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Was Offshore-Investoren in den Sand setzen

Die älteste Werft Hamburgs, Sietas, schließt. Schuld daran ist nach Ansicht der Mitarbeiter die Bundesregierung mit Entscheidungen wie der Strompreisbremse. Denn die Werft baut Errichterschiffe für Windparks auf hoher See, und die Energiekonzerne scheuen derzeit die Investition.

Von Axel Schröder | 18.07.2013
    Noch wird geschweißt auf Hamburgs ältester Werft. Noch arbeiten 240 Menschen auf dem Gelände des Schiffsbaubetriebs der Sietas, direkt an der Elbe. Die Funken sprühen, aber der Schweißer wirkt in der riesigen Werkhalle fast verloren; der Betriebsratsvorsitzende Peter Bökler resigniert. Mit Bauhelm und Schutzbrille steht er in der Halle, ein Mann mit breitem Kreuz. Derzeit wird am letzten Schiff der Sietas gearbeitet, danach schließt die Werft:

    "1975 habe ich hier angefangen. Da waren wir 1800 Beschäftigte! Von daher tut es - wenn man es heute sieht - die Umstände hier - mir im Herzen richtig weh."

    Dabei hätte die Geschichte der Sietas eine ganz andere Wendung nehmen können, glaubt Bökler und zeigt nach draußen: Dort im Dock liegt die "Aeolus", eines der modernsten Errichterschiffe. Diese Spezialschiffe können sich mit vier mächtigen Stahlbeinen aus dem Wasser heben. Aus der "Aeolus" wird dann eine hochseetüchtige Arbeitsplattform – ohne die der Aufbau von Offshorewindparks vor der deutschen Küste nicht machbar ist. Zukunftstechnologie made in Germany – eigentlich. Doch der Auftrag, ein zweites Errichterschiff zu bauen, wurde storniert.

    "Wir waren schon zu 99 Prozent sicher, dass der Auftrag kommt und wir waren völlig schockiert nach der Aussage von Altmaier. Da gab es ja Rückzieher ohne Ende und wir verstehen auch unseren Kunden."

    Potenzielle Kunden der Werft sind Stromkonzerne wie EnBW, RWE oder die dänische Dong-Energy. Alle drei wollen Windparks in der Nordsee errichten, haben einen Teil ihrer Pläne aber erst mal auf Eis gelegt. Schuld daran, glaubt der Betriebsratsvorsitzende, ist der Schlingerkurs der Bundesregierung bei der Energiewende. Denn Bundesumweltminister Peter Altmaier und sein Kabinettskollege Philipp Rösler haben im Frühjahr bereits zugesagte Vergütungen für Offshore-Windstrom wieder infrage gestellt. Das heißt: Rückwirkend sollen die finanziellen Rahmenbedingungen geändert werden – und zwar zulasten der Offshore-Pioniere. Als dann auch die Idee einer "Strompreisbremse" publik wurde, wird es der Energie Baden-Württemberg finanziell zu riskant. Die EnBW wird den Offshorewindpark "Hohe See" in der Nordsee vorerst nicht realisieren. Deshalb zog sie auch den Auftrag zum Bau eines zweiten Errichterschiffs zurück. Das Ende der Hamburger Sietas-Werft war damit besiegelt.

    "Nein, nein! Das sind böswillige Unterstellungen! Und ich bitte herzlich darum, dass man das unterlässt!"

    Bundesumweltminister Peter Altmaier jedoch ist sich keiner Schuld bewusst. Der CDU-Politiker bekennt sich immer und immer wieder zur Offshore-Windkraft – zuletzt Ende Juni auf einer Diskussionsveranstaltung in Hamburg. Vorwürfe, für die Probleme der Sietas-Werft sei Schwarz-Gelb verantwortlich, weist er zurück:

    "Es hat ein großer Investor einen Tag nach der Strompreisbremsen-Diskussion entschieden, nicht zu investieren! Da suchen manche einen Schwarzen Peter, auch für unternehmerische Fehler, die gemacht worden sind! Das werde ich nicht zulassen!"

    Ein Investor sei ausgestiegen, sieben andere Windparks seien aber im Bau, betont der Minister. Und unterstreicht, dass die Bundesregierung im letzten Jahr sehr viel für die Offshore-Windbranche getan hat: Die Kreditanstalt für Wiederaufbau wurde mit fünf Milliarden Euro ausgestattet, um die riskanten Investitionen in Windprojekte zinsgünstig mit Kapital zu versorgen. Auch die Haftungsregeln für Parkbetreiber sind so verändert worden, dass sich ihr Risiko in Grenzen hält.

    Dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das die Vergütungssätze für Strom aus Sonne, Wasser und Wind festlegt, nach der Bundestagswahl dringend reformiert werden muss, räumt der Minister ein. Altmaier weigert sich aber, heute schon verbindliche Zusagen zu machen – zumal weder er noch Philipp Rösler wissen, ob Union und FDP Ende September noch die Regierung stellen werden. Als der für Wirtschaft zuständige Minister mit der Frage konfrontiert wird, inwieweit das Hin und Her der schwarz-gelben Offshore-Wind-Politik Betriebe wie die Sietas in die Pleite treibt, antwortet sein Sprecher schriftlich:

    "Von den Wachstumsimpulsen der Offshore-Windenergie profitieren nicht nur die Betreiber der Windparks und die Hersteller von Windenergieanlagen und Komponenten, sondern auch Zulieferbetriebe aus dem Schiffsbau, Metall- und Maschinenbau und der Elektrotechnik sowie lokale Metall- und Elektrobetriebe, Werften und Häfen."

    Über 24.000 Arbeitsplätze – so rechnet Röslers Ministerium vor – könnten in den nächsten drei Jahren allein im Offshorebereich entstehen. Vorausgesetzt, nach der Wahl bleiben die Vergütungssätze für den auf dem Meer erzeugten Strom stabil. Versprechungen in die Zukunft kann und will aber auch der Bundeswirtschaftsminister nicht abgeben. Was wiederum den Insolvenzverwalter der Sietas-Werft, Berthold Brinkmann, erzürnt. Nach der Bundestagswahl könnte es zu spät sein, warnt er.

    "Es besteht wirklich die Gefahr, dass diese ganze Lieferkette abreißt. Durch die Unsicherheit: Was geschieht auf See, entsteht die Unsicherheit an Land. Sietas ist das erste Beispiel dafür, wie ein Betrieb, der sich auf dieses Gebiet eingerichtet hat und dort weiterproduzieren wollte, durch die Unsicherheit auf See seine Existenz verliert."

    Egal wie die Bundestagswahl ausgeht, egal wann die Entscheidungen für die Energiewende auf dem Meer fallen – für die Sietas-Werft ist es zu spät. Im September wird die "Aeolus" ausgeliefert, dann macht der Betrieb dicht. Wer Schuld daran ist – steht für viele der 240 Mitarbeiter fest. Ebenso, wen sie am 22. September nicht wählen werden.