Eine Schauspielerin mimt eine aufgeregte Frau, die ihren Mann besuchen will, der vor einer Stunde zu Hause zusammengebrochen ist, vom Notarzt widerbelebt und in die Klinik gebracht wurde. Was sie nicht weiß: Er ist mittlerweile an einem Herzinfarkt gestorben.
Frau: "Ich will jetzt zu meinem Mann."
Arzt: "Ich muss Ihnen eine schlechte Nachricht überbringen."
Frau: "Oh Gott, was ist passiert?"
Arzt: "Ihr Mann ist leider verstorben."
Frau: "Was meinen sie damit?"
Albtraum und Klinikalltag zugleich: Wenn der Kampf der Ärzte um das Leben eines Patienten vergeblich war, muss einer von ihnen den Angehörigen die Todesnachricht überbringen. Eine schreckliche Aufgabe, das wird selbst in der Simulation im Seminarraum der Charité fühlbar: Die Tafel an der Wand, das Flipboard und den Diaprojektor nimmt man nicht mehr wahr, so echt wirkt die Verzweiflung. Medizinstudent Benedikt in der Rolle des Arztes ringt um Worte. Drei seiner Kommilitonen und die psychologisch speziell geschulte Dozentin sitzen mit im Raum und beobachten das Gespräch.
Frau: "Was ist denn passiert, ich verstehe Sie nicht."
Arzt: "Es war hoch dramatisch, auch für uns ist das wahnsinnig schwierig. Ihr Mann bekam Kammerflimmern, wurde reanimationspflichtig und verstarb dabei."
In seiner Hilflosigkeit und Angst, alles noch viel schlimmer zu machen, flüchtet Benedikt sich in einen medizinischen Fachjargon, den die geschockte Angehörige nicht versteht. Allzu viele Ärzte reagieren in der Realität genau so. Der Reformstudiengang Medizin legt darum einen bundesweit einmaligen Schwerpunkt darauf, den angehenden Ärzten beizubringen, wie man mit Menschen in Not umgeht.
Der Modellstudiengang wird an der Charité parallel zum Regelstudiengang angeboten. Es ging vor rund zehn Jahren aus Studentenprotesten gegen eine zu praxisferne Ärzteausbildung hervor. Die Reformstudenten lernen mehr Grundlagenmedizin, haben mehr interdisziplinäre Fächer, treffen früher als ihre Kommilitonen im Regelstudiengang auf die Patienten in den Krankenhäusern. Und vom ersten Semester an sind zwei Wochenstunden "Interaktion" Pflicht, im neunten Semester ist das "Überbringen schlechter Nachrichten" Schwerpunkt. Dutzende Laien- und Profischauspieler mimen die Kranken oder Angehörigen, improvisiert, ohne festes Drehbuch.
Frau, aufgebracht: "Was erzählen Sie mir denn da? Ich hab zwei kleine Kinder. Er ist doch erst 44!"
Die Todesnachricht ist angekommen. Trotz der heftigen Reaktion wird Benedikt jetzt ruhiger und führt das Gespräch besser: Er sitzt auf der vordersten Kante seines Stuhls, der Witwe zugeneigt, lässt sie nicht aus den Augen, unterbricht sie nicht und geht auf alle ihre Fragen ein.
Arzt: "Nein, es ging alles sehr schnell, er hat nicht gelitten."
In der anschließenden Analyse des Rollenspiels wird die Schauspielerin Bea Kampel betonen, wie wichtig für sie in der Rolle diese Pausen waren, um die Nachricht sacken zu lassen und etwas Ordnung in das wilde Durcheinander ihrer Gedanken und Gefühle zu bringen. Das Schweigen zuzulassen, ist ganz wichtig, bestätigt Dozentin Ulrike Höller. Einen Standardweg zum gelungenen Gespräch gebe es aber nicht:
"Jeder Patient ist anders, jede Situation ist anders. Und das ist eigentlich das Ziel dieser und vieler anderer Übungen, das zu lernen: Dass man empathisch, das heißt, mitfühlend, sich einfühlend erkennt, was der Patient braucht: Braucht er Zuwendung, braucht er einfach mal ein Wort der Ermutigung, braucht er ein klärendes Gespräch, ein informatives Gespräch, Unterstützung im Kontakt mit Angehörigen?"
Die Nachricht bleibt immer schlimm, daran kann auch der gelungene Gesprächsaufbau nichts ändern. Ulrike Höller musste als Ärztin auf der Station für Strahlentherapie schon viele Menschen mit fatalen Krebsdiagnosen konfrontieren. Die Erfahrung hat sie aber gelehrt, dass solche Gespräche für beide Seiten leichter werden, wenn die Ärzte auf ein gewisses Handwerkszeug zurückgreifen können. Die Grundsätze lauten: Emotional ansprechbar sein; einen sicheren Rahmen geben; verständlich sein und den nächsten Schritt organisieren.
Die Übung ist vorbei. Die Studenten schieben die Tische zu einem Viereck zusammen, reißen ein Fenster auf. Alle brauchen eine kurze Pause, die intensive Übung ging unter die Haut. Dann schildert Benedikt als Erster seine Eindrücke:
"Das ist so schwer! Ich wusste nicht, was ich mit der Angehörigen machen soll. Ob ich da richtig liege, ob ich ihr helfen kann. Ich weiß, ich kann nichts machen. Es wird ihr nicht besser gehen."
Der Clou an dieser Methode des Rollenspiels, die in den USA entwickelt wurde, ist das Feedback nicht nur der anderen Studenten, sondern auch der Simulationspatienten, die den angehenden Ärzten ihre eigene Perspektive vermitteln. Schauspielerin Bea Kampel hat das Gespräch mit Benedikt ganz anders empfunden:
"Ich habe mich sehr aufgehoben gefühlt, unter diesen Umständen. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl: Da ist der Arzt, der bleibt da. Das ist für mich das Entscheidende gewesen: Dass du da bleibst und dich nicht irgendwie diesem Gespräch entziehen willst. Dass du da bleibst und mit mir das aushältst."
In der folgenden Analyse bewerten auch die Kommilitonen das Gespräch viel positiver, als es sich für Benedikt angefühlt hat.
Medizinstudent Simon, der Benedikt heute beobachtet hat, musste während einer Famulatur im vierten Semester den plötzlichen Tod eines Patienten und die Trauer der Angehörigen miterleben. Damals war er schockiert. Nach den Rollenspielen zum "Überbringen schlechter Nachrichten" fühlt er sich besser für seine Zukunft als Arzt gerüstet:
"Letztendlich kann man kaum was falsch machen, wenn man sich mit gesundem Menschenverstand und Menschlichkeit der Sache nähert. Man muss gar nicht viel sagen, manchmal genügt es, dem Patienten zuzuhören. Da muss man nicht viel können, man muss nicht die richtigen Worte finden, es reicht einfach, dem Patienten zuzuhören. Aber das muss man wissen! Und geübt haben. Und dafür war das auch sehr gut."
Das intensive Kommunikationstraining in kleinen, betreuten Gruppen ist sehr zeitaufwendig und damit teuer. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die zehn Prozent der angehenden Ärzte an der Charité, die den Reformstudiengang durchlaufen: Sie sollen dem Stress und Zeitdruck widerstehen, der Alltag ist in deutschen Krankenhäusern, sich Zeit und Raum nehmen für einen mitmenschlichen Umgang mit Patienten und Angehörigen. Leicht werden sie es nicht haben.
Frau: "Ich will jetzt zu meinem Mann."
Arzt: "Ich muss Ihnen eine schlechte Nachricht überbringen."
Frau: "Oh Gott, was ist passiert?"
Arzt: "Ihr Mann ist leider verstorben."
Frau: "Was meinen sie damit?"
Albtraum und Klinikalltag zugleich: Wenn der Kampf der Ärzte um das Leben eines Patienten vergeblich war, muss einer von ihnen den Angehörigen die Todesnachricht überbringen. Eine schreckliche Aufgabe, das wird selbst in der Simulation im Seminarraum der Charité fühlbar: Die Tafel an der Wand, das Flipboard und den Diaprojektor nimmt man nicht mehr wahr, so echt wirkt die Verzweiflung. Medizinstudent Benedikt in der Rolle des Arztes ringt um Worte. Drei seiner Kommilitonen und die psychologisch speziell geschulte Dozentin sitzen mit im Raum und beobachten das Gespräch.
Frau: "Was ist denn passiert, ich verstehe Sie nicht."
Arzt: "Es war hoch dramatisch, auch für uns ist das wahnsinnig schwierig. Ihr Mann bekam Kammerflimmern, wurde reanimationspflichtig und verstarb dabei."
In seiner Hilflosigkeit und Angst, alles noch viel schlimmer zu machen, flüchtet Benedikt sich in einen medizinischen Fachjargon, den die geschockte Angehörige nicht versteht. Allzu viele Ärzte reagieren in der Realität genau so. Der Reformstudiengang Medizin legt darum einen bundesweit einmaligen Schwerpunkt darauf, den angehenden Ärzten beizubringen, wie man mit Menschen in Not umgeht.
Der Modellstudiengang wird an der Charité parallel zum Regelstudiengang angeboten. Es ging vor rund zehn Jahren aus Studentenprotesten gegen eine zu praxisferne Ärzteausbildung hervor. Die Reformstudenten lernen mehr Grundlagenmedizin, haben mehr interdisziplinäre Fächer, treffen früher als ihre Kommilitonen im Regelstudiengang auf die Patienten in den Krankenhäusern. Und vom ersten Semester an sind zwei Wochenstunden "Interaktion" Pflicht, im neunten Semester ist das "Überbringen schlechter Nachrichten" Schwerpunkt. Dutzende Laien- und Profischauspieler mimen die Kranken oder Angehörigen, improvisiert, ohne festes Drehbuch.
Frau, aufgebracht: "Was erzählen Sie mir denn da? Ich hab zwei kleine Kinder. Er ist doch erst 44!"
Die Todesnachricht ist angekommen. Trotz der heftigen Reaktion wird Benedikt jetzt ruhiger und führt das Gespräch besser: Er sitzt auf der vordersten Kante seines Stuhls, der Witwe zugeneigt, lässt sie nicht aus den Augen, unterbricht sie nicht und geht auf alle ihre Fragen ein.
Arzt: "Nein, es ging alles sehr schnell, er hat nicht gelitten."
In der anschließenden Analyse des Rollenspiels wird die Schauspielerin Bea Kampel betonen, wie wichtig für sie in der Rolle diese Pausen waren, um die Nachricht sacken zu lassen und etwas Ordnung in das wilde Durcheinander ihrer Gedanken und Gefühle zu bringen. Das Schweigen zuzulassen, ist ganz wichtig, bestätigt Dozentin Ulrike Höller. Einen Standardweg zum gelungenen Gespräch gebe es aber nicht:
"Jeder Patient ist anders, jede Situation ist anders. Und das ist eigentlich das Ziel dieser und vieler anderer Übungen, das zu lernen: Dass man empathisch, das heißt, mitfühlend, sich einfühlend erkennt, was der Patient braucht: Braucht er Zuwendung, braucht er einfach mal ein Wort der Ermutigung, braucht er ein klärendes Gespräch, ein informatives Gespräch, Unterstützung im Kontakt mit Angehörigen?"
Die Nachricht bleibt immer schlimm, daran kann auch der gelungene Gesprächsaufbau nichts ändern. Ulrike Höller musste als Ärztin auf der Station für Strahlentherapie schon viele Menschen mit fatalen Krebsdiagnosen konfrontieren. Die Erfahrung hat sie aber gelehrt, dass solche Gespräche für beide Seiten leichter werden, wenn die Ärzte auf ein gewisses Handwerkszeug zurückgreifen können. Die Grundsätze lauten: Emotional ansprechbar sein; einen sicheren Rahmen geben; verständlich sein und den nächsten Schritt organisieren.
Die Übung ist vorbei. Die Studenten schieben die Tische zu einem Viereck zusammen, reißen ein Fenster auf. Alle brauchen eine kurze Pause, die intensive Übung ging unter die Haut. Dann schildert Benedikt als Erster seine Eindrücke:
"Das ist so schwer! Ich wusste nicht, was ich mit der Angehörigen machen soll. Ob ich da richtig liege, ob ich ihr helfen kann. Ich weiß, ich kann nichts machen. Es wird ihr nicht besser gehen."
Der Clou an dieser Methode des Rollenspiels, die in den USA entwickelt wurde, ist das Feedback nicht nur der anderen Studenten, sondern auch der Simulationspatienten, die den angehenden Ärzten ihre eigene Perspektive vermitteln. Schauspielerin Bea Kampel hat das Gespräch mit Benedikt ganz anders empfunden:
"Ich habe mich sehr aufgehoben gefühlt, unter diesen Umständen. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl: Da ist der Arzt, der bleibt da. Das ist für mich das Entscheidende gewesen: Dass du da bleibst und dich nicht irgendwie diesem Gespräch entziehen willst. Dass du da bleibst und mit mir das aushältst."
In der folgenden Analyse bewerten auch die Kommilitonen das Gespräch viel positiver, als es sich für Benedikt angefühlt hat.
Medizinstudent Simon, der Benedikt heute beobachtet hat, musste während einer Famulatur im vierten Semester den plötzlichen Tod eines Patienten und die Trauer der Angehörigen miterleben. Damals war er schockiert. Nach den Rollenspielen zum "Überbringen schlechter Nachrichten" fühlt er sich besser für seine Zukunft als Arzt gerüstet:
"Letztendlich kann man kaum was falsch machen, wenn man sich mit gesundem Menschenverstand und Menschlichkeit der Sache nähert. Man muss gar nicht viel sagen, manchmal genügt es, dem Patienten zuzuhören. Da muss man nicht viel können, man muss nicht die richtigen Worte finden, es reicht einfach, dem Patienten zuzuhören. Aber das muss man wissen! Und geübt haben. Und dafür war das auch sehr gut."
Das intensive Kommunikationstraining in kleinen, betreuten Gruppen ist sehr zeitaufwendig und damit teuer. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die zehn Prozent der angehenden Ärzte an der Charité, die den Reformstudiengang durchlaufen: Sie sollen dem Stress und Zeitdruck widerstehen, der Alltag ist in deutschen Krankenhäusern, sich Zeit und Raum nehmen für einen mitmenschlichen Umgang mit Patienten und Angehörigen. Leicht werden sie es nicht haben.