Archiv


Was sich liebt, tötet sich

Die Politik, vor allem die der SPD: am Ende, der Wirtschaftsstandort Deutschland: nicht zu halten, die Fußballnationalmannschaft: schon auf der Rückreise von Portugal - solche bitteren Wahrheiten schluckt die Republik jetzt täglich, und da das eingespielte männliche Personal das Boot nicht herumreißen wird, besinnt man sich auf andere Tugenden. Geht’s der Wirtschaft schlecht, werden die Röcke kürzer, heißt es ja so schön; auf deutschen Bühnen ist das seit geraumer Zeit sinnfällig zu beobachten, dort wird das Potential der Theaterliteratur mit den schönen Frauennamen erkundet wie lange nicht mehr. "Nathan der Weise" war gestern, eine Botschaft der Toleranz als Reaktion auf den El-Kaida-Schock, heute sind wir zwei Kriege und mehrere Krisen weiter, da sind Durchhaltequalitäten gefragt.

Von Karin Fischer |
    Oder der Absolutheitsanspruch einer schönen, wenn auch geschundenen Seele, als die viele der meist männlichen Autoren ihre Frauenfiguren gezeichnet haben. Vielleicht ist das der Grund, dass Nora und Johanna, Minna und Medea im deutschen Stadt- und Staatstheater derzeit so heftig auferstehen. Glaubensfestigkeit und Opfermut sind ihnen ebenso eingeschrieben wie Fundamentalismus und Gewalt, in die jener Idealismus mündet - ein wunderbares Projektionsfeld tut sich da auf für Regisseurinnen und Dramaturgen, die den Diskurs der Gegenwart statt über die müden Titanen der Theaterliteratur über deren verletzliche Heldinnen führen wollen.

    Doch haben "Lulu" oder "Judith" uns heute etwas zu sagen? In Bochum sind zum Ende der Spielzeit beide als Botschafterinnen zeitgenössischer Moral unterwegs. In Christiane Paulhofers Inszenierung der männermordenden Kindfrau von Wedekind ist die Lulu ein blondes Jungstar-Model, das von einer letztlich zynischen Filmindustrie zur Sex-Maschine zugerichtet und später von einem Schreiberling-Softi erlöst wird - als jungfräuliche Unberührbare. Bei Judith geht die Geschichte genau umgekehrt. Sie ist jungfräuliche Witwe, die sich dem gnadenlosen Feldherren Holofernes hingibt, um das Volk der Hebräer zu retten. Der Weg zu ihrem Gott, als dessen Werkzeug sie sich gerne sähe, führt über die Sünde, das ist ihr klar; nicht klar aber ist ihr, wie im Wortsinne überwältigt sie von seiner grausamen Unbedingtheit sein wird:

    Holofernes: Manchmal kommt es mir vor als sei ich ganz allein auf der Welt.... Hätte ich nur einen Feind, der mir entgegen zu treten wagte.

    Martin Reinke ist Holofernes, und absolut auch in seiner Gier nach Macht und Leben und Rausch. Er sagt in der locker modernisierten Textfassung Sätze wie: "Das Denken ist der Dieb am Leben", was ihn sympathisch macht. In seiner hell khakifarbenen Uniform und vor einem Leinwandprospekt, der den Aufmarschplatz einer gepanzerten Armee in der Wüste zeigt, wirkt er überhaupt wie einer jener heutigen Generäle, die aus edlen Motiven und purer Pflichtvergessenheit morden - auch wenn ein stilisierter Fernsehreporter von den grausamen Opfern der Belagerung spricht. Aber das Spannende an Friedrich Hebbels Text liegt darin, dass sich hier zwei Auserwählte gegenüber stehen, die merken, dass sie mit ihrem Glauben feilschen müssen, sobald menschliche Gefühle im Spiel sind.

    Hebbel selbst hat das Drama in Auseinandersetzung mit Schillers "Jungfrau von Orleans" geschrieben und in der Frage: "Was kostet ein Tyrannenmord?" wie in einer russischen Matrjoschka auch noch die Frage nach der persönlichen Schuld und zusätzlich einen nicht sehr verhaltenen Geschlechterdiskurs versteckt. Denn Judith, und darin ähnelt sie Emilia Galotti, ist verführbar. Hass und Hingabe haben einen Ursprung; indem sie Holofernes den Kopf abschlägt, tötet sie, wonach sie sich sehnt, womit Hebbel als früher Pate auch der modernen Sexualpsychologie gelten kann.

    Dörte Lyssewski spielt die Judith als eine reife Frau, mit mehr Wissen um sich als Erfahrung, und als Außenseiterin; sie ist keineswegs vom Glauben ferngesteuert, sie sucht selbstbewusst das Feuer, in dem sie verbrennen wird. Der Racheakt der geschändeten Frau wirkt vielleicht deshalb in Bochum etwas aufgesetzt; wenn Judith den abgehauenen Kopf minutenlang zwischen ihren nackten Schenkeln wiegt, spricht der Körper eine deutlichere Sprache als der Mund. Regisseur und Bühnenbildner Wilfried Minks hat die Gewichte hier sehr fein austariert und mit dieser Frauenfigur überhaupt mehr Fragen gestellt als beantwortet. Das tut dem Abend - im Gegensatz zur plakativen Eindeutigkeit der Bochumer Lulu - sehr gut.

    Beide Frauen bleiben am Ende - natürlich - unerlöst. Die Bühne hat immer noch keinen Platz für echte Heldinnen, oder nur so wenig wie das Fernsehen für die deutschen Fußballfrauen. Kaum ein Trost, dass die Männer meist auch die Köpfe hinhalten, heißen sie nun Holofernes oder Rudi Völler.