenseits der Arbeitswelt stehen dem Mann – anders als der Frau, die sich auch heute noch der Familie zuwenden kann - keine gesellschaftlich anerkannten Rollen zur Verfügung. Er muss sein Selbstwertgefühl vor allem aus seiner Berufstätigkeit ziehen. Und auch wenn der heutige "digitale" Kapitalismus nicht länger starre und rigide Geschlechterrollen erfordere, so Lothar Böhnisch, stelle auch er Ansprüche, die von Männern einfacher bewältigt werden könnten.
"Da ist, wenn wir wieder zu Männer- und Frauenstudien kommen, eine neue Entwicklung. Es wird ja zum Teil davon gesprochen, dass sich ein globalisierter Männertypus heraus formt, nämlich der flottierende, von sozialen Bindungen sich unabhängig machende Managertyp, der wieder überwiegend männlich ist, weil er leichter über Bindungen hinwegspringen kann als eine familiengebundene Frau. Ein Männlichkeitstyp, der sehr wachstumsorientiert, sehr externalisiert, nach außen gerichtete soziale Bindungen überspringen wollend, heranreift."
Karrierefrauen sind aber in der Regel gar nicht familiengebunden. Warum sollen sie keine Global Player werden? Ist der Kapitalismus wirklich 'männlich'? Dr. Christoph Kucklick, Verfasser des Buchs "Das unmoralische Geschlecht. Zur Geburt der negativen Andrologie" hält nichts von solchen Zuschreibungen, auch wenn sie uns allen vertraut erscheinen.
"Ich fand einen Artikel in der Süddeutschen, da wurde gesagt, die Wirtschaftskrise ist vor allem eine Krise der Männer und dann in Klammern: Im Ernst, wäre Frauen so was auch passiert? Ne wundervolle Frage, aber die Antwort kann nur sein, na klar, warum denn nicht? Wie gehen wir denn davon aus, dass wir so komplexe Vorgänge wie die Wirtschaftskrise, die mit institutionellen Regeln in der Eurokrise, mit Finanzmarkttransaktionen zu tun haben, dass wir das auf dieses sehr simple Schema von Geschlechtern abbilden? Das ist natürlich eine Illusion."
Nicht erst seit der Frauenbewegung des letzten Jahrhunderts, meint Christoph Kucklick, werden Männer für die Übel der Welt verantwortlich gemacht. Schon im 18. Jahrhundert begann man, Mann und Frau nicht länger als Teil einer göttlichen Ordnung zu verstehen, sondern als Resultat der Natur. Und das Männliche war eben – von Natur aus – problematisch.
"Damals haben die sogenannten bürgerlichen Meisterdenker, wie sie im Feminismus gern bezeichnet werden, einen durchgängigen Diskurs entworfen von einer problematischen, gefährlichen, unverantwortlichen Männlichkeit. Dass die Natur von Männlichkeit als grundsätzlich egoistisch, verantwortungslos, gefühlskalt, kommunikationsarm, egoistisch, sexuell extrem triebhaft, dass sie so vorgestellt worden ist, das gab es in der Vormoderne nicht."
Den Frauen war dann zugedacht, diese "defekte" männliche Natur sozusagen zu domestizieren, zu zivilisieren.
"Die Ehe war das Hauptinstitut zur Zivilisierung von Männern. Frauen waren schon immer positiv bestimmt, auf Liebe, bei Fichte heißt es zum Beispiel nur die Frau kann lieben, der Mann kann nicht lieben, er ist liebesunfähig."
Weder will Christoph Kucklick damit allerdings sagen, dass Frauen nicht unterdrückt wurden. Noch bestreitet er das Recht der Frauenbewegung, sich dagegen zu wehren. Nur hat die Unterdrückung für ihn andere Ursprünge.
"Die Frauen waren zwar positiv bestimmt, sehr idealistisch, aber gerade deswegen wurden sie aus ganz bestimmten Bereichen ausgeschlossen, Politik, Wirtschaft, denn man nahm an, dass sie dadurch infiziert werden und das Positive, das sie beinhalten, konnte sich lieber im kleinen Kreis der Familie auswirken. Insofern ja, idealisiert, aber mit sehr drastischen Konsequenzen, die dann im Feminismus aufgearbeitet wurden, sehr zu Recht."
Die kritischen Männerstudien, meint Christoph Kucklick, verlängern deshalb im Wesentlichen den "Diskurs", der seit zweihundert Jahren über die Geschlechter gehalten wird. Und er würde diesen Diskurs am liebsten verlassen. Er würde lieber konkrete Probleme beschreiben, ohne diese mit dem Etikett "männlich" oder "weiblich" zu versehen.
"Wir könnten uns viele Probleme ersparen, wenn wir nicht die Verallgemeinerungen von Geschlecht versuchen, auf allzu viele Dinge aufzupfropfen. Viel mehr gucken, wie gestalten wir die Welt so, dass jeweils bestimmte Gruppen Vor- oder Nachteile haben seien's Frauen oder Männer. Aber wir sollten aufhören zu glauben, dass wir mit einem übergeordneten verallgemeinerten Begriff von Mann oder Frau, sollen die einen nun von Mars oder Venus stammen, einparken können oder nicht, ich glaube, damit kommen wir überhaupt nicht weiter."
Da ist der Biopsychologe Onur Güntürkün allerdings – etwas – anderer Meinung. Experimente mit Menschen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen, ergaben, dass sich mit ihrem Hormonspiegel zugleich ihr räumliches Orientierungsvermögen veränderte. Selbst menstruierende Frauen, so Professor Güntürkün, haben aufgrund ihres niedrigen Östrogenspiegels ein anderes Raumverhältnis als Frauen in der Mitte ihres Zyklus. Dass Frauen nicht einparken können, stimmt also nicht ganz: Menstruierende Frauen lenken das Auto noch in die kleinste Parklücke! Und vielleicht werden Männer mit abnehmendem Testosterongehalt ja auch einfühlsame Frauenversteher?
"Es gibt nur einige wenige Dinge, in denen sich Männer und Frauen sehr deutlich unterscheiden. Das sind bei Männern ein Vorteil von dreidimensionalen Denkprozessen. Und Frauen sind deutlich besser in der Geschwindigkeit des Findens von Worten für eine bestimmte grammatikalische Konstruktion oder ein Wort mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben. Im Bereich des Verhaltens gibt es weitere Unterschiede. Es gibt Hinweise, dass Männer stärker zu physischer Aggression neigen und Frauen zu indirekter Aggression neigen."
Was also macht den Mann zum Mann? Vier Männer gaben gerade vier verschiedene Antworten. Deutlich wird dabei insbesondere: Die alten Rollen sind keine Zwangsjacken mehr, auch wenn es - vielleicht - natürliche Grenzen gibt. Männer und Frauen können sich heute in vielfältiger Weise erfinden. Dies schafft durchaus Unsicherheit. Aber vor allem auch: ein Mehr an Freiheit.
"Die alten Rollen bieten ja eine Sicherheit, Sie können sich damit identifizieren, Sie handeln einfach skriptgemäß. Wohingegen wir in den letzten 20,30 Jahren eine Multiplikation von Männerbildern haben, von Rollen, das heißt, dass das Individuum sich selbstständig Rollen raussuchen kann. In dem Augenblick aber, in dem ich selbstständige Rollen suchen kann, werde ich auch gezwungen, eine Wahl zu treffen; Dinge, die früher selbstverständlich waren, sind es nicht mehr, weil ich überlegen muss, was entspricht mir, welchem Rollenbild möchte ich mich annähern. Und gleichzeitig werden die Rollen ja relativiert, und das gibt ne Identifikationsschwierigkeit."
"Also der Abenteurer, der Held, der Krieger, das sind immer Männer, die ausziehen und sich Gefahren aussetzen. Und das impliziert, dass Krisen gelöst werden müssen."
Früher war alles ganz einfach. Männer und Frauen stellten zwei entgegengesetzte, sich ergänzende Pole dar. Der eine herrschte – die andere ordnete sich unter.
"Sie könnten weiterhin argumentieren, dass Männer sich immer erst über Mutproben, Initiationsriten sich den Status der Männlichkeit erwerben müssen, das impliziert auch wieder Krise."
Der Mann – das war der Held, der pater familias, das rationale Alphatier. Und heute? Jungs sind die Bildungsverlierer. Sie sind aggressiver als Mädchen. Neigen mehr zu Alkoholismus und Drogensucht. Sind echt arme Kerle! Der Mann, analysiert Professor Stefan Horlacher, Anglist an der Universität Dresden - ein Krisenwesen!
"Sie könnten weiterhin psychoanalytisch argumentieren, dass das männliche Kind in einem weiblichen Körper geboren wird, das dann eine Entidentifizierung von der Mutter erfolgen muss und eine Identifizierung mit dem Vater, der dann aber häufig abwesend ist."
Masculinity Studies, Männerstudien, entstanden vor circa 20 Jahren in den USA. Sie wollten aufräumen mit dem Klischee vom starken Mann. In Deutschland gibt es diesen Forschungszweig seit circa zehn Jahren, sozusagen als Parallelunternehmen zur Frauenforschung, wie sie sich seit dem Feminismus der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts entwickelt hat.
"Im Prinzip geht es um Erforschung männlicher Identität. Was können verschiedene Wissenschaften über Männlichkeit sagen? Der Hintergrund ist, dass ein extremes Wissen über Weiblichkeit existiert. Dann ist auffällig, dass Sie über Männlichkeit relativ wenig wissen."
Es gab zu verschiedenen Zeiten verschiedene Männerbilder, so der australische Soziologe Robert Conell. Doch ob Cowboy, Soldat, Familienoberhaupt oder global agierender Manager – sie alle verkörpern eine, so Conell, "hegemoniale Männlichkeit", die, selbst kraft- und machtvoll, Frauen und andere, 'niedrigere' Männer ausschließt. Und die "masculinity studies" stellen gerade diese patriarchale Männlichkeit infrage. Stefan Horlacher etwa macht sich auf die Suche nach Männerbildern in der Literatur, die abweichen vom Klischee des starken Mannes:
"Ein Beispiel, das ist ein Roman von Thomas Hardy Ende 19. Jahrhunderts, wo Sie in der Literatur einen richtig schwachen Mann finden, der an einer emanzipierten, aber in sich gespaltenen Frau scheitert. Oder bei das heißt Lawrence in den ersten 20 Jahren des 20. Jahrhunderts, wie der verzweifelt versucht eine phallische Männlichkeit zu konstruieren, und die Romane diese Konstruktion wieder zurücknehmen können."
Schnell stellt sich dann aber die Frage: Ist der schwache Mann, wie er zum Beispiel in der Literatur zu finden ist, lediglich eine Abweichung von der Norm? Oder können wir uns eine Gesellschaft denken, in der schwache Männer durchaus eine Art gesellschaftliches Vorbild wären? Anders gefragt: sind Männlichkeit und Weiblichkeit vor allem kulturell-sozial geformt? Oder sind ihrer Veränderbarkeit – qua Natur – Grenzen gesetzt? Geschlecht ist Kultur, sagen die meisten Kulturwissenschaftler! Was männlich ist und was weiblich, verändert sich im Lauf der Zeit.
"Wenn Sie sich anschauen, Diskurs über Männlichkeit und Weiblichkeit im ausgehenden 19 Jahrhundert. Sie haben die seperate spheres theory, das heißt, der Mann ist kulturschöpfend, die Frau bleibt zu Haus, kümmert sich um die Kinder. Begründet wird das dadurch, dass der Frau von der Natur vorgegeben ist, dass ihre eigentliche Bestimmung im Unterleib liegt und nicht im Gehirn: das ist für 20, 30.40 Jahre state of the art medical knowledge. Wenn Sie das heute lesen, das können Sie nicht ernst nehmen."
Allerdings werden Bücher über die biologische Prägung männlicher und weiblicher Verhaltensweisen zu Bestsellern. Da wird dann evolutionsbiologisch erklärt, warum Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können und dass wir uns eigentlich nur durch unsere Kleidung vom Nacktaffen aus dem Neandertal unterscheiden. Der Biopsychologe Professor Onur Güntürkün von der Universität Bochum hält solche Theorien für unseriös. Dennoch meint auch er, in Experimenten mit Primaten Indizien für typisch männliches und weibliches Verhalten zu finden.
"Sehr schöne Untersuchungen gibt es mit Primaten, zum Beispiel mit grünen Meerkatzen, denen man menschliches Spielzeug gegeben hat. Bei diesen Tieren ist es so, dass die Mädchen sehr gern mit Puppen spielen und sehr viel Zeit damit verbringen. Sogar mit Kochtöpfen spielen die Mädchen sehr gern, die tun ganz viel Zeug in die Kochtöpfe rein, tragen es herum und leeren dann wieder aus. Dafür sind die Jungs ganz begeistert vom Spielen mit Autos und Bällen. Und dann entfernen sich diese Gegenstände. Und ein anderer Junge schnappt sich das und dann gibt's Gerangel um das Auto, um den Ball."
Auch der Männerforscher Professor Lothar Böhnisch von der Universität Bozen schließt nicht aus, dass männer- und natürlich auch frauenspezifische Körpererfahrungen das Verhalten der Geschlechter prägen. Er spricht von einer "anthropologischen Resistenz". Anders gesagt: Nicht alles ist nur anerzogen.
"Also nehmen Sie einfach, dass im Alter von zehn Jahren ungefähr in unserem Kulturkreis die Jungen ein gutes Jahr später geschlechtsreif werden als die Mädchen. Das ist ja ein biologischer Vorgang, der natürlich sozial gedeutet wird und soziale Probleme aufwirft, nämlich zum Beispiel Minderwertigkeitsgefühle bei Jungs, wenn die Mädchen sich älteren Jungs zuwenden. Ähnlich, wenn im Alter von drei, vier Jungen sich auf der Suche nach Geschlechteridentität ein Stück von der Mutter lösen müssen und nach männlichen Identitätsbildern suchen."
Aufgrund seiner biologischen Voraussetzungen tappe der Junge auf dem Weg zum Erwachsenwerden stets wieder in "Bewältigungsfallen", wie Böhnisch es nennt. Ja, die Angst vor dem sexuellen Versagen – der Impotenz – führe gar zu einer männlichen "Verlegenheit gegenüber der Frau", während diese aufgrund ihrer prinzipiellen Gebärfähigkeit der Natur näher steht – soll wohl heißen: In sich selbst ruht.
"Was die Gesundheit betrifft, da wird Männern im Durchschnitt die Tendenz attestiert, dass sie körperfern sind. Das hat natürlich auch damit zu tun, wenn Sie sehen in der Pubertät, ein Beispiel, dass die Mädchen sozusagen durch die Menstruation eine ganz andere Beziehung zu ihrem Körper bekommen als die Jungen, wo ihr Penis ihnen nicht gehorcht und sie also von dem Körper wegstreben."
Jenseits der Arbeitswelt stehen dem Mann – anders als der Frau, die sich auch heute noch der Familie zuwenden kann - keine gesellschaftlich anerkannten Rollen zur Verfügung. Er muss sein Selbstwertgefühl vor allem aus seiner Berufstätigkeit ziehen. Und auch wenn der heutige "digitale" Kapitalismus nicht länger starre und rigide Geschlechterrollen erfordere, so Lothar Böhnisch, stelle auch er Ansprüche, die von Männern einfacher bewältigt werden könnten.
"Da ist, wenn wir wieder zu Männer- und Frauenstudien kommen, eine neue Entwicklung. Es wird ja zum Teil davon gesprochen, dass sich ein globalisierter Männertypus heraus formt, nämlich der flottierende, von sozialen Bindungen sich unabhängig machende Managertyp, der wieder überwiegend männlich ist, weil er leichter über Bindungen hinwegspringen kann als eine familiengebundene Frau. Ein Männlichkeitstyp, der sehr wachstumsorientiert, sehr externalisiert, nach außen gerichtete soziale Bindungen überspringen wollend, heranreift."
Karrierefrauen sind aber in der Regel gar nicht familiengebunden. Warum sollen sie keine Global Player werden? Ist der Kapitalismus wirklich 'männlich'? Dr. Christoph Kucklick, Verfasser des Buchs "Das unmoralische Geschlecht. Zur Geburt der negativen Andrologie" hält nichts von solchen Zuschreibungen, auch wenn sie uns allen vertraut erscheinen.
"Ich fand einen Artikel in der Süddeutschen, da wurde gesagt, die Wirtschaftskrise ist vor allem eine Krise der Männer und dann in Klammern: Im Ernst, wäre Frauen so was auch passiert? Ne wundervolle Frage, aber die Antwort kann nur sein, na klar, warum denn nicht? Wie gehen wir denn davon aus, dass wir so komplexe Vorgänge wie die Wirtschaftskrise, die mit institutionellen Regeln in der Eurokrise, mit Finanzmarkttransaktionen zu tun haben, dass wir das auf dieses sehr simple Schema von Geschlechtern abbilden? Das ist natürlich eine Illusion."
Nicht erst seit der Frauenbewegung des letzten Jahrhunderts, meint Christoph Kucklick, werden Männer für die Übel der Welt verantwortlich gemacht. Schon im 18. Jahrhundert begann man, Mann und Frau nicht länger als Teil einer göttlichen Ordnung zu verstehen, sondern als Resultat der Natur. Und das Männliche war eben – von Natur aus – problematisch.
"Damals haben die sogenannten bürgerlichen Meisterdenker, wie sie im Feminismus gern bezeichnet werden, einen durchgängigen Diskurs entworfen von einer problematischen, gefährlichen, unverantwortlichen Männlichkeit. Dass die Natur von Männlichkeit als grundsätzlich egoistisch, verantwortungslos, gefühlskalt, kommunikationsarm, egoistisch, sexuell extrem triebhaft, dass sie so vorgestellt worden ist, das gab es in der Vormoderne nicht."
Den Frauen war dann zugedacht, diese "defekte" männliche Natur sozusagen zu domestizieren, zu zivilisieren.
"Die Ehe war das Hauptinstitut zur Zivilisierung von Männern. Frauen waren schon immer positiv bestimmt, auf Liebe, bei Fichte heißt es zum Beispiel nur die Frau kann lieben, der Mann kann nicht lieben, er ist liebesunfähig."
Weder will Christoph Kucklick damit allerdings sagen, dass Frauen nicht unterdrückt wurden. Noch bestreitet er das Recht der Frauenbewegung, sich dagegen zu wehren. Nur hat die Unterdrückung für ihn andere Ursprünge.
"Die Frauen waren zwar positiv bestimmt, sehr idealistisch, aber gerade deswegen wurden sie aus ganz bestimmten Bereichen ausgeschlossen, Politik, Wirtschaft, denn man nahm an, dass sie dadurch infiziert werden und das Positive, das sie beinhalten, konnte sich lieber im kleinen Kreis der Familie auswirken. Insofern ja, idealisiert, aber mit sehr drastischen Konsequenzen, die dann im Feminismus aufgearbeitet wurden, sehr zu Recht."
Die kritischen Männerstudien, meint Christoph Kucklick, verlängern deshalb im Wesentlichen den "Diskurs", der seit zweihundert Jahren über die Geschlechter gehalten wird. Und er würde diesen Diskurs am liebsten verlassen. Er würde lieber konkrete Probleme beschreiben, ohne diese mit dem Etikett "männlich" oder "weiblich" zu versehen.
"Wir könnten uns viele Probleme ersparen, wenn wir nicht die Verallgemeinerungen von Geschlecht versuchen, auf allzu viele Dinge aufzupfropfen. Viel mehr gucken, wie gestalten wir die Welt so, dass jeweils bestimmte Gruppen Vor- oder Nachteile haben seien's Frauen oder Männer. Aber wir sollten aufhören zu glauben, dass wir mit einem übergeordneten verallgemeinerten Begriff von Mann oder Frau, sollen die einen nun von Mars oder Venus stammen, einparken können oder nicht, ich glaube, damit kommen wir überhaupt nicht weiter."
Da ist der Biopsychologe Onur Güntürkün allerdings – etwas – anderer Meinung. Experimente mit Menschen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen, ergaben, dass sich mit ihrem Hormonspiegel zugleich ihr räumliches Orientierungsvermögen veränderte. Selbst menstruierende Frauen, so Professor Güntürkün, haben aufgrund ihres niedrigen Östrogenspiegels ein anderes Raumverhältnis als Frauen in der Mitte ihres Zyklus. Dass Frauen nicht einparken können, stimmt also nicht ganz: Menstruierende Frauen lenken das Auto noch in die kleinste Parklücke! Und vielleicht werden Männer mit abnehmendem Testosterongehalt ja auch einfühlsame Frauenversteher?
"Es gibt nur einige wenige Dinge, in denen sich Männer und Frauen sehr deutlich unterscheiden. Das sind bei Männern ein Vorteil von dreidimensionalen Denkprozessen. Und Frauen sind deutlich besser in der Geschwindigkeit des Findens von Worten für eine bestimmte grammatikalische Konstruktion oder ein Wort mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben. Im Bereich des Verhaltens gibt es weitere Unterschiede. Es gibt Hinweise, dass Männer stärker zu physischer Aggression neigen und Frauen zu indirekter Aggression neigen."
Was also macht den Mann zum Mann? Vier Männer gaben gerade vier verschiedene Antworten. Deutlich wird dabei insbesondere: Die alten Rollen sind keine Zwangsjacken mehr, auch wenn es - vielleicht - natürliche Grenzen gibt. Männer und Frauen können sich heute in vielfältiger Weise erfinden. Dies schafft durchaus Unsicherheit. Aber vor allem auch: ein Mehr an Freiheit.
"Die alten Rollen bieten ja eine Sicherheit, Sie können sich damit identifizieren, Sie handeln einfach skriptgemäß. Wohingegen wir in den letzten 20,30 Jahren eine Multiplikation von Männerbildern haben, von Rollen, das heißt, dass das Individuum sich selbstständig Rollen raussuchen kann. In dem Augenblick aber, in dem ich selbstständige Rollen suchen kann, werde ich auch gezwungen, eine Wahl zu treffen; Dinge, die früher selbstverständlich waren, sind es nicht mehr, weil ich überlegen muss, was entspricht mir, welchem Rollenbild möchte ich mich annähern. Und gleichzeitig werden die Rollen ja relativiert, und das gibt ne Identifikationsschwierigkeit."