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Was Revolutionen wirklich bewegen

Die Arabellion hat der Revolutionsforschung neue Impulse gegeben. Am Wissenschaftszentrum Berlin diskutierten Politologen, Soziologen, Islam- und Kulturwissenschaftler über die Frage, welchen Einfluss Protestbewegungen tatsächlich auf den politischen Wandel in ihrer Region haben.

Von Andreas Beckmann | 25.10.2012
    Sabine Berking: "Revolutionen brechen immer nur dann aus, wenn es keinen anderen Ausweg gibt."

    Sonja Hegasy: "Wenn man sich die Geschichte anschaut, dann gibt es ja so gut wie keine erfolgreiche Revolution."

    Wolfgang Merkel: "Revolutionen, geführt von revolutionären Avantgarden, haben noch nie in eine Demokratie gemündet."

    Sabine Berking: "Jetzt im Zuge des Arab Spring ist ein neuer Anstoß gegeben, noch mal in die Revolutionsforschung hineinzugehen."

    Lange galt das Thema als erledigt. Die letzte größere Debatte über Revolutionen hatten die Sozialwissenschaften vor 20 Jahren geführt, als es um eine Analyse der Umbrüche in Osteuropa ging. Die spielten auf der Tagung der Irmgard Coninx-Stiftung kaum mehr eine Rolle. Vielleicht, weil sie einfach zu lange zurückliegen, vielleicht, weil die Diktaturen damals durch weitgehend friedliche Demonstrationen gestürzt worden waren. Denn das ist historisch gesehen untypisch für eine Revolution. Meist stellt sie sich als blutige Ausnahmesituation der Geschichte dar, die für die beteiligten Menschen selten einen guten Ausgang nimmt. Das erklärt jedenfalls Wolfgang Merkel, der 1968 als Student in revolutionärem Überschwang noch für Trotzki und Che Guevara geschwärmt hat und heute am Wissenschaftszentrum Berlin über Demokratisierungsprozesse forscht:

    "Wir wissen aus der empirischen Forschung, dass in eher seltenen Fällen Revolutionen zu einer nachhaltigen Demokratisierung führen. Viel häufiger ist es der Fall, dass Verhandlungen, runde Tische, Pakte zwischen Opposition und den alten Regime-Eliten einen solideren Weg zur Demokratie bahnen."

    An Runden Tischen oder in Verhandlungen kommen viele gesellschaftliche Gruppen zu ihrem Recht. Revolutionen schaffen aber meist eine vollkommen offene Situation, in der alle Regeln außer Kraft gesetzt sind und die Macht auf der Straße liegt. Eine einzelne Gruppe kann sie leicht an sich reißen, wenn sie nur skrupellos genug ist. Auf die meist idealistischen Initiatoren von Aufständen trifft das selten zu. Das zeige die historische Erfahrung, sagt Wolfgang Merkel:

    "Es ist schon so, dass diejenigen, die die Mobilisierung tragen, die protestieren, häufig nicht diejenigen sind, die dann die Institutionen bauen, die Regeln in der Verfassung fixieren, und dann doch etwas an den Rand gedrängt werden."

    Genau das passiert derzeit auch den sogenannten Facebook-Revolutionären, die Anfang 2011 den arabischen Frühling entfacht haben, bestätigt die Islamwissenschaftlerin Sonja Hegasy vom Zentrum Moderner Orient (ZMO):

    "Für Ägypten kommt dann auch hinzu, dass mit den Muslimbrüdern eine hochpolitisierte Bewegung bereit stand, … die dieses Vakuum sofort füllen konnte. Natürlich auch mit einer Forderung, die sehr zentral war für die Umbrüche in ganz Nordafrika, nämlich die nach sozialer Gerechtigkeit."

    Amr Hamzawy: "Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit werden aber ignoriert seit dem Sieg der Revolution über Mubarak. Sie wurden ignoriert vom Militärrat, der zwischenzeitlich herrschte. Und auch das neu gewählte Parlament, in dem die Muslimbrüder die Mehrheit haben, nimmt sie nicht ernst."

    Amr Hamzawy war Revolutionär der ersten Stunde in Kairo und sitzt heute für die kleine Freiheitliche Partei im Parlament. Als Oppositioneller kritisiert er die Politik der Muslimbrüder, räumt aber ein, dass sie trotzdem weiter von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt werden und deshalb die revolutionäre Bewegung heute anführen. Das liegt nicht nur an den Inhalten, die sie vertreten, erklärt Sonja Hegasy vom ZMO:

    "Solche Bewegungen brauchen Aktivisten, sie brauchen Slogans, sie brauchen Musik, Stickers, Filme, so simple Dinge wie Geld, Faxgeräte, Büros, um sich zu vernetzen."

    All das haben vor allem die Muslimbrüder. Ihre Infrastruktur wurde zum Machtfaktor, seit sich die Revolutionäre kaum noch über Facebook koordinieren können, weil Militär und Polizei das Internet immer schärfer überwachen.

    Amr Hamzawy: "Es gibt keinen politischen Willen, den Staatsapparat zu demokratisieren. Unter dem Militärrat konnten die meisten Beamten genauso weitermachen wie unter Mubarak. Und auch Präsident Mursi von den Muslimbrüdern unternimmt nichts, um den Staatsapparat zu reformieren."

    Amr Hamzawy fürchtet, dass sich die Gewinner des Umsturzes und der alte Staatsapparat zusammenschließen könnten, um alle anderen Gruppen vom politischen Prozess auszuschließen. So etwas passiert häufig nach Revolutionen. Schon jetzt, so Hamzawy, gingen die Sicherheitskräfte immer öfter gegen ägyptische Christen vor und auch die Rechte der Frauen seien gefährdet.

    Das ist eine weitere bittere historische Erfahrung aus vielen Revolutionen: wenn der Aufstand beginnt, sind häufig Frauen in der ersten Reihe dabei. Doch je weiter eine Revolution fortschreite, desto mehr werde sie zur Männersache, konstatiert die Kulturwissenschaftlerin Sabine Berking von der Irmgard Coninx-Stiftung.

    "Generell spielen Frauen eine zunehmende Rolle in diesen Bewegungen und müssen natürlich dann, das ist das Fatale, wenn die Revolution vorbei ist, je nachdem, wer die Macht übernimmt, wieder um ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen und um die Fortschritte, die es in Sachen Emanzipation schon gegeben hat."

    Weil Revolutionen eben häufig ernüchternd verlaufen, wird der Begriff heute längst nicht mehr so emphatisch benutzt wie etwa während der Studentenrevolte 1968. Gerade in Osteuropa verwenden ihn viele Sozialwissenschaftler gar nicht mehr, wenn sie an den Sturz der Kommunisten 1989 erinnern. In Polen etwa, hat Sabine Berking erfahren, spricht man lieber von einer Transformation:

    "Man möchte zeigen, dass es einfach nur eine Wiederherstellung der demokratischen Verhältnisse ist, das heißt, man ging einfach wieder zurück zu den normalen Verhältnissen. Man spricht nicht mehr von Revolution, sondern von Hinwendung zu mehr Demokratie. Vermutlich weil Revolution v.a. in den osteuropäischen Ländern, gerade auch in Polen, negativ besetzt ist, Oktoberrevolution."

    Zur Zeit des Sozialismus mussten die Menschen die Oktoberrevolution jedes Jahr als Aufbruch in eine bessere Zeit feiern. Heute sehen die meisten sie als Beginn einer Epoche der Zwangsherrschaft, die über ganz Osteuropa ausgedehnt wurde. Auch das ist typisch für Revolutionen: sie werden im Laufe der Jahre von nachfolgenden Generationen immer wieder neu bewertet, erzählt Sonja Hegasy:

    "Das Ergebnis der französischen Revolution war die Einsetzung Napoleons. Ich meine, heute spricht man überall von Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit, aber dass dieser Slogan so in die ganze Welt hinausgetragen wurde, das hat ja auch viele Jahrzehnte gedauert, dass man das als das Ergebnis der französischen Revolution ansieht."