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"Was Moskau nicht gelungen ist, wird auch Brüssel nicht schaffen"

Die ehemalige Danziger Leninwerft ist ein Symbol für Polens demokratische Bewegung. Schon in den 60er-Jahren galten die dortigen Werftarbeiter als besonders aufmüpfig. 1980 wurde während eines Streiks in der Werft die Gewerkschaft Solidarność gegründet. Trotz dieser für Polen so wichtigen Geschichte steht die Leninwerft nun zur Disposition - doch die Werftarbeiter wollen sich auch diesmal nicht unterkriegen lassen.

Von Thomas Rautenberg |
    Für den Baggerfahrer auf dem Gelände der ehemaligen Danziger Leninwerft ist es ein Job, wie jeder andere auch. Immer tiefer frisst sich sein Radlader in den Boden, der Schutt einer alten Backsteinhalle wird auf die bereitstehenden LKW verladen:
    "Wir haben hier den Auftrag, alles abzureißen, dem Erdboden gleich zu machen. Hier wird etwas völlig Neues entstehen. Bis Juni müssen wir alles platt gemacht haben. Und wie es dann weiter geht, darüber entscheidet allein der Investor."

    Stefan Tomasik bringt die Gleichgültigkeit des Baggerfahrers fast um den Verstand. Mit jeder Schaufel Steine verschwindet doch auch ein Stück Geschichte, möchte der frühere Schiffbauingenieur die Bauarbeiter am liebsten stoppen:
    "Hier befand sich das Konstruktionsbüro der Werft. Alle Projekte der auf unserer Werft gebauten Schiffe sind an diesem Ort entstanden. Das war sozusagen das Gehirn der Werft. Und heute sieht es grausam aus."

    Nach den Bauarbeiten zu urteilen, haben die Danziger Werftarbeiter den Kampf um ihren Betrieb aufgegeben. Doch dieser Schein trügt.

    "Die Polen können sich vereinigen, sie können kämpfen. Die Werftarbeiter werden nicht aufgeben. Der Kampf geht bis zum Ende. Unsere Werften, das sind zehntausende Arbeitsplätze und deshalb appellieren wir noch einmal an den polnischen Regierungschef, an den Präsidenten: Kampf, Kampf und nochmals Kampf - es gilt, die Werften zu schützen."

    Grund der jüngsten Proteste ist ein Brief von EU-Kommissarin Neely Kroes, in dem sich die europäische Wettbewerbshüterin offenbar enttäuscht über die polnischen Privatisierungsbemühungen für die ehemalige Solidarnosc-Werft in Danzig äußerte. Bis dato habe kein Investor glaubhaft darstellen können, wie die Werft eines Tages ohne Staatshilfe rentabel arbeiten könnte, schrieb Kroes der polnischen Regierung.

    Für die Werften in Gdingen und Stettin ist die Sache bereits gelaufen. Den Mitarbeitern wurde gekündigt und das Betriebsvermögen wird derzeit verkauft. Ohne ein tragfähiges Privatisierungskonzept für die Danziger Werft müsste Warschau etwa drei Milliarden Euro Staatshilfen von den Schiffbaubetrieben zurückfordern - die Werftpleite in Danzig wäre dann nur noch eine Frage der Zeit. Polens EU-Kommissionsvertreterin Danuta Hübner wirbt um Verständnis für die harte Haltung Brüssels:
    "Die Bedingungen, die von der Kommission gestellt werden, sind kompromisslos. Aber um dauerhaft ohne Staatshilfen über die Runden zu kommen, muss ein Betrieb effektiv aufgestellt sein und sich im europäischen Rechtsrahmen bewegen."

    Auch Polens Europa-Minister Mikolaj Dowgielewicz räumt inzwischen ein, dass die Werftenprivatisierung keineswegs zu den Erfolgsgeschichten der polnischen EU-Mitgliedschaft zählt:
    "Das Problem der Werften geht auf Versäumnisse bereits vor dem EU-Beitritt zurück. Man kann auch sagen, das Problem wurde einfach unter den Teppich gekehrt, als Polen am 1. Mai 2004 der EU beigetreten ist. Und auch danach ist kaum etwas passiert, um zu einer Lösung zu kommen."

    Die polnischen Werftarbeiter aber wollen sich nicht geschlagen geben.
    "Wenn das Szenario von Kommissarin Kroes eintritt, dann sind unsere Werften für immer erledigt."
    "Für die Pleite, die dann im polnischen Norden droht, werden nicht nur wir Schiffbauer, sondern auch die ganzen Zulieferer bezahlen müssen."

    Der Protest der Werftarbeiter ist inzwischen hoch politisiert. Unter Losungen, wie "Was Moskau nicht gelungen sei, werde auch Brüssel nicht schaffen" wollen Tausende Schiffbauer heute vor den hauptstädtischen Kulturpalast ziehen: Zum Wahlkampfauftakt der Europäischen Volksparteien.