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"Was man immer schon gewusst hat, aber nie zu sagen wagte"

Der Psychotherapeut Paul Watzlawick wurde 1921 in Österreich geboren. In Venedig studierte er Psychologie und Fremdsprachen. Nach einer kurzen Professur für Psychotherapie in El Salvador wechselte Watzlawick 1960 an das Mental Research Institute in Palo Alto, Kalifornien. Ein langes Leben hat nun sein Ende gefunden, das Watzlawick nicht nur der Psychotherapie gewidmet hat, sondern auch der Kommunikationstheorie.

Moderation: Christoph Schmitz | 03.04.2007
    Christoph Schmitz: Worin besteht seine Leistung als Kommunikationstheoretiker?

    Jochen Hörisch: Ich glaube, die Leistung der ganz Großen ist – das mag jetzt gemein klingen -, dass mal das, was man immer schon gewusst hat, aber nie zu sagen wagte, von irgendeinem ausgesprochen wird. Und diese ganz einfachen, ganz großen, ganz weit reichenden Einsichten, die hat Watzlawick vermittelt. Was wäre das zum Beispiel, dass wir, wenn wir sprechen, nicht deshalb sprechen, um einen Konsens zu haben, sondern weil wir eine Differenz haben. Würden wir uns immer nur verstehen, müssten wir gar nicht weiter sprechen, sondern Dissens ist die leitende Idee von Diskursen. Wir diskurrieren, weil wir auseinander laufen, das ist der lateinische Wortsinn. Wir diskurrieren auch in dem, was wir sagen. In allem Sprechakt steckt eine Beziehungsebene, das ist die schöne nicht Entdeckung, sondern, wenn man so will, Wiederentdeckung von Watzlawick, und eine Sachebene. Also wenn ich meine Frau anbrülle und sage, ich habe dich so schrecklich lieb, dann sagt sie, Liebster, da stimmt doch was nicht, warum brüllst du dann, um das jetzt sehr platt zu inszenieren. Und das sind so die großen Einsichten von Watzlawick, die sehr, sehr weit führen.

    Schmitz: Also dass Sprache Wirklichkeit schafft, dass Kommunikation nicht nur im gesprochenen Wort besteht, sondern darüber hinausgeht. Auch eine sehr simple Erkenntnis, aber auch der Satz, man kann nicht nicht kommunizieren.

    Hörisch: Ja, man kann nicht nicht kommunizieren. Wir dürfen nicht vergessen, ich will gleich einen Gegeneinwand bringen, dass das ja dank der Technik nicht gilt. Also es gibt zum Beispiel Telefon oder Anrufbeantworter, damit man nicht kommunizieren kann. Schon den Brief muss ich nicht öffnen, aber wenn wir uns auf der Straße treffen, und Sie sagen zu mir, hallo, wie geht es, und ich antworte nicht, dann sagen Sie zurecht, entweder ist er taub geworden oder er mag mich nicht oder er ist beleidigt und so weiter. Also man kann nicht nicht kommunizieren gilt für das, was man so schön Face-to-Face-Communication nennt. Das Großartige an technischen Medien – und da sieht man, wie weit tragend solche simplen Einsichten sind – ist eben, dass man Kommunikation unterbrechen kann. Wenn wir uns immer als Mediengesellschaft und Kommunikationsgesellschaft beschreiben, dann wäre es vielleicht sinnvoll, mit Watzlawick und Bateson, der ja mit ihm zusammen geschrieben hat, mal zu sagen, das Tolle an der Mediengesellschaft, ist, dass sie Kommunikation unterbrechen, nicht ermöglichen kann. Und da sind wir bei dem großen Thema von Watzlawick, den Paradoxien, dass viel mehr Paradoxien sich einstellen, wenn man kommuniziert und Medien benutzt, als der gesunde Menschenverstand normalerweise träumt.

    Schmitz: Diese Paradoxien waren für ihn auch zentral in seiner psychotherapeutischen Praxis, über die wir gleich noch reden sollten. Zuerst aber zu seinem berühmtesten Werk, "Anleitung zum Unglücklichsein": Was soll diese Anleitung, warum der Erfolg dieser Anleitung zum Unglücklichsein?

    Hörisch: Weil es so wunderschön um die Ecke gedacht ist. Da ist ein Wiener nach Kalifornien gekommen, einer, der sich auf die Schmährede, auf das üble Hinterherreden versteht, der kommt ins sonnige Kalifornien und sagt, ich mache euch mal klar, wie das eigentlich funktioniert. Wenn es stimmen würde, "the pursuit of happiness", das amerikanische Ideal, dann wäre es wunderbar. Aber ich bin ein granteliger Wiener und ich mache mal deutlich, wie viel attraktiver es ist, unglücklich zu sein, glücklich sein kann jeder, aber kriegt das mal so ordentlich hin. Und in der Tat hat er ja was gesehen, dass sehr viele Leute, psychoanalytisch würde man sagen, müssen so etwas wie einen Sekundärgewinn daraus beziehen, unglücklich zu sein. Man will Opfer sein. Dieses große Thema, bis heute ein großes Tabuthema, es geht uns gut, wenn wir Opfer sind, und jede kleine Opferminderheit, die unglücklicher sein will als der Rest der Welt, hat Anspruch auf Aufmerksamkeit, also lohnt es sich, die Kunst der Unglücklichkeit zu pflegen. Und dann überbieten sich – das mag jetzt zynisch klingen – aber Frauen oder Kinder oder Behinderte oder Schwarze oder Versklavte oder an den Rand Gedrängte oder Stadtstreicher oder so was in der Kunst, unglücklich zu sein. Warum? Weil sie in der Opferrolle die Aufmerksamkeit kriegen, die ihnen sonst nicht zuteil wird.

    Schmitz: Aber Watzlawick meinte doch auch, dass man per se nicht glücklich werden kann, sondern im Grunde das Unglück pflegen muss, um eine Chance für das Glück zu haben.

    Hörisch: So ist es. Aber das ist ja eine fröhliche Wissenschaft. Die Einsicht, wie schön es ist, unglücklich zu sein, macht einen ja zum glücklichen Menschen, und dann kann man eben gucken, ob man in der Lage ist, Dialektiker zu werden, also wirklich um die Ecke herum zu kommunizieren, und wie viele Melancholiker, wie viel Gekränkte auch ihre Kränkung und ihre Melancholie genießen, dahinter zu kommen, das ist dann vielleicht, ja, wie die Kunst des Negativen. Auch das macht Watzlawick ja sehr schön deutlich, manchmal sind die Märchen sehr, sehr aufschlussreich. Wer es schafft, das Böse zu lieben, den Frosch zu küssen, den Bären zu umarmen, sein Unglücklichsein zu akzeptieren, der wird ein Prinz, der wird glücklich.

    Schmitz: Diese Strategie gilt auch für die psychotherapeutische Praxis von Paul Watzlawick. Der sagte, die Psychoanalyse ist Quatsch, wir müssen das Unglück pflegen, um es zu überwinden.

    Hörisch: Wenn man es auf den Punkt bringen will, müsste man sagen, Watzlawick hat die Freud'sche Frage, was bedeutet das, wenn ich mich verspreche, wenn ich sage, da ist etwas zum Vorschwein gekommen statt zum Vorschein gekommen, oder der Vorstand ist einstimmig entlassen statt entlastet, dann fragt Freud, was bedeutet das. Watzlawick fragt, wie funktioniert das, und ich will einfach dem toten Watzlawick da doch auch persönlich Dank abstatten, was ja leider auch ein paradoxer Kommunikationsakt ist. Ich bin stolzer Vater dreier Kinder, und wir haben mit dem, was Watzlawick paradoxe Intervention nennt, ganz gerne mal gearbeitet. Ich will das drastisch illustrieren: Wenn kleine Kinder nicht ins Bett wollen, und man sagt denen zum Beispiel, ein handfestes Beispiel, ich kann da selbst für Zeugnis einlegen, du darfst jetzt nicht ins Bett, wir wollen, dass du noch wach bleibst, ist die Chance groß, dass das Kind sagt, ich will ins Bett, lasst mich sofort schlafen. Das wären solche funktionalen Aspekte, wo man nicht fragt, was bedeutet diese Äußerung eigentlich, sondern wie funktioniert da die Eltern-Kind-Kommunikation, und sie funktioniert paradox. Das gilt eben – Sie sprachen es ja an – auch auf der Ebene handfestester, grausamster psychodynamischer und therapeutischer Fragen. Manchmal, nicht immer, manchmal hilft es, einer Anorektikerin, also einer Magersüchtigen zu sagen, nun, wenn du sterben willst, dann stirb, verschließ deinen schönen Mund, küsse nicht mehr, atme nicht mehr, iss nicht mehr, wenn das dein Wille ist, bitte! Und das wäre auch so ein Akt von paradoxer Intervention, wo Watzlawick sehr, sehr viel gesehen hat. Man lässt sich wirklich auf die Wünsche des anderen ganz ein, indem man die Bedeutungsfrage vermeidet und sagt, wie funktionierst du eigentlich.

    Schmitz: In seiner Kommunikationstheorie war Watzlawick ja äußerst klar. War er auch ein Stilist?

    Hörisch: Ein Stilist von Graden. Da merkt man wirklich die österreichische Schule. Er hat Leute gelesen wie Netroy oder wie Karl Kraus oder wie Arthur Schnitzler, hat natürlich auch seinen Freud intus gehabt. Das sind ja Stilformen, das sind ja Formen von Wissenschaftsprosa, da kann man heute nur von träumen, also auch wenn man mit ihm nicht sachlich in jedem Punkte übereinstimmt, dann lohnt es sich, diesen ganz großen Stilisten Paul Watzlawick zur Kenntnis zu nehmen.